Die Magie der flatterhaften Gunst

Der Deutsche Boris Herrmann hatte die besten Karten, um bei der Vendée Globe, dem härtesten Einhandsegelrennen der Welt, zu siegen. Dann schlug das Schicksal zu

Als Boris Herrmann am 27. Januar 2021 in die Biskaya einbiegt, hat er bis dahin eigentlich alles richtig gemacht. Er hat taktisch kluge Entscheidungen getroffen. Er hat Mut und Durchhaltevermögen bewiesen. Und er hat im wochenlangen, brachialen Wüten des Südpolarmeers sein Gespür bewiesen, die hochsensible Rennyacht immer bis an die Grenzen der Belastung treiben zu können – und kein Gramm darüber hinaus. Am 79. Tag seines Rennens um die Welt, gut 20 Stunden vor dem Ziel, ist seine „Seaexplorer“ das einzige Schiff der Spitzengruppe ohne nennenswerte Schäden. 

Es ist also nicht Glück, sondern Können zu verdanken, dass er die Aussicht hat, auf einem Podiumsplatz zu landen.  

Doch dafür braucht er nun tatsächlich: Glück. Nie zuvor in der Geschichte der legendären Regatta Vendée Globe war der Ausgang so knapp. Nach 80 Tagen um die Welt werden fünf Schiffe fast zeitgleich in Les Sables-d’Olonne erwartet, dem Zielhafen an der französischen Küste. Drei Rennyachten kommen aus Osten herbeigejagt, vom Atlantik her. Boris Herrmann und der Franzose Charlie Dalin kommen aus Süden, aus der Tiefe der Biskaya. 

Herrmann hatte sich entschieden, frühzeitig in die riesige Bucht abzubiegen, weil er darauf setzt, dass der Wind dort aus einer für ihn günstigeren Richtung weht. Es ist ein typischer Januartag in der Biskaya, bedeckter Himmel, kühle, feuchte Nebelschwaden, eingeschränkte Sicht. Bei Böen bis 25 Knoten brettert das Schiff durch die aufgewühlte See entlang der französischen Atlantikküste. Dreht der Wind nur um fünf, vielleicht sogar um zehn Grad weiter westlich, fiele er aus idealem Winkel in die Segel. Herrmann könnte das Ziel direkt ansteuern – die Dreiergruppe aus dem Atlantik hingegen nicht mehr. Der zweite oder gar erste Platz wäre dem Deutschen ziemlich sicher.

Er starrt auf die Anzeigetafeln. Warum dreht der Wind nicht? Stundenlang hat er die Wettermodelle analysiert, hat den optimalen Kurs wieder und wieder berechnet.

Doch der Endspurt passt zum Verlauf der Vendée Globe: Nie waren die Wetterprognosen präziser, nie die Navigationsprogramme ausgefeilter – doch das letzte Wort hat der Wind mit all seiner Unberechenbarkeit. Am Nachmittag dann eine Prise Glück: Nach einem winzigen Dreher stürmt der Wind aus 260 Grad. Reicht das? 

Es reicht nicht. Weil zwei Stunden später das Pech zuschlägt: Ein spanischer Trawler liegt im Weg der „Seaexplorer“, 90 Seemeilen vor dem Ziel. Herrmann, der in den letzten zwei Tagen nur wenige Stunden geschlafen hat, will sich für 15 Minuten hinlegen, kontrolliert vorher, dass Radar und AIS-Funksystem aktiv sind, um vor einer Kollision zu warnen – und schreckt dann doch erst hoch, als seine Yacht gegen eine Bordwand kracht.

Wer einen Sinn für makabren Humor hat, kann in dem Crash Elemente von Glück entdecken: Niemand wird verletzt, Herrmann gelingt die Reparatur des Schadens, schleppt sich mit dem schwer versehrten Schiff sogar noch als Fünfter ins Ziel. Und das hochdramatische Finale macht weltweit Schlagzeilen, es bringt ihm mindestens so viel Ruhm ein, wie es ein unfallfreier Podiumsplatz getan hätte.

Glück und Pech sind Erscheinungsformen des Schicksals. Egal, ob man sie als Zufall, himmlische Willkür oder Vorbestimmung betrachtet, sie entziehen sich menschlichem Einfluss. Sie lassen sich nicht berechnen und nicht beeinflussen.

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mare No. 149

mare No. 149Dezember 2021/ Januar 2022

Von Andreas Wolfers und Boris Herrmann

Andreas Wolfers, geboren 1958, war Reporter beim Magazin „Geo“, Textchef des „Sterns“ und leitete von 2007 bis 2019 die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Als Flensburger segelt Wolfers seit der Kindheit, auch den Atlantik hat er schon überquert.
Im September erschien „Allein zwischen Himmel und Meer“, ein Buch über die Vendée Globe 2020/21, das er mit Herrmann geschrieben hat. Während des Rennens halfen ihm dessen tägliche Sprach- und Videonachrichten, zumindest gefühlt mit an Bord zu sein.

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Vita Andreas Wolfers, geboren 1958, war Reporter beim Magazin „Geo“, Textchef des „Sterns“ und leitete von 2007 bis 2019 die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Als Flensburger segelt Wolfers seit der Kindheit, auch den Atlantik hat er schon überquert.
Im September erschien „Allein zwischen Himmel und Meer“, ein Buch über die Vendée Globe 2020/21, das er mit Herrmann geschrieben hat. Während des Rennens halfen ihm dessen tägliche Sprach- und Videonachrichten, zumindest gefühlt mit an Bord zu sein.
Person Von Andreas Wolfers und Boris Herrmann
Vita Andreas Wolfers, geboren 1958, war Reporter beim Magazin „Geo“, Textchef des „Sterns“ und leitete von 2007 bis 2019 die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Als Flensburger segelt Wolfers seit der Kindheit, auch den Atlantik hat er schon überquert.
Im September erschien „Allein zwischen Himmel und Meer“, ein Buch über die Vendée Globe 2020/21, das er mit Herrmann geschrieben hat. Während des Rennens halfen ihm dessen tägliche Sprach- und Videonachrichten, zumindest gefühlt mit an Bord zu sein.
Person Von Andreas Wolfers und Boris Herrmann