Die Nackten und die Speisen

In den Dünen von Sylt liegt das Restaurant „Seepferdchen“. Früher kamen nur die FKKler, heute dominiert edles Tuch

Wer kommt schon nach Samoa? Nicht viele, aber an der langen Reise liegt das nicht. Samoa liegt nicht nur in der fernen Südsee, sondern auch an der nahen Nordsee, auf Sylt. Dort kamen vor etwa 50 Jahren ein paar nackte Romantiker auf die Idee, den südlich von Rantum frisch eröffneten FKK-Strand „Samoa" zu nennen.

Diese Ignoranten dachten nämlich, auf der Südsee-Insel liefen die Wilden noch immer so nackt herum, wie Gott sie schuf. Dieser Gründungsmythos kursiert jedenfalls auf Sylt. Ein echter Samoaner zeigt sich allerdings nie unbekleidet in der Öffentlichkeit.

Sylt-Samoas Attraktion aber sind nicht die Nackten, sondern die Speisen im „Seepferdchen". Dieses possierliche, angeblich die Sinnenlust steigernde Meeresross (siehe mare No. 21) bezeichnet auf Sylt eine Gaststätte, in der es Dutzende von Fisch und Seefrüchte-Delikatessen gibt, darunter Kreationen wie „Seeteufel-Medaillon gratiniert mit Blaumohn auf Erdbeeren".

Das Haus liegt fernab menschlicher Wohnsiedlungen wie eine Festung zwischen den Dünen, um Sturm und Flut, Sonne und Sand zu trotzen. Dabei ist diese Trutzburg eine Bretterbude, die Baracke einer alten Kaserne, die der Strandvogt früher im Sommer in einen Schnellimbiss für hungrige FKKler verwandelte: mit Milchreis, Bockwurst und Erbsensuppe.

Inzwischen hat die Bude als Feinschmeckerrestaurant bei jedem Wetter, 365 Tage im Jahr, geöffnet. Die Gäste kommen nicht mehr nackt aus den Wellen, sondern steigen, in edle Textilien gehüllt, aus ihren Karossen, nehmen Platz an behaglichen Tischen, lächeln selig ins Kerzenlicht und essen, was das Meer so hergibt. Sie genießen das Rauschen der Brandung vor der Tür. Manche Gäste gönnen sich vor dem Dinner eine mehrstündige Strandwanderung.

Auch wer im Dunkeln ankommt, kann das Haus in den Dünen nicht verpassen: Von weitem schon ist die beleuchtete Flagge mit dem Seepferdchen zu sehen. Nur ab Windstärke 8 wird sie eingeholt, damit der Sturm nicht den Mast auf die Bude peitscht.

Überhaupt, bei Sturm wird es richtig gemütlich. „Dann rumpelt die ganze Hütte hin und her, und Strandkörbe fliegen ums Haus", sagt Karl Nissen-Huending, der Inhaber. Kein Seemannsgarn: Im Oktober 1991 schleuderte der Sturm ihm das Küstenmotorschiff „Dina" vor die Haustür.

Der Nordfriese Karl, von allen „Kalle" genannt, hatte jahrelang Touristen den Umgang mit dem wilden Meer beigebracht - als Surflehrer. Als Koch und Küchenmeister der Sylter Gourmet-Treffs „Hotel Stadt Hamburg", „Wit Hüs", „Pony" und „Gogärtchen" machte er ihnen Fisch und Meeresfrüchte schmackhaft. Bald aber reichten ihm Küche und Surfbrett nicht mehr. Er wollte sein eigenes Haus.

Der damals 31-Jährige setzte auf das „Seepferd", das er 1985 vom Erbauer Bruno Hansen übernahm. Hansen war nach dem Krieg Strandvogt in Rantum, zuständig für das Strandgut, das er wohl auch beim Aufbau seines Schnellimbisses verwendete.

Warum Hansen sein Lokal „Seepferdchen" nannte, ist nicht mehr festzustellen; er ist lange tot. Karl Nissen-Huending übernahm den Namen und ist seither ein Seepferdchen-Liebhaber. Entsprechende Verzierungen beherrschen das Lokal im Stil einer friesischen Blockhütte: Fahnen, Kerzenhalter, Lampen - Seepferdchen allüberall.

Nur auf der Speisekarte gibt es kein Seepferdefleisch, nicht gegrillt und nicht gebraten. Aber zum Nachtisch hat man die Pferdchen plötzlich doch auf dem Teller: Chefkoch Jens Dührkop malt sie mit einer Schokospritze auf den Rand.

Jens Dührkops Desserts sind Gemälde mit Schiffen, Fischen und Lokomotiven: Endstation Nachtisch. Seine Farben stellt er her aus Mango (gelb), Kiwi und Waldmeister (grün), Himbeere (rot) und Curaçao (blau). Seine Kreationen sind so kunstvoll, dass man das Bild gar nicht weglöffeln will.

Wer sich als Hauptgang unter den 18 verschiedenen Fischgerichten die Sylter Meeräsche im Brotteig aussucht, die Spezialität des Hauses, schafft eh kaum noch ein Dessert. Die Meeräsche wird mit Seelachs in frischen Brotteig gepackt, der sich unter den Händen des Bildhauers Dührkop in einen lächelnden Fisch verwandelt, wie Kinder ihn gerne malen.

In diesem Jahr wird der Wirt vom Nordsee-Samoa nach Südsee-Samoa reisen - und nach Seepferdchen Ausschau halten.


Sylter Meeräsche im Brotteig

1. Der Brotteig

2 Eier, 50 g Hefe, 500 g Mehl, 100 g Butter, Salz, 180 ml warme Milch, 1 Teelöffel Zucker werden zusammengerührt und kräftig ineinander verknetet. Der Teig wird, wenn er aufgeht, dreimal runtergeschlagen.

2. Der Fisch

„Die Äsche ist ein Magerfisch, schmeckt sehr lecker, passt aber nicht so gut zum etwas trockenen Brotteig wie beispielsweise der fettere Lachs", sagt Dührkop, der keine Angst vor Kombinationen hat. „Also machen wir ein Sandwich aus Lachs und Äsche." Lachs- und Äschenscheiben werden filetiert, gesäubert, gesäuert, gesalzen, schließlich gepfeffert. Jeweils ein Äschen- und ein Lachsfilet werden aufeinander geschichtet.

3. Das Gemüse

Als spezielle „Ratatouille" kommt zu einer in fünf Minuten zusammengekochten Mischung aus Lauch, roten Zwiebeln, Tomaten, Sellerie, Karotten, Champignons und Kräutern der Provence noch einen Schuss Sambal Oelek, also asiatische Schärfe. Der Brotteig wird platt gewalzt, in Fischformen (mit Augen, Flossen und Schuppen) geschnitten, mit den doppelten Fischfilets und der Ratatouille gefüllt und im Ofen gebacken. Die Brotfische werden auf Ruccola-Salat mit Kürbiskernöl und Balsamico-Dressing serviert.


Café-Restaurant "Seepferdchen"
25980 Rantum,
Tel.: 04651/55 79.

mare No. 25

No. 25April / Mai 2001

Von Wolfram Runkel und Axel Martens

Text: Wolfram Runkel

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.

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Vita Text: Wolfram Runkel

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Person Von Wolfram Runkel und Axel Martens
Vita Text: Wolfram Runkel

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Person Von Wolfram Runkel und Axel Martens