Die Retter sind los!

Giftige Quallen und Rochen, dazu bissige Haie und mörde- rische Strömungen – das Meer um Australien gilt als das gefährlichste der Welt. Ein Glück, dass die Strandwacht fleißig trainiert

Bagdad Airport, Wüste. Ein stacheldrahtbewehrtes Areal, Sandsäcke und MG-Nester. 50 Grad Celsius, das Camp liegt regungslos, die Luft flimmert. Plötzlich kommt hinter einer Düne eine seltsame Prozession zum Vorschein. Sie tragen gelb-rot gestreifte Badekappen. Sie haben Rettungsboote auf den Schultern. Sie haben Bojen umgehängt. Es sind Soldaten der australischen Armee, in ihrer Freizeit einem Ehrenamt verpflichtet. Gleich werden sie die obligatorischen Gefahrenflaggen stecken, das Schwimmareal markieren, Rettungssprints üben, mit dem Boot die Dünen hinunterrutschen. „Das“, sagt Sergeant Mott später, „hebt die Moral unserer Truppe gewaltig. Nach fünf Monaten von zu Hause, kaum Strom, kein fließendes Wasser, bringt uns das die Heimat.“

Mehr Geist als Tatkraft, mehr Ethos als Rettungsdienst, kommt Surf Life Saving, die ehrenamtliche Wasserwacht der Australier, wie hier in Bagdad, auch ohne das Meer aus. Movement, Bewegung, sagen die Australier. Eine Massenbewegung heute, eine Widerstandsbewegung damals. Das war 1907. Zuvor galt Schwimmen in Australien, zumal bei Tageslicht, als anstößig. Das Baden im Meer war nur in den frühen Morgen- und späten Abendstunden erlaubt; Männer und Frauen getrennt. Bis ein gewisser William Gocher am Manly-Strand in Sydney den Tabubruch wagte und es zur Mittagszeit machte. Die Polizei nahm ihn fest. Doch weil er nicht bestraft wurde, trauten sich nun die Australier ins Meer. Bis sie merkten, dass sie nicht allein waren. Da schwamm auch die Seewespe, das giftigste Meerestier überhaupt. Wer die Qualle berührte und nicht gleich vor Schmerz bewusstlos wurde und ertrank, starb meist an Herzversagen. Ebenfalls nur in australischen Gewässern der Blauring-Oktopus, sein Pieks lähmt die Muskeln, nur Mund-zu-Mund-Beatmung würde noch retten. Doch die Opfer können weder schwimmen noch schreien oder sonstwie sich bemerkbar machen. Bei vollem Bewusstsein gehen sie unter.

Meereskrokodile, auch eine australische Spezialität. Stachelrochen – vor Kurzem traf es den „Crocodile Hunter“ Steve Irwin. Haie – heutzutage werden Schwimmmarathons von MG-Schützen in Hubschraubern eskortiert. Strömungen, tückische Riffe und Strudel mal außen vor. Man spricht vom gefährlichsten Meer der Welt.

1907 wurde der erste Surfclub Australiens gegründet (surf = Brandung). Mit ehrenamtlichen Rettungsschwimmern. Motto: Der gute hilft dem schlechten Schwimmer.

Im Jahr 2007 nun das große Jubiläum. Ein Jahrhundert Surf Life Saving. Die Zahlen sind beachtlich: 500.000 gerettete Leben, 304 Surfclubs, 113.000 Mitglieder, davon 34.000 aktiv, ein Drittel Frauen. Eine der weltweit größten ehrenamtlichen Vereinigungen. Eine Massenbewegung. Quer durch alle Schichten und Verhältnisse. Taxifahrer und Millionäre, Premierminister und Prinzessinnen, Bauarbeiter und Seelsorger. Warum? Das Meer verbindet. Drei Viertel aller Australier leben an der Küste. In einer Schicksalsgemeinschaft hilft man sich. Es gibt edle Gründe, es gibt aber auch den australischen Hang zur Vereinsmeierei. Die Wahl des Klubs kann karriereförderlich sein. Bei Personalchefs sind Ehrenamtliche gern gesehen. Die opfern sich auch für Unternehmen.

Außerdem macht Rettungsschwimmen Spaß. Es gibt Klubhäuser, Barbecues und Tombolas, die Rentner treffen sich morgens um neun zum Bridge, die Jugend zum Gewichtheben, die Männer, um an der Bar Geschäfte zu machen. Und die Frauen? Angeblich warten sie in North Palm Beach, Sydneys reichem Küstenvorort, um tattrigen, orientierungslosen Multimillionären wieder an den Strand zu helfen. Liebe und finale Wegbegleitung nicht ausgeschlossen. Das Prinzip Anna Nicole Smith.


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mare No. 59

No. 59Dezember 2006 / Januar 2007

Von Dimitri Ladischensky und Craig Golding

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, ist früher als Kind mit dem Kescher losgezogen, Fische vor dem Ertrinken zu retten.

Craig Golding, geboren 1957, fotografiert regelmäßig bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen für den Sydney Morning Herald. Mit der Fotoserie über die australischen Surf Life Savers gewann er den Oskar-Barnack-Preis.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, ist früher als Kind mit dem Kescher losgezogen, Fische vor dem Ertrinken zu retten.

Craig Golding, geboren 1957, fotografiert regelmäßig bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen für den Sydney Morning Herald. Mit der Fotoserie über die australischen Surf Life Savers gewann er den Oskar-Barnack-Preis.
Person Von Dimitri Ladischensky und Craig Golding
Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, ist früher als Kind mit dem Kescher losgezogen, Fische vor dem Ertrinken zu retten.

Craig Golding, geboren 1957, fotografiert regelmäßig bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen für den Sydney Morning Herald. Mit der Fotoserie über die australischen Surf Life Savers gewann er den Oskar-Barnack-Preis.
Person Von Dimitri Ladischensky und Craig Golding