Die Macht und das Meer

Machtpolitik ist immer auch Seemachtpolitik. In mehr als zwei Jahrtausenden hat sich daran nichts geändert

In der Weltgeschichte beanspruchen die Kontinente und Länder mit ihren verschiebbaren Grenzen die größte Aufmerksamkeit der Historiker. Sie unterschätzen oft den Einfluss der Herrschaft über die Meere auf den Lauf der Geschichte. Indessen nimmt schon in der Ilias der Katalog der Schiffe, mit denen der Krieg gegen Troja auf die kleinasiatische Seite der Ägäis getragen wurde, eine prominente Stelle ein. Homer zählt 1186 Schiffe namentlich nach Herkunft und Besatzung auf. Das liest sich wie ein „Flottenkalender“ der vorklassischen Antike. Er besingt in Hexametern die erste in der Literatur verherrlichte amphibische Militäraktion, einen „D-Day“ vor Troja. Lange überwogen im Bewusstsein der Menschen die unheimlichen Seiten des Meeres. Noch heute beklagen wir die Dramen von Flüchtlingen in Seenot. Irgendwann ist die Furcht vor dem Meer der Sorge um den Verlust der Herrschaft auf dem Meer gewichen.

Den Zeitpunkt hierfür können wir genau bestimmen. Es sind die Reden des Perikles vor den Athenern im Zusammenhang mit dem Peloponnesischen Krieg, in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts v. Chr. Der Stratege entwickelte die politische Idee von Seeherrschaft als Garantie der Überlegenheit über die Landmacht Sparta. Athen benötigte den freien Seehandel, die Lieferung von Getreide über das Meer. Als Chronist hat der antike Zeithistoriker Thukydides diese ideologische Wende als Erster zu einer Theorie der Seeherrschaft entwickelt. Der Seekrieg wurde damals mit Trieren ausgefochten, die von bis zu 170 Ruderern in drei Reihen bewegt wurden. Hunderte Schiffe mit bis zu 40 000 Soldaten kämpften in den Seeschlachten gegeneinander. Als Athen schließlich den Krieg gegen Sparta verlor, geschah das nicht zu Land, sondern zur See. Die Spartaner hatten sich durch eine persische Flotte verstärkt. 405 v. Chr. vernichteten sie die Flotte Athens vor Aigospotamoi. 30 Jahre später errang Athen die Seeherrschaft zurück. Aber mit der Zeit wuchsen die Kosten einer beherrschenden Flotte über die Möglichkeiten Athens hinaus – ein Problem, das auch spätere Seemächte kennenlernen sollten.

Im Mittelmeer und im Schwarzen Meer übten außer Athen zeitweilig die Perser und Phönizier, später Karthago und Rom nacheinander oder auch gegeneinander die Seeherrschaft aus. Sie war die Voraussetzung für den ungehinderten Übersee- und den Küstenhandel, für den Wohlstand der Handelsnationen. Deshalb bemühten sich später Venedig und Genua, Türken und Araber um die Seeherrschaft im Mittelmeer. Im Norden unternahmen 1066 die Normannen die folgenreichste amphibische Operation des Mittelalters mit ihrer Landung in England. Danach beherrschte die Hanse die Nord- und die Ostsee. Ihre historische Wirkungsmacht und kaufmännische Ausstrahlung belegen noch 1000 Jahre später die deutschen Hansestädte.

Voraussetzung waren stets überlegene Schiffe, gebaut in leistungsfähigen Werften, erfahrene Schiffsführer und Besatzungen, sichere Häfen, aber auch nautische Hilfsmittel, Kommunikation zwischen den Schiffen, Navigation und Seekarten. In jedem Fall war es wirtschaftliche Macht, die durch den von der Seeherrschaft begünstigten Handel entstand und die durch die Seemacht beschützt wurde. Entscheidende Impulse erhielt der inzwischen mit Segelschiffen betriebene Überseehandel durch die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien um Afrikas Südspitze. Entsprechend veränderten sich auch die Anforderungen an die Seeherrschaft, die diesen Handel absichern sollte.

Zunächst waren es die Spanier und die Portugiesen, die die neuen Seewege monopolisierten. Überall in Amerika und an den Küsten Afrikas und in Asien entstanden ihre Kolonien und Stützpunkte. Die päpstliche Bulle von 1493 und der Vertrag von Tordesillas teilten die jeweiligen Interessensphären unter den beiden Inhabern der Seeherrschaft auf. Dieses Kartell brachen zunächst die Niederländer auf, die die spanische Armada besiegten und der portugiesischen Casa da Índia in Asien mit ihrer 1602 gegründeten Vereenigde Oostindische Compagnie den Rang abliefen. Das „Goldene Zeitalter“ der Niederlande im 17. Jahrhundert stützte sich auf den Seehandel und die mit ihm erlangte überlegene Wirtschaftsmacht des kleinen Landes. In drei englisch-niederländischen Seekriegen errangen aber schließlich die Engländer die Seeherrschaft, die sie bis zum Ersten Weltkrieg nicht mehr abgaben. Mit den „Navigation Acts“ von 1651 sicherte sich England das ausschließliche Recht des Seehandels nach und von England auf englischen Schiffen. Die einträglichste Fracht waren im 18. Jahrhundert Sklaven aus Afrika für die amerikanische Plantagenwirtschaft. Zwischen 1600 und 1800 hatten englische Kaufleute – gestützt auf die britische Seeherrschaft – etwa 1,7 Millionen Menschen als Sklaven in die Karibik verschleppt. An diesem lukrativen Geschäft beteiligten sich auch Frankreich, die Niederlande, Spanien, Dänemark und sogar Schweden. 


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mare No. 122

No. 122Juni / Juli 2017

Von Harald Loch

Harald Loch, Jahrgang 1941, ist Jurist und Historiker und hat als Anwalt, Dozent, Dokumentarfilmer und Buchhändler gearbeitet. Er ist seit 20 Jahren Literaturkritiker für Belletristik und historische Sachbücher. Seit vielen Jahren nimmt er am Salon international du livre insulaire auf der bretonischen Insel Ouessant teil – sein Beitrag zum europäischen Gedanken.

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Vita Harald Loch, Jahrgang 1941, ist Jurist und Historiker und hat als Anwalt, Dozent, Dokumentarfilmer und Buchhändler gearbeitet. Er ist seit 20 Jahren Literaturkritiker für Belletristik und historische Sachbücher. Seit vielen Jahren nimmt er am Salon international du livre insulaire auf der bretonischen Insel Ouessant teil – sein Beitrag zum europäischen Gedanken.
Person Von Harald Loch
Vita Harald Loch, Jahrgang 1941, ist Jurist und Historiker und hat als Anwalt, Dozent, Dokumentarfilmer und Buchhändler gearbeitet. Er ist seit 20 Jahren Literaturkritiker für Belletristik und historische Sachbücher. Seit vielen Jahren nimmt er am Salon international du livre insulaire auf der bretonischen Insel Ouessant teil – sein Beitrag zum europäischen Gedanken.
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