Der Internationale Seegerichtshof ist bekannt für seine traumhafte Lage direkt an der Elbe und vielleicht noch für seine außergewöhnliche Architektur, aber nicht für emotionale Plädoyers in seinen Räumen. Es geht zumeist um zwischenstaatliches Recht, um die Interessen der Mitgliedstaaten, etwa die Festlegung von Seegrenzen oder die Freigabe von Schiffen, und nicht primär um die Schicksale einzelner Personen. Aber als Naima Te Maile Fifita am 11. September 2023 im großen runden Gerichtssaal in Hamburg aufstand und vor den 21 Richterinnen und Richtern von ihrer Sorge um die Zukunft ihrer einjährigen Tochter sprach, wurde es still. In welcher Welt wird sie ihr Kind aufwachsen sehen, wenn das Meer das Land ihrer Vorfahren erst unbewohnbar gemacht und dann für immer überspült hat? Kann es sein, dass Menschen es hinnehmen müssen, ihre Heimat verlassen zu müssen, weil andere Staaten ihre rechtlichen Verpflichtungen nicht ernst genug nehmen? Diese junge Mutter jedenfalls sprach von ihrer festen Überzeugung, dass es nicht richtig sein könne, wenn die Welt einfach zusieht, wie die Bevölkerungen kleiner Inselstaaten im Pazifik und in der Karibik ihre Heimat an den steigenden Meeresspiegel verlieren.
Naima Te Maile Fifita ist auf Tuvalu geboren und aufgewachsen, wie die Generationen ihrer Familienmitglieder vor ihr. Wo und wie wird ihre Tochter zukünftig leben? Der Meeresspiegelanstieg als Folge anhaltender Treibhausgasemissionen wird nicht überall gleich stark zu spüren sein. Der Ozean ist keine Badewanne. Es kommt hinzu, dass nicht nur die messbaren Anstiege die Regionen der Welt in unterschiedlichem Maß treffen werden, auch die Möglichkeiten der An-
passung daran sind ungleich verteilt.
Verkürzt und vereinfacht lässt sich sagen, dass diejenigen, die durch Jahrzehnte der intensiven Industrialisierung in besonderem Maß zu den Emissionen beigetragen haben, nicht diejenigen sein werden, die der Meeresspiegelanstieg am stärksten oder am frühesten betrifft. Auch sind dort finanzielle Mittel, Technologien und Know-how für effektiven Küstenschutz in erheblichem Umfang verfügbar. Die Bewohner kleiner Inselstaaten, die der Meeresspiegelanstieg und extreme Wetterereignisse jetzt schon so betrifft oder bald betreffen wird, dass sie ihre Lebensgrundlage verlieren, haben nichts davon. Tuvalu ist daher auch nicht der einzige Staat, der sich um Abkommen mit Staaten wie Australien bemüht, um die Umsiedlung seiner Bevölkerung für den Fall zu ermöglichen, dass Leben auf den Inseln nicht mehr möglich ist.
Dass Emissionsbeiträge und Anpassungsmöglichkeiten unterschiedlich verteilt sind, berücksichtigt auch das internationale Klimaschutzrecht. Die internationalen Verträge, die den Klimawandel aufhalten sollen, erkennen eine „gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung“ an. Das bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten kooperieren und Anstrengungen unternehmen müssen, um das Klima zu schützen. Gleichzeitig unterscheidet sich das Maß dessen, was sie genau schulden, um dieser Verantwortung gerecht zu werden, von Staat zu Staat.
Differenziert wird mit Blick auf den Beitrag zu den weltweiten Emissionen und die verfügbaren finanziellen Mittel. Kurz: Die reichen Industriestaaten des sogenannten „globalen Nordens“ müssen mehr tun als die armen Staaten des „globalen Südens“. Zugegebenermaßen passen Staaten wie China nur schlecht in dieses Schema. Dass die bisherigen Anstrengungen, die Emissionen zu begrenzen, nicht ausreichen, um den durchschnittlichen Temperaturanstieg auf unter zwei Grad Celsius zu halten, scheint vorgezeichnet.
Die Sorge und Frustration der kleinen Inselstaaten, dass auf der politischen Bühne viel geredet, aber wenig gehandelt wird, ist mit Händen zu greifen. Dass die nationalen Emissionseinsparungen, die die Staaten unter dem Pariser Übereinkommen zum Klimaschutz versprechen, nicht rechtlich verbindlich sind, dass Verhandlungen über Gelder in den Anpassungsfonds und andere Finanzierungsmechanismen immer wieder schwierig sind, trägt zusätzlich dazu bei.
Doch was hat das alles mit dem Internationalen Seegerichtshof zu tun? Warum konnte Naima Te Maile Fifita dort ihre Geschichte erzählen? Die Aufgabe des Gerichts besteht vornehmlich darin, Streitigkeiten zwischen Staaten über die Auslegung und Anwendung des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) zu entscheiden. Die Auswirkungen der Erderwärmung für die Bevölkerungen kleiner Inselstaaten sind nicht das Erste, was einem einfällt, wenn man an diesen völkerrechtlichen Vertrag denkt. Den Begriff „Klimawandel“ verwendet das Übereinkommen nicht. Sein Teil XII befasst sich mit der Meeresumweltverschmutzung aus verschiedenen Quellen: von Schiffen, von Land aus, durch die Luft und Atmosphäre. An Treibhausgasemissionen hatten die Diplomatinnen und Diplomaten, die den Text 1982 verabschiedeten, dabei aber nicht gedacht. Ob man neue Erkenntnisse in einen alten Vertrag „hineinlesen“ darf, um diesen an moderne Herausforderungen anzupassen, ist eine wichtige rechtliche Frage.
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Nele Matz-Lück, Jahrgang 1973, ist Professorin für Seerecht und lehrt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihr Arbeitsplatz liegt nur unweit von der Kieler Förde entfernt. Das Meer ist also stets nah, nicht nur geografisch, sondern auch in der Reflexion, wie wir diesen Raum, der Heimat für unzählige Lebewesen ist, besser schützen können.
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| Vita | Nele Matz-Lück, Jahrgang 1973, ist Professorin für Seerecht und lehrt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihr Arbeitsplatz liegt nur unweit von der Kieler Förde entfernt. Das Meer ist also stets nah, nicht nur geografisch, sondern auch in der Reflexion, wie wir diesen Raum, der Heimat für unzählige Lebewesen ist, besser schützen können. |
| Person | Von Nele Matz-Lück |
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| Vita | Nele Matz-Lück, Jahrgang 1973, ist Professorin für Seerecht und lehrt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihr Arbeitsplatz liegt nur unweit von der Kieler Förde entfernt. Das Meer ist also stets nah, nicht nur geografisch, sondern auch in der Reflexion, wie wir diesen Raum, der Heimat für unzählige Lebewesen ist, besser schützen können. |
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