Die stolzen Malocher von Rijeka

Die kroatische Werft „Victor Lenac“ schaffte den Sprung in die Marktwirtschaft. Schiffbau bleibt trotzdem Knochenarbeit

Der schlanke, lange Rumpf der „Christina Onassis“ liegt schon seit Wochen hier. Selten wurde ein Schiff so radikal ausgeweidet. Wo früher Maschinen, Salons, Kabinen oder Öltanks waren, klaffen schwarze Löcher. Von der Luxusyacht, einst liebstes Spielzeug des Tankermilliardärs Aristoteles Onassis, ist nur noch ein wenig ansehnliches stählernes Skelett geblieben und blecherne Haut. Rost frisst sich satt. An allen Ecken und Enden.

Gerade einmal 100 Meter lang ist diese Schiffsleiche im Trockendock, ein Zwerg im Vergleich zur Kundschaft, die sonst zur Reparatur in die Victor-Lenac-Werft nach Rijeka kommt. Aber aus der Ferne wirken die Werftarbeiter allemal wie Ameisen, die gerade einen Kadaver bis auf die Knochen abnagen. Sie machen das allerdings ganz umsichtig, nicht überall zugleich, sonst würde das Schiff wahrscheinlich auseinanderfallen. Weiter links liegt ein Gigant am Ausrüstungskai der Werft – die „Jakarta“, ein deutscher Containerdampfer.

Die Werftameisen haben diesen Riesen sauber in zwei Teile gesägt, ein 40 Meter langes Stück des 38 Meter breiten Rumpfes herausgetrennt und ein neues, identisches Rumpfteil millimetergenau eingefügt. Ein Container mit Gefahrgut war explodiert und hatte der nur anderthalb Jahre alten „Jakarta“ den Bauch aufgerissen. Eigentlich ein Totalschaden. Aber die Männer von Victor Lenac sind Spezialisten für solche Notoperationen. Auch die „Christina Onassis“ werden sie wieder zum Leben erwecken.

Die moderne Schiffs-Chirurgie, die dazu nötig ist, beherrschen nur wenige Werften in Europa. „Was die hier leisten, dazu gehört modernste Technik und eine gehörige Portion Grips“, sagt ein deutscher Geschäftsmann, der gerade sein Bestes versucht, um von Victor Lenac den Auftrag zur Lackierung der „Christina Onassis“ zu ergattern. Kein einfacher Job, denn der Wettbewerb ist hart. Von Victor Lenac als Subunternehmer auserwählt zu werden gilt in der Branche als Referenz – auch im Westen. Zumal, wenn es um ein Prestigeprojekt wie die „Christina Onassis“ geht. Aber in dieser Werft ist ohnehin fast jeder Job eine Herausforderung, dessen Bewältigung auch die beteiligten Zulieferer schmückt.

Victor Lenac ist ein Juwel der kroatischen Industrie. Zum einen, weil die Auftragsbücher der Werft gut gefüllt sind und Gewinne erwirtschaftet werden – 10 Millionen Kuna im vergangenen Jahr, etwa 2,5 Millionen Mark, bei Betriebseinnahmen von 90 Millionen Mark. Immerhin. Zum anderen, weil auch die strengsten Qualitätsstandards der internationalen Schiffszertifizierer und Versicherer erfüllt werden. Das ist wichtig für die Kunden: Wer sein Schiff bei Victor Lenac umbauen oder reparieren lässt, bekommt bei den Versicherern günstige Tarife.

Victor Lenac, in einer kleinen, von Bergen überragten Bucht am südlichen Stadtrand von Rijeka gelegen, kann an zwölf Schiffen gleichzeitig arbeiten. Weil die beiden Trockendocks ständig ausgebucht sind, hat die Werftleitung ein drittes gekauft – second hand in den USA. Im Sommer wird es über den Atlantik nach Rijeka geschleppt. Mehr als 60 Millionen Mark will Victor Lenac in diesem Jahr in neue Ausrüstung investieren. Das unternehmerische Ziel der neuen Ära lautet: Expansion.

Mehr als hundert Jahre alt ist das Unternehmen nun. 1896 gegründet, war die Werft unter dem Namen „Lazarus“ zunächst eine Ambulanz für Frachter und Fischereiboote der k. u. k. Monarchie. Bis 1918 gehörten Kroatien und die Werftindustrie von Rijeka zu Ungarn. Es folgten 23 Jahre im Königreich Jugoslawien, der Zweite Weltkrieg und die kommunistische Machtübernahme. 1948 erhielt die Werft ihren heutigen Namen, nach Victor Lenac, einem „Helden der Arbeit“. Seit sieben Jahren wird ein weiteres Kapitel der Unternehmensgeschichte geschrieben – Victor Lenac firmiert jetzt als Aktiengesellschaft.

Im Heck der „Onassis“ wirft Jadranko Mihic seinen Schneidbrenner an. Erst faucht nur die orange-gelbe Stichflamme des Acetylens. Dann schießt Sauerstoff ein – die Flamme schrumpft und strahlt jetzt in einem harmlosen Blau, dem seine höllische Temperatur nicht anzusehen ist. Stahl schmilzt bei 1500 Grad. Mihic setzt die Schutzbrille auf und rückt dem Schiffsstahl mit seinem Brenner zu Leibe, dass die Funken nur so sprühen. Auf einer vorgezeichneten Linie brutzelt Mihic einen sauberen Schnitt in den Schiffsbauch.

Der Schweißer weiß alles über den Kahn, dessen Eingeweide er zerschneidet. „Ein schönes Schiff, mit einer richtigen Geschichte“, lobt er die „Christina Onassis“ und spult im Schnelldurchlauf die Biografie ab: „Im Zweiten Weltkrieg gebaut, für die kanadische Marine. Später Luxusjacht von Onassis.“ Mihic weiß auch, dass Jacqueline Kennedy, die Frau des Tankerkönigs Onassis, das Schiff später der griechischen Regierung schenkte. Die ließ es im Hafen von Piräus jahrelang verrotten. Jetzt hat es ein Amerikaner gekauft und lässt es bei Victor Lenac restaurieren. Mihics schwielige Hand zeigt auf die Nähte der Stahlplatten. „Alles vernietet. Macht man seit Jahrzehnten nicht mehr.“

Machte man auch schon nicht mehr, als Mihic 1986 bei Victor Lenac anfing. „Die brauchten gute Schweißer, und das Geld stimmte“, erklärt er seinen Einstieg bei den Schiffbauern lapidar. Ein Job wie jeder andere auch, behauptet er. Nur noch ein bisschen schmutziger und anstrengender. Aber seine mürrische Gleichgültigkeit täuscht: Wenn er nicht gerade über verwahrloste bulgarische, rumänische oder russische Frachter flucht, die zur Reparatur nach Rijeka kommen, dann spricht er mit einer Hingabe über „seine“ Schiffe, die eine Liebe zum Job und sogar eine Spur von Besitzerstolz nicht verleugnen kann.


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mare No. 21

No. 21August / September 2000

Von Boris Kalnoky, Dario Secen und Christoph Mukherjee

Boris Kálnoky, geboren 1961 in München, berichtet seit fünf Jahren als Osteuropa-Korrespondent des Springer-Auslandsdienstes aus Budapest.

Dario Sečen, geboren 1970 im kroatischen Doboj, und der Münchner Christoph Mukherjee, Jahrgang 1970, haben an der Fachakademie für Fotodesign in München studiert. Auf der Werft hatte man sich auf einen zweistündigen Besuch der Fotografen eingerichtet. Die beiden waren so fasziniert, dass sie gleich vier Wochen blieben

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Vita Boris Kálnoky, geboren 1961 in München, berichtet seit fünf Jahren als Osteuropa-Korrespondent des Springer-Auslandsdienstes aus Budapest.

Dario Sečen, geboren 1970 im kroatischen Doboj, und der Münchner Christoph Mukherjee, Jahrgang 1970, haben an der Fachakademie für Fotodesign in München studiert. Auf der Werft hatte man sich auf einen zweistündigen Besuch der Fotografen eingerichtet. Die beiden waren so fasziniert, dass sie gleich vier Wochen blieben
Person Von Boris Kalnoky, Dario Secen und Christoph Mukherjee
Vita Boris Kálnoky, geboren 1961 in München, berichtet seit fünf Jahren als Osteuropa-Korrespondent des Springer-Auslandsdienstes aus Budapest.

Dario Sečen, geboren 1970 im kroatischen Doboj, und der Münchner Christoph Mukherjee, Jahrgang 1970, haben an der Fachakademie für Fotodesign in München studiert. Auf der Werft hatte man sich auf einen zweistündigen Besuch der Fotografen eingerichtet. Die beiden waren so fasziniert, dass sie gleich vier Wochen blieben
Person Von Boris Kalnoky, Dario Secen und Christoph Mukherjee