Die Schwammcatcher

Naturschwämme sind weich, sie sind golden, und sie schmeicheln der Haut wie kein anderer Stoff. Um sie emporzubringen, riskierten Taucher von der Ägäisinsel Kalymnos ihr Leben

Kalymnos, am südöstlichen Ende Europas in der Ägäis gelegen, ist eine der kleinsten, steinigsten und unfruchtbarsten Inseln Griechenlands. Doch was sie der Welt zu bieten hatte, hat Kalymner wie Nikolaos Vouvalis reich gemacht. In Pothia, der Hauptstadt des 13 Kilometer breiten und 21 Kilometer langen Eilands, steht die Villa des Kaufmanns – mit Blick auf das Meer, in dem Tausende junge Männer umkamen oder zu Krüppeln wurden, die für Händler wie ihn nach den in der ganzen Welt begehrten Schwämmen tauchten: das weiche Gold, das der Haut schmeichelt wie kein anderer Stoff, das Material, mit dem Ritter einst ihre Rüstungen auspolsterten und Frauen sich wuschen oder eine Schwangerschaft verhüteten.

Schwämme, früher zu den Pflanzen gezählt, sind Tiere. Die besten kommen aus Griechenland, wo das Geschäft seit der Antike florierte, bis der bunte Kunststoffschwamm und die billige Ware aus Übersee die Märkte überschwemmte.

Noch hat eine der letzten Schwamm­fabriken am Hafen Hochbetrieb. Manolis Makryllos, der Inhaber, vormals Schiffsingenieur, konnte nie vergessen, wie fasziniert er als Junge war, als er zum ersten Mal einen Schwamm in der Hand hielt. Es war in Athen, ein Taucher hatte ihn gebracht, und als Makryllos das ausgetrocknete Ding ins Wasser legte, wurde es größer. „Ich war so aufgeregt, das zu sehen, dass ich die ganze Nacht aufblieb“, sagt der gedrungene, ruhelose Mann mit einer Begeisterung, als habe er die Schätze, die er einem zeigt, eben entdeckt: Honeycomb, Fino, Turkey Cup, Elephant’s Ear und Leather, die fünf Sorten des Gewöhnlichen Badeschwamms (Spongia officinalis), mit denen er handelt.

Die Fabrikhalle gäbe ein schönes Bühnenbild für eine Oper über den Schwamm, über Liebe und Leidenschaft, Leben und Tod, die an Dramen so reiche Geschichte der Jagd nach Glück und Geld in gefährlichen Wassern. Schiffsmodelle, Bootsrümpfe, alte Taucheranzüge und Helme liegen auf den Dachbalken; Ölbilder mit Haien, Tauchern und Schiffen in stürmischer See hängen an den Wänden inmitten eines Gewirrs elektrischer Drähte und Stapeln von Säcken voller Schwämme, die nur einen schmalen Pfad freilassen zum mit Papieren übersäten Schreibtisch mit dem Computer, wo die Bestellungen verwaltet werden.

Die Hälfte der Schwämme, die Makryllos verkauft, stammt aus Griechenland. Mit einem Ankaufspreis von 150 Euro je Kilogramm sind sie dreimal so teuer wie die minderwertigen aus der Karibik und von den Philippinen. Makryllos’ beste Kunden kommen aus China und Russland, wo eine zahlungskräftige Mittelschicht hungrig auf Luxusartikel aus dem Westen ist.

Tag für Tag pflügt Makryllos sich durch sein Reich, sortiert Schwämme nach Größe und Form, schnippelt sie mit der Schere zurecht, studiert Papiere und sieht im Nebengebäude nach dem Rechten, wo die frischen Schwämme von Steinchen, Pflanzenteilen und anderen Fremdkörpern be- freit werden. Früher erfolgte das von Hand, heute geht es mit Chemie.

Angelo und Nicola, zwei junge Arbeiter, stehen an dem Becken mit der Schwefelsäure, in dem die Schwämme gesäubert, am Sodabad, worin sie gespült, und an der Lösung von Kaliumpermanganat, in der sie gebleicht werden. Es riecht nach Salz und Säure, die Abwässer gehen ins Meer.

An der Maschine, mit der jeder Schwamm einzeln in Folie verschweißt wird, steht Makryllos’ Frau Eirini. Es klackt im Takt, und Emanuela, die Tochter, sitzt auf einem Stuhl und bindet Etiketten daran. Sie studiert Biologie und mag, wie ihre beiden Schwestern, das Familienunternehmen nicht weiterführen.

„Es schmerzt mich, dass es mit mir zu Ende geht“, sagt Manolis Makryllos und streicht sich über die Glatze. Schwämme sind sein Leben. Es gibt rund 10 000 Arten, weiß er, und manche bergen Wertvolles, das für die Medizin genutzt wird. Denn das Lebewesen mit der höchsten Lebenserwartung ist ein Schwamm, Anoxycalyx joubini; er kommt in der Subantarktis vor und wird bis zu 10 000 Jahre alt.

Im Marinemuseum von Kalymnos sind die Gerätschaften zu sehen, die man früher zum Schwammtauchen brauchte. Der Metallzylinder mit Glasboden, um nach Schwämmen Ausschau zu halten; der Skandalopetra, der 15 Kilogramm schwere Tauchstein aus Granit, der den Nackttaucher rasch hinunterbrachte. Dreieinhalb, ja fünf Minuten konnten die Besten unter Wasser bleiben, ohne Atem zu schöpfen.

Pantelis Georgantis, groß gewachsen, mit pechschwarzem Haar und einer Aura von Abenteuer, hangelt sich an den Sarkophagen aus weißem Marmor entlang. Die Sonne gleißt, der Himmel ist wie frisch gestrichen, im Blau halten weiße Wolken Andacht. Es ist Karfreitag, alles ist auf den Beinen in Pothia und besucht die Toten. Eben hat Georgantis seinen Stock ver­loren, ohne den er sich nicht aufrecht halten kann.

Der ältere Bruder hat sein Leben gelassen im Meer. Nikolaos hieß er, und so heißen auch, ihm zu Ehren, Georgantis’ jüngerer Sohn und das Schiff, mit dem er trotz des lahmen Beines, die Folge eines Tauchunfalls, noch immer auf Tauchfahrt geht.


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mare No. 119

No. 119Dezember 2016 / Januar 2017

Von Peter Haffner

Peter Haffner, 1953 geboren, ist Reporter, Essayist und Buchautor. Er lebt in Zürich und schreibt unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung.

Francesco Zizola, geboren 1962, freier Fotograf in Rom und Gründungsmitglied der Agentur Noor, dokumentiert seit vielen Jahren die großen Konflikte der Welt und ihre versteckten Krisen. Er ist leidenschaftlicher Taucher. Bedanken möchten sich beide bei der Journalistin Ioanna­ Fotiadi, die ihnen bei der Vorbereitung, der Recherche und mit Dolmetschen geholfen hat.

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Vita

Peter Haffner, 1953 geboren, ist Reporter, Essayist und Buchautor. Er lebt in Zürich und schreibt unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung.

Francesco Zizola, geboren 1962, freier Fotograf in Rom und Gründungsmitglied der Agentur Noor, dokumentiert seit vielen Jahren die großen Konflikte der Welt und ihre versteckten Krisen. Er ist leidenschaftlicher Taucher. Bedanken möchten sich beide bei der Journalistin Ioanna­ Fotiadi, die ihnen bei der Vorbereitung, der Recherche und mit Dolmetschen geholfen hat.

Person Von Peter Haffner
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Peter Haffner, 1953 geboren, ist Reporter, Essayist und Buchautor. Er lebt in Zürich und schreibt unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung.

Francesco Zizola, geboren 1962, freier Fotograf in Rom und Gründungsmitglied der Agentur Noor, dokumentiert seit vielen Jahren die großen Konflikte der Welt und ihre versteckten Krisen. Er ist leidenschaftlicher Taucher. Bedanken möchten sich beide bei der Journalistin Ioanna­ Fotiadi, die ihnen bei der Vorbereitung, der Recherche und mit Dolmetschen geholfen hat.

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