Die Sinnflut

Hamburger Forscher vermuten: Atlantis liegt im Schwarzen Meer; ein gewaltiger Dammbruch hat das Paradies versenkt

Es war eine gute Zeit, welche die Menschen vor rund siebeneinhalbtausend Jahren auf ihrer Insel im Schwarzen Meer verlebten. Sie hatten es weit gebracht. Öffentliches Leben, Wirtschaft und Handel standen in Blüte, die Felder und das umgebende Süßwasser mit seinem Fischreichtum spendeten reichlich Nahrung. Die Sonne des Fortschritts schien über diesem Erdenfleck, auf dem nach einer kleinen Eiszeit, einer kleinen Warmzeit und einer kleinen Zwischeneiszeit eine Hochkultur gedieh, weiter entwickelt als die gemeinhin aktenkundigen Zivilisationen.

Doch dann, im Zuge jener Warmzeit namens Atlantikum, geschah es: Das Weltmeer, dessen Spiegel unaufhaltsam stieg, bemächtigte sich der Idylle, der Damm zum tiefer gelegenen Schwarzen Meer barst, einschießendes Salzwasser in Mengen raffte die blühenden Landschaften hinweg. Das passierte vor genau 7514 Jahren, und es handelte sich bei diesem Vorgang, so argumentieren Siegfried Schoppe von der Universität Hamburg und Christian Schoppe von der Southern Illinois University, erstens um die Sintflut und zweitens um den Untergang von Atlantis.

Atlantis – das ist ein magisches Wort, ein Ort, dessen Name nicht nur die Fantasie beflügelt, sondern auch den menschlichen Forschergeist seit langem nicht ruhen lässt. Eine regelrechte publizistische Atlantis-Industrie hat sich daraus entwickelt, vor allem dank des Eifers einer großen Zahl von Hobby- und Amateur-Atlantikern. Kaum ein anderer Begriff setzt offenbar solch eine Fülle von Beiklängen des Rätselhaften frei. Hinzu kommt der Vorzug, dass sich zu diesem Thema so gut wie alles behaupten lässt, da es schließlich niemanden gibt, der es dementieren könnte.

Bei aller Skepsis, die gegenüber der oftmals dubiosen literarischen Ausbeutung des Objekts stets geboten erscheint, hat die Geschichte einen ernsthaften Kern. Sie rührt an etwas, das offenbar tief im kollektiven Bewusstsein der Menschen verankert ist. Es handelt sich um die Vorstellung, die das Denken der Antike be- stimmte: die Idee von einer besseren Welt, die einstmals war und nicht mehr ist. Im Gegensatz dazu steht unser antrainierter Glaube an einen stetigen Fortschritt in biologischer wie in zivilisatorischer Hinsicht.

Die Atlantis-Sage erzählt auf besonders spektakuläre Weise von jenen goldenen Tagen, die in grauer Vorzeit in den Meeresfluten versanken – das war die schöne, alte Welt, und zwar in Form einer insularen Hyperzivilisation, die da zum Opfer ihrer Hybris wurde. So sagt es der Mythos, der sich in weitem Bogen von Platon bis hin zum Pop-Poeten Donovan spannt, der Atlantis als „my antediluvian baby“ besang. Und der Theorien, wie weit es die famosen Atlanter gebracht hatten, bevor sie unter den katastrophalen Umständen von Erdbeben, Vulkanausbruch und Krieg um Vorherrschaft von der Erdoberfläche verschwanden, sprießen so viele wie Blumen aus einem Füllhorn.

Wo die Insel der Atlanter lag, ob sie riesig war wie ein eigener Kontinent oder eher von übersichtlichem Format und, insbesondere, ob es sie überhaupt jemals gegeben hat, weiß allerdings niemand so genau. Gerade dieses Hauptproblem macht den eigentlichen Reiz aus. Es inspiriert immer wieder Leute dazu, das mysteriöse Phänomen auf seine faktische Möglichkeit hin zu untersuchen, was zur Folge haben kann, dass es sich anschließend etwas weniger mysteriös ausnimmt und dafür fast ein bisschen profan.

Die Schoppes beispielsweise sind Wirtschaftswissenschaftler, Menschen mit nüchternem Blick also, die in diesem Fall allerdings mehr allgemeinem Forscherdrang als fachspezifischer Kompetenz gehorchten. Sie haben jedoch ihre Thesen Fachleuten vorgelegt, zum Beispiel dem Hamburger Archäologieprofessor Helmut Ziegert, der ihnen bescheinigt: „Die Breite der Argumentationsfelder und Einzelargumente ist beeindruckend, die Summe der Hypothesen nicht zu vermeiden, und am Ende die Haupthypothese der Lage und Bedeutung von Atlantis überzeugend.“ „ Diese Haupthypothese besagt, dass Atlantis im Schwarzen Meer lag. Dies ist eine völlig neue Annahme, nachdem bereits beträchtliche Teile des Globus als Atlantis-Standorte identifiziert worden waren.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 48. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 48

No. 48Februar / März 2005

Von Benjamin Worthmann und Marei Schweitzer

Als Benjamin Worthmann, geboren 1947, von mare gebeten wurde, eine neue Atlantis-Theorie darzustellen, entfuhr ihm nur: „Und wo soll es diesmal liegen?“

Mehr Informationen
Vita Als Benjamin Worthmann, geboren 1947, von mare gebeten wurde, eine neue Atlantis-Theorie darzustellen, entfuhr ihm nur: „Und wo soll es diesmal liegen?“
Person Von Benjamin Worthmann und Marei Schweitzer
Vita Als Benjamin Worthmann, geboren 1947, von mare gebeten wurde, eine neue Atlantis-Theorie darzustellen, entfuhr ihm nur: „Und wo soll es diesmal liegen?“
Person Von Benjamin Worthmann und Marei Schweitzer