Die Lotsenstewardessen von Laboe

Im Leuchtturm vor der Kieler Förde sitzt Deutschlands maritimste Kantine – die Messe der Lotsenstation

Um sechs holt ein rotes Boot Ulrike Martinez-Strohmeyer im Hafen von Laboe ab und bringt sie zum Leuchtturm draußen in der Kieler Förde. Unterwegs sammelt es ihre ersten Gäste ein: Ein Lotse wird von einem Frachter übernommen, ein zweiter von einem Containerschiff. Zweimal „Moin“, Frau Martinez-Strohmeyer döst weiter in ihrem Sitz. Kaum aber hat das Boot in Lee des rot-weißen Leuchtturms festgemacht, ist sie schon durch eine Stahltür verschwunden; wenig später eilt sie, in weißen Birkenstocks und langer Schürze, aus ihrer Kammer im Fuß des Leuchtturms in die Küche.

Ulrike Martinez-Strohmeyer, blond, Mitte dreißig, kocht nur für Männer, müde Männer. Ihre Gäste sind allesamt Lotsen, die Schiffe aus dem Kieler Hafen hinausbegleiten oder sie hereinholen, die Frachter und Passagierdampfer zur Holtenauer Schleuse und in den Nord-Ostsee-Kanal lotsen oder von dort abholen. Versetzboote fahren die Lotsen zwischen ihren Schiffen und dem Leuchtturm hin und her; der Turm, der seit 1967 zwischen zwei Betonanlegern aus der Ostsee aufragt, ist ihre Basis. Hier essen, lesen, schlafen sie, hier warten sie auf ihr nächstes Schiff. Nirgendwo sonst an der deutschen Küste gibt es das: eine Lotsenstation auf einem Leuchtturm im Meer.

Es ist 20 vor sieben. Vier Männer sitzen in der Messe, rascheln mit den „Kieler Nachrichten“, keiner ist in der Laune zu quatschen. Frau Martinez-Strohmeyer stellt die Kaffeemaschine an, schlägt Eier auf, schnippelt Paprika. „Für mich ein Rührei, bitte!“, tönt es aus der Messe. „Mexikanisch?“, kommt es zurück. Als Zustimmung bekommt sie nur ein Brummen. Eier und Paprika wandern in die Pfanne. Frau Martinez-Strohmeyer bringt Kaffee in die Messe, einer will Kakao. Wortkarg sitzen die Männer an zwei Tischen mit karierten Decken und Plastikveilchen darauf, essen ihre Rühreier und Butterbrote. Draußen lässt der Wind immer wieder etwas gegen einen der eisernen Fensterläden schlagen. Es klingt wie ein verstimmtes Klavier.

Irgendwann gehen die Männer, aufs Versetzboot, aufs nächste Schiff. „Dreieinhalb Meilen ab“, murmelt einer im Hinausgehen. Andere kommen, lassen sich in der mit Seestücken, Fotos von Minensuchbooten und Regattaplaketten geschmückten Messe nieder und bestellen ihrerseits das Frühstück. Und wenn nun einer anlegt, der kein Lotse ist? Ein hungriger Segler? „Verboten“, sagt Frau Martinez-Strohmeyer. Sie rührt Kuchenteig, kocht Nudeln für den Auflauf am Mittag, brät Würstchen und Schnitzel auf Vorrat für die nächste Nacht und macht Milch heiß für den Vanillepudding. Der kostet 65 Cent, auch sonst sind die Preise moderat: Rührei Mexico für 1,70 Euro, und für einen Rollmops verlangt der Lotsbetriebsverein, der die Lotsenstation und die Küche unterhält, 80 Cent.

Seit November 2005 ist Frau Martinez-Strohmeyer amtliche „Lotsenstewardess“, aber auf diesen Titel gibt sie nichts. Sie ist Köchin, hat in Winterthur und Marseille gekocht und in Laboe, dem alten Fischerdorf an der Kieler Förde, zehn Jahre ein Restaurant gehabt. Und jetzt? Von den Fenstern ihrer Küche blickt sie auf die Wellenkämme der Ostsee und auf die Schiffe; sie kocht, was sie will; sie arbeitet sieben Tage und hat dann sieben Tage frei. Besser geht es kaum, findet sie. Auch die Lotsen sind zufrieden. Gerade steckt einer den Kopf zur Tür herein: „Danke schön, war wieder lecker, der Auflauf.“ Ulrike Martinez-Strohmeyer lächelt.

Am Tag kocht sie für zehn bis 20 Leute. Manchmal steht einer vor ihrer Küchentür und liest den aufgeklebten Zettel mit der Speisekarte – Mittwoch: Nudelauflauf, Donnerstag: Cordon bleu –, um dann doch Labskaus oder Hühnerfrikassee à la carte zu essen. Die Lotsenstewardess, inzwischen erhitzt vom Wurstbraten, nimmt es mit Gleichmut und sagt, die Lotsen seien längst nicht so anspruchsvoll wie früher die Gäste im Restaurant. In vier Tagen ist eine ihrer beiden Kolleginnen an der Reihe, kann sein, dass mancher dann ein neues Lieblingsgericht findet.

Ihr Blick geht hinaus zum Lotsenboot. Es ist drei Uhr, Zeit für die Rückfahrt. Der Kühlschrank für die Nacht ist gefüllt, die Spülmaschine läuft, auf dem Ceranfeld des Herdes stehen ein paar Wasserschlieren. An Bord schaut Ulrike Martinez-Strohmeyer noch einmal kurz hinaus auf die bewegte See, dann nickt sie ein.

mare No. 66

No. 66Februar / März 2008

Von Cord Aschenbrenner und Olaf Bathke

Cord Aschenbrenner ist ständiger Mitarbeiter des Feuilletons der Neuen Zürcher Zeitung und schreibt regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung. Außerdem ist er Dozent an verschiedenen Journalistenschulen und -akademien (Akademie für Publizistik, Evangelische Medienakademie, Axel-Springer-Akademie). Er nimmt Lehraufträge an verschiedenen Universitäten wahr.

Für den Fotografen Olaf Bathke, Jahrgang 1967, das Leben zwischen den Meeren prägend für seine Arbeit. Schleswig Holstein ist Heimathafen für seine Reisen in abgelegene Küstenregionen Nordeuropas und sein Schaffen in der Metropole Hamburg. Spezialisiert hat sich Olaf Bathke auf die Bereiche Landschaft, Portrait und Hochzeit.

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Vita Cord Aschenbrenner ist ständiger Mitarbeiter des Feuilletons der Neuen Zürcher Zeitung und schreibt regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung. Außerdem ist er Dozent an verschiedenen Journalistenschulen und -akademien (Akademie für Publizistik, Evangelische Medienakademie, Axel-Springer-Akademie). Er nimmt Lehraufträge an verschiedenen Universitäten wahr.

Für den Fotografen Olaf Bathke, Jahrgang 1967, das Leben zwischen den Meeren prägend für seine Arbeit. Schleswig Holstein ist Heimathafen für seine Reisen in abgelegene Küstenregionen Nordeuropas und sein Schaffen in der Metropole Hamburg. Spezialisiert hat sich Olaf Bathke auf die Bereiche Landschaft, Portrait und Hochzeit.
Person Von Cord Aschenbrenner und Olaf Bathke
Vita Cord Aschenbrenner ist ständiger Mitarbeiter des Feuilletons der Neuen Zürcher Zeitung und schreibt regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung. Außerdem ist er Dozent an verschiedenen Journalistenschulen und -akademien (Akademie für Publizistik, Evangelische Medienakademie, Axel-Springer-Akademie). Er nimmt Lehraufträge an verschiedenen Universitäten wahr.

Für den Fotografen Olaf Bathke, Jahrgang 1967, das Leben zwischen den Meeren prägend für seine Arbeit. Schleswig Holstein ist Heimathafen für seine Reisen in abgelegene Küstenregionen Nordeuropas und sein Schaffen in der Metropole Hamburg. Spezialisiert hat sich Olaf Bathke auf die Bereiche Landschaft, Portrait und Hochzeit.
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