Die Restposten

Ein irakischer Frachter liegt seit 13 Jahren in Bremerhaven fest. An Bord zwei Wachmänner und das Heimweh

Von hier oben, sagt Adel Jewad Kadem, sieht man die Welt ganz klar, das Leben ist nicht kompliziert, es gibt keine Nöte, alles ist geordnet und leicht. Auf einem Schaukelstuhl, den er im Inneren der „Al-Zah­raa“ gefunden hat, sitzt er an seinem Lieblingsplatz. Deck 3 zwischen Brücke und Hubschrauberlandeplatz: Von hier aus kann er die auslaufenden Schiffe betrachten, das Panorama der gepflegten Hafengebäude, die Passanten, die verwundert stehen bleiben, manchmal winken und dann ihren Gang mit erhöhter Geschwindigkeit fortsetzen, so, als ob der Rost des Schiffes auch von ihnen Besitz ergreifen könnte.

Es hätte ein leichter Job werden können. Ein halbes Jahr bezahltes Nichtstun und dann zurück in die Heimat. Ein halbes Jahr die einzigen Gäste auf einem Geisterschiff. Liegestuhl auf dem Deck, Tischtennis in der Offiziersmesse, schlafen, so lange man wollte. Aber dann kam etwas Unerhörtes, etwas, das den Urlaubs­charakter ihrer Mission trübte. Es kam um vier Uhr morgens, Kadem hatte wieder ein­mal nicht schlafen können. Als er im Radio hörte, dass die ersten Rauchfahnen über Bagdad aufstiegen, weckte er Subhe Abdullah Moosa: „Der Krieg hat begonnen!“

Die Geschichte der „Al-Zahraa“ ist die eines Schiffes, das zur falschen Zeit am falschen Ort war. 1983 gebaut, transportierte der Frachter im Iran-Irak-Krieg Panzer. 1990 läuft das 6000-Bruttoregistertonnen-Schiff ohne Ladung in Bremerhaven ein, weil die Maschine repariert werden muss. Als sie gerade ausgebaut worden ist, verhängen die Vereinten Nationen ein Embargo, weil der Irak Kuwait angegriffen hat. Seither ist der 110 Meter lange Frachter im Hafen arretiert. Der irakische Eigner schickt in Halbjahresabständen zwei Leute, die das Schiff bewachen sollen. Richtige Seeleute kommen selten, streng genommen wird ja auch niemand gebraucht, der wirklich seetauglich ist. Warten müssen sie können, geduldig sein.

Die Post geht immer an Herrn Haas, gegen­über. Weil ein Schiff ja keinen Briefkasten hat. Ein Schiff ist unterwegs, normalerweise. Es ist das Wesen eines Schiffes, keine Adresse zu haben. „In letzter Zeit ist keine Post mehr gekommen“, sagt Haas. „Sie können ja jetzt nicht mehr den Saddam draufkleben.“ Haas ist Chef des Schiffsausrüsters Weser Shipstores, sein Büro ist gleich neben jenem traurigen Kasten Stahl, der so heißt wie die Tochter des Propheten Mohammed: „Al-Zahraa“, die Rose. „Eine verblühte Rose“, sagt Haas und blickt auf die irakische Flagge, die jetzt nur noch in Fetzen am Stock hängt. Haas hat den Verfall des Schiffes erlebt, das Abplatzen der weißen Farbe, den Wildwuchs des Rostes, die wechselnden Wachmannschaften. „Schon die erste Besatzung verkaufte sofort, was nicht niet- und nagelfest war.“ Die nächsten Besatzungen wollten auch ihre Geschäfte machen, und weil man Kumpel nicht anschwärzt, wurden die Inventarlisten eben nahtlos weitergeführt. Laut Liste fehlte nie etwas, aber Haas hat schon damals gedacht: „Die letzten beiden werden bestimmt geköpft.“

Adel Jewad Kadem und Subhe Abdullah Moosa sind die Letzten. Am 21. August 2002 waren sie mit dem Auto zwölf Stunden von Bagdad nach Amman gefahren, von dort nach Frankfurt und dann nach Bremen geflogen und irgendwann erschöpft auf jenem mit 15 Seilen vertäuten Schiff gelandet, das dort im Licht des zunehmenden Mondes lag. Kadem zog in die Kapitänskajüte, Moosa in die Kammer des früheren Chefingenieurs, voneinander getrennt durch einen schmalen, mit zerschlissenen Teppichresten ausgelegten Flur. Das war ihre neue Welt.

In der Kapitänskajüte, die ihnen als Wohnzimmer dient, steht ein Tresor ohne Inhalt, ein defektes Radio, eine chinesische Schwanenuhr ohne Batterie, eine zerschlissene Ledergarnitur. An der Wand Koranverse, handgeschrieben, „betrifft Gott“, erklärt Kadem, und ein Apothekenkalender, auf dem er immer zehn Tage im Voraus abstreicht. Moosa ist in der Küche, das heißt in jenem Raum des Zweiten Offiziers, den sie sich als Küche hergerichtet haben. Die frühere Küche betreten sie nicht. Dort hat der Staub von 13 Jahren irgendwann selbst die Maden in ihren Essens­resten erstickt.


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mare No. 41

No. 41Dezember 2003 / Januar 2004

Von Andreas Wenderoth und Jesco Denzel

Nach der im wahrsten Sinne ätzenden Recherche in den vermoderten Gängen des Frachters ließ sich Autor Andreas Wenderoth, Jahrgang 1965, nur mühsam überreden, seinen Schaukelstuhl auf dem sonnigen Oberdeck zu verlassen.

Jesco Denzel, geboren 1972, fotografierte über Monate den Alltag der Iraker. Bei seinen ersten Besuchen musste der Hannoveraner noch Steinchen gegen das Schiff werfen, ehe die Gangway herabgelassen wurde. Einfacher liefen dann die Verabredungen per Handy. Doch bis die beiden ihre Nummer hergaben, brauchte es viele Tassen Tee und lange Gespräche.

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Vita Nach der im wahrsten Sinne ätzenden Recherche in den vermoderten Gängen des Frachters ließ sich Autor Andreas Wenderoth, Jahrgang 1965, nur mühsam überreden, seinen Schaukelstuhl auf dem sonnigen Oberdeck zu verlassen.

Jesco Denzel, geboren 1972, fotografierte über Monate den Alltag der Iraker. Bei seinen ersten Besuchen musste der Hannoveraner noch Steinchen gegen das Schiff werfen, ehe die Gangway herabgelassen wurde. Einfacher liefen dann die Verabredungen per Handy. Doch bis die beiden ihre Nummer hergaben, brauchte es viele Tassen Tee und lange Gespräche.
Person Von Andreas Wenderoth und Jesco Denzel
Vita Nach der im wahrsten Sinne ätzenden Recherche in den vermoderten Gängen des Frachters ließ sich Autor Andreas Wenderoth, Jahrgang 1965, nur mühsam überreden, seinen Schaukelstuhl auf dem sonnigen Oberdeck zu verlassen.

Jesco Denzel, geboren 1972, fotografierte über Monate den Alltag der Iraker. Bei seinen ersten Besuchen musste der Hannoveraner noch Steinchen gegen das Schiff werfen, ehe die Gangway herabgelassen wurde. Einfacher liefen dann die Verabredungen per Handy. Doch bis die beiden ihre Nummer hergaben, brauchte es viele Tassen Tee und lange Gespräche.
Person Von Andreas Wenderoth und Jesco Denzel