Die tätowierte Kaiserin

Elisabeth flüchtete vor ihren Verpflichtungen am Hofe Kaiser Franz Josephs auf die Hohe See

Für Kaiser Franz Joseph war es eine „furchtbare Überraschung“ als er die Schulter seiner Frau sah. Elisabeth, Kaiserin von Österreich, hatte sich nach alter Seemannsart einen Anker auf die Schulter tätowieren lassen. Warum lässt sich, so fragt man sich heute, eine Frau des 19. Jahrhunderts, eine Kaiserin obendrein, ihre ewige Liebe zum Meer auf die Haut zeichnen?

„Eine Möve bin ich von keinem Land,
Meine Heimat nenn ich keinen Strand,
Mich bindet nicht Ort und nicht Stelle;
Ich fliege von Welle zu Welle.“

Eine „vogelfreie“ Existenz über den Wogen eines Meeres – so sieht sich Elisabeth in ihren poetischen Träumen. Zu Lebzeiten ließ sie nur wenige ihrer Gedichte drucken, und erst Jahrzehnte nach ihrem Tod durften diese veröffentlicht werden. Immer wieder entwirft Elisabeth dabei ein Bild von sich, welches für eine österreichische Kaiserin eigentlich undenkbar war: Es ist das Bild einer Heimatlosen, die rastlos über die Meere schweift.

Diese Gedichte mussten geheim bleiben. Zu deutlich zeigt sich darin die Verweigerung ihrer Rolle als Kaiserin. Ein freier Vogel wollte sie sein und nicht die Mutter im Kaiserreich Österreich-Ungarn. Keine patriotische Liebe zur Heimat verspürte sie in sich, sondern die Sehnsucht nach der Ortlosigkeit.

Das Bild der einsamen Möve, die über die Wellen streift, war jedoch nicht nur eine Metapher, die die Kaiserin in ihren Gedichten erfand. Elisabeth verwirklichte diese poetische Idee in den letzten Jahren ihres Lebens. Das Meer wurde dabei für die Kaiserin zu einem Ort der Freiheit, wo sie, losgelöst von den Zwängen des höfischen Protokolls, ein selbstbestimmtes Leben führen konnte.

Die ersten Gewässer, mit denen Elisabeth in ihrem Leben Bekanntschaft machte, waren die Seen im südlichen Bayern. Sisi wuchs in Possenhofen in der Nähe des Starnberger Sees auf. Das kleine Mädchen lernte schwimmen, reiten und bergsteigen. Ihre lebensfrohe und natürliche Kindheit fand ein radikales Ende, als die 16jährige Sisi* mit dem österreichischen Kaiser Franz Joseph verheiratet wurde. Auf einem Donaudampfschiff traf sie 1854 in Wien ein. Schon bald nach der Hochzeit begann sie, unter dem engen Korsett des Lebens am Hof und den erzieherischen Maßnahmen ihrer herrischen Schwiegermutter zu leiden.

Das Meer als Ort der Freiheit zu verstehen, diese Erfahrung machte Elisabeth bereits in den ersten Jahren ihrer Ehe. Kurz nach ihrer Heirat floh die unglückliche, mittlerweile schwermütig gewordene und kränkelnde Kaiserin vor ihren Verpflichtungen und den Intrigen am Wiener Hof. Madeira war das Ziel. Als Entschuldigung für die unübliche Reise musste eine rätselhafte Krankheit von Sisi herhalten: „Lungenaffektion“. Für Elisabeth war diese Reise eine erste Etappe auf ihrer Flucht vor der traditionellen Rolle, die sie am österreichischen Hof spielen sollte, und ihre selbstbewussten Emanzipationsversuche ließen sie zu einer der ungewöhnlichsten Frauenfiguren des 19.Jahrhunderts werden. Die Freiheit, die diese Frau suchte, fand sie in ihrem Fernweh, in ihrer Sehnsucht nach dem Meer. So sagte sie in Madeira zu einem Vertrauten: „Überhaupt möchte ich immer weiter, jedes Schiff, das ich wegfahren sehe, gibt mir die größte Lust, darauf zu sein, ob es nach Brasilien, nach Afrika oder ans Kap geht, es ist mir einerlei, nur nicht so lang an einem Fleck sitzen.“

Elisabeth kehrte als blühende Schönheit von der Reise zurück, und ihr Ruf als die „Schönheitskaiserin“ strahlte bis weit über die österreichischen Grenzen hinaus.

Wo auch immer Sisi auftauchte, war sie von Menschenmassen und Reportern umgeben. Am Hof wollte man sie als repräsentative öffentliche Figur sehen, sie aber begann, sich dieser Forderung nach Sichtbarkeit zu entziehen. Immer öfter verweigerte sie sich den Fotografen und Malern, in ihren späteren Lebensjahren reiste sie meist inkognito und stets schwarz gekleidet durch Europa.

Der ersten Flucht nach Madeira folgten weitere Reisen, darunter ein Kuraufenthalt auf Korfu. Wieder schützte die Kaiserin eine Krankheit vor, und wieder wählte sie eine Insel zu ihrem Refugium. Nach Korfu aber sollte Elisabeth ihr Leben lang immer wieder zurückkehren. Griechenland wurde für sie die „Zukunftsheimat“, und auf Korfu hoffte sie zu finden, was sie in der Donaumonarchie vermisste:

„Doch kehr ich heim in deine Buchten,
Wenn mir des Lebens Sturm missfällt.
Was ich und meine Möven suchten,
Hier find’ ich’s – Ruhe vor der Welt.“

Auf der Insel Korfu ließ sich Sisi eine prunkvolle Villa errichten, hier sollten ihre Träume von einem Leben am Meer Realität werden. Kaum jedoch war das sogenannte „Achilleion“ fertiggestellt, versuchte die Kaiserin, ihren Palast wieder abzustoßen. Ihre Unruhe und Rastlosigkeit erlaubten ihr kein sesshaftes Leben, und nur in der Bewegung fand sie ihre Ruhe: „Das Leben auf dem Schiffe ist viel schöner als jedes Ufer. Die Reiseziele sind nur deswegen begehrenswert, weil die Reise dazwischen liegt. Wenn ich irgendwo angekommen wäre und wüsste, dass ich nie mehr mich davon entfernen würde, würde mir der Aufenthalt in einem Paradiese zur Hölle. Der Gedanke, einen Ort verlassen zu müssen, rührt mich und lässt mich ihn lieben. Und so begrabe ich jedesmal einen Traum, der zu rasch vergeht, um nach einem neuen zu seufzen.“


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mare No. 5

No. 5Dezember / Januar 1997

Von Gabriela Christen

Gabriela Christen, Jahrgang 1961, ist Kunsthistorikerin und arbeitet als Kulturredakteurin beim Schweizer Radio DRS in Zürich.

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Vita Gabriela Christen, Jahrgang 1961, ist Kunsthistorikerin und arbeitet als Kulturredakteurin beim Schweizer Radio DRS in Zürich.
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