Die Oevenumer Reimeküche

Im „Landhaus Sternhagen“ dichtet der Chef noch selbst. Jörn Sternhagen liebt komische Lyrik fast so sehr wie das Kochen

Kommt der Gast ins „Landhaus Sternhagen“ auf Föhr, gibt es zur Begrüßung erst einmal einen Manhattan. Warum man in dem gemütlichen Friesenhaus ausgerechnet diesen mondänen Cocktail gereicht bekommt, hat damit zu tun, dass die Hauptstadt der Föhrer New York ist, aber das soll an dieser Stelle ein andermal erklärt werden. Wie auch immer, der Manhattan macht Sonne im Herzen. Was kann man dagegen haben? Besser als Küstennebel ist es allemal.

Gereicht wird der Manhattan jedenfalls von dem höchst liebenswürdigen Herrn Sternhagen. Jörn Sternhagen ist ein Mannsbild in den besten Jahren Anfang fünfzig, mit einem freundlichen friesischen Gesicht, hellwachen Augen und rosigen Wangen. Aber am besten stellt man ihn sich vor wie einen Einrad fahrenden Posaunisten auf dem Finanzamtsflur. Wo er steht und geht, verbreitet er ein warmes, fröhliches Tamtam, das auf der sonst ja leicht unterkühlten nordfriesischen Insel herzerfrischend und auch ein wenig extravagant ist. Alles in allem ein umtriebiger Geist, vor Einfällen sprühend und mit einem Humor, der den grummeligsten Ankömmling zum Lachen bringt. Denn, bei aller Liebe, auf dieser schönen Insel scheint nicht immer die Sonne.

„Sylt ist wie die Frau für eine Nacht und Amrum eher spröde, aber Föhr ist wie die Frau zum Heiraten“, sagt Jörn Sternhagen, und das klingt nun irgendwie fast schon förmlich. Überhaupt pflegt er im Umgang mit den Menschen, wie alle vernünftigen Föhrer, eine angenehme Höflichkeit. Zum Beispiel duzt er nicht ohne Weiteres – anders als die vielen Obermittelklassetouristen, die sich auf der Insel in ihrer Funktionsjackenromantik mit jedem verbrüdern, der nicht bei drei auf dem Deich ist. Nein, Föhrer duzen nicht. Außer, wenn man Freund ist oder Familie. Und vielleicht noch New Yorker.

Vor 16 Jahren kam der Cuxhavener, der im elterlichen Hotel aufwuchs, mit seiner mindestens ebenso liebenswürdigen Frau Claudia „zufällig“ nach Föhr, nach Lehr- und Wanderjahren durch Länder und Sterneküchen und Weinkeller, und hier haben sie sich mit dem „Landhaus“ ihren gastrosophischen Traum erfüllt: ein üppiger Garten, darin ein 300 Jahre alter Reethof, liebevoll hergerichtet vom kleinsten Einzelzimmer bis zum größten Doppelzimmer, anheimelnd, stilvoll, gemütlich, charmant, Kunst, wohin man guckt, eine Säule des guten Geschmacks auf Föhr.

Und gut essen kann man hier! Jörn Sternhagen kocht leidenschaftlich gern; er nennt seine Liebe zum Essen seine „erste aufrichtige und ehrliche Liebe“. Die Gäste kommen jedenfalls von weit her, wenn man das auf einer Nordseeinsel so sagen kann, sie kommen wegen seiner täglich wechselnden Drei-Gänge-Menüs, pfeifen auf die Speisekarte und haben ihn sogar gedrängt, ein Kochbuch zu schreiben, mit all den feinen Rezepten seiner Inselküche.

Aber jeden Mittwochabend gibt es einen ganz besonders guten Grund, bei ihm zu essen. Dann trägt er seine „Gerichtgedichte“ vor, zwischen den Gängen serviert im Stil eines Poetry-Slams. Hier läuft Sternhagen zu Höchstform auf, denn Dichten ist seit Langem seine zweite große Leidenschaft, und die Vorbilder sind leicht zu erkennen: alle Guten aus der komischen Fraktion der Lyrik oder aus der lyrischen Fraktion der Komik, wie man will.

Sternhagen setzt sich an einen freien Platz, vergewissert sich kurz der Aufmerksamkeit seiner geneigten Zuhörerschaft, schlägt eine Kladde auf, dann geht es los. Gedichte über alles, was einem als Mensch so begegnet, aber im großen Ganzen drehen sie sich ums Essen, um jenes, was aus dem Meer kommt, ebenso wie das von den Weiden und aus den Gärten; Galgenlieder aus der Küche, geflügelt, geerdet, fein gesponnen, grob gewebt und ohne Angst vorm Kalauern. Und sie sind alle so andersen, irgendwie valentinig und gernhardt auch mal kuttel daddeldu verringelnatzt, dass sie mindestens einen Morgenstern oder mehr verdienen.

So geht das Gang für Gang. Am Ende gehen die Gäste heim, glücklich satt und sternhagenvoll, gewissermaßen. Mittwoch kommen sie wieder.

Jörn Sternhagens Birne-Bohne-Speck
Zutaten (für 4 Personen)
500 g durchwachsener Speck, 900 g grüne Bohnen, 1 Bund Bohnenkraut, 1 Bund Zitronenverbene, 900 g Gartenbirnen (etwa „Bürgermeister“), 1 Bund Gartenpetersilie, 12 mittelgroße Föhrer Kartoffeln, Senf, Salz, Pfeffer.
Zubereitung
Den Speck im Bräter, mit Wasser bedeckt, 50 Minuten aufkochen. Bohnen putzen, in die Speckbrühe geben, würzen, 10 Minuten vor Ende die Kräuter – bis auf die Petersilie – hinzugeben. Birnen putzen, 15 Minuten im Sud ziehen lassen. Speck herausnehmen, in Streifen schneiden, mit den Bohnen aus dem Sud in vier feuerfeste Formen verteilen, die Birnen halbiert mit Stiel obenauf. Etwas vom Sud in die Form geben, mit gehackter Petersilie bestreuen und mit Salzkartoffeln heiß servieren, dazu ein Schälchen Senf.

Sternhagens Landhaus Buurnstrat 49, 25938 Oevenum auf Föhr, Tel. 04681/59790. Das Restaurant ist freitags bis montags ab 18 Uhr geöffnet. Die „Gerichtgedichte“ gibt es jeden Mittwoch um 19 Uhr. www.sternhagenslandhaus.

mare No. 105

No. 105August / September 2014

Von Karl Spurzem und Heike Ollertz

Heike Ollertz, geboren 1967 im Ruhrgebiet, ist aufgewachsen in Hamburg - fast am Elbstrand und immer mit dem Tuten der großen Pötte im Ohr. Sie ist mare Fotografin der ersten Stunde. Für den ersten mare Bildband umrundete sie Irlands Küsten. Nach einer Ausbildung am Berliner Lette Verein, studierte sie an der Universität der Künste in Berlin. Für internationale Magazine und Verlage fotografierte sie Reisereportagen in mehr als 30 Ländern. Seit ihrer Arbeit an dem mare Bildband Island, beschäftigt sie sich intensiv mit den sichtbaren Spuren des Anthropozäns in Islands Landschaften. Heike Ollertz ist Mitglied der Agentur Focus und lehrt als Professorin für Fotografie an der UE University of Applied Sciences Europe.

Karl Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.

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Vita Heike Ollertz, geboren 1967 im Ruhrgebiet, ist aufgewachsen in Hamburg - fast am Elbstrand und immer mit dem Tuten der großen Pötte im Ohr. Sie ist mare Fotografin der ersten Stunde. Für den ersten mare Bildband umrundete sie Irlands Küsten. Nach einer Ausbildung am Berliner Lette Verein, studierte sie an der Universität der Künste in Berlin. Für internationale Magazine und Verlage fotografierte sie Reisereportagen in mehr als 30 Ländern. Seit ihrer Arbeit an dem mare Bildband Island, beschäftigt sie sich intensiv mit den sichtbaren Spuren des Anthropozäns in Islands Landschaften. Heike Ollertz ist Mitglied der Agentur Focus und lehrt als Professorin für Fotografie an der UE University of Applied Sciences Europe.

Karl Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.
Person Von Karl Spurzem und Heike Ollertz
Vita Heike Ollertz, geboren 1967 im Ruhrgebiet, ist aufgewachsen in Hamburg - fast am Elbstrand und immer mit dem Tuten der großen Pötte im Ohr. Sie ist mare Fotografin der ersten Stunde. Für den ersten mare Bildband umrundete sie Irlands Küsten. Nach einer Ausbildung am Berliner Lette Verein, studierte sie an der Universität der Künste in Berlin. Für internationale Magazine und Verlage fotografierte sie Reisereportagen in mehr als 30 Ländern. Seit ihrer Arbeit an dem mare Bildband Island, beschäftigt sie sich intensiv mit den sichtbaren Spuren des Anthropozäns in Islands Landschaften. Heike Ollertz ist Mitglied der Agentur Focus und lehrt als Professorin für Fotografie an der UE University of Applied Sciences Europe.

Karl Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.
Person Von Karl Spurzem und Heike Ollertz