Die Liebesbande

In den 1970ern genossen an den Stränden von Rhodos junge schöne Griechen ein fröhliches Treiben. Sie beglückten urlauben­de Mädchen aus den kühleren Regionen Europas mit Flirts und amourösen Abenteuern.

Alten Mythen haftet ein besonderer Glanz an. Die Geschichte der kamakia von Rhodos spielt in einer verklärten Zeit. Plagen wie Aids, All-inclusive-Hotels und die Euro- krise waren noch unbekannt. Alles auf der Insel in der südöstlichen Ägäis schien unaufhaltsam immer besser zu werden. Und die Freunde Yiannis, 56, Georgios, 47, Pandelis, 57, und Takis, 49, den sie „the God“ nannten, waren noch jung.

„Goldene Zeiten“ seien das gewesen, seufzt Yiannis. „Wir hatten nicht viel Geld, aber wir waren schön und selbstbewusst. Wir bekamen alle Mädchen, die wir wollten“, erinnert sich Takis. „Die Italienerinnen waren die hübschesten“, ergänzt Pandelis. „Und die Schwedinnen natürlich die freizügigsten.“ Die ersten Mädchen kamen im Februar. Es waren die Finninnen, sie läuteten den Sommer ein. Takis lächelt versonnen: „Wir nannten sie chelidonia, Schwalben.“ Damals starteten die Saison und das Badewetter früher im Jahr. „Und wir kamakia standen glücklich am Flughafen, mit Blumen in der Hand.“

Kamaki, im Plural kamakia – eigentlich heißt das Harpune. Kamaki bedeutet aber auch Weiberheld. „Die Alten auf der Insel haben das aufgebracht. Sie sagten: ,Na, habt ihr schon wieder eine harpuniert?‘“, sagt Georgios und lacht. Bald nannten die jungen Männer sich selbst so. Der Name und das Phänomen, das er bezeichnete, breiteten sich aus, nach Kreta, nach Kos. Doch Geburtsstätte und Epizentrum der Kavaliersdelikte war Rhodos, das Eiland des Helios, die Sonneninsel.

An 330 Tagen im Jahr strahlt sie hier vom Himmel, doch das war nicht der einzige Grund, warum Rhodos unter den 3054 griechischen Inseln als erste zum Massentourismusziel avancierte. Rhodos lag im Trend. Milliardär Aristoteles Onassis ließ ab den 1950er Jahren seine Luxus- yacht „Christina O“ hier ankern. Der oscargekrönte Hollywoodfilm „Die Kanonen von Navarone“ mit Anthony Quinn wurde in den 1960ern hier gedreht. Die Insel besitzt eine Vielzahl an Attraktionen: eine mittelalterliche Stadt, antike Säulen, türkische Moscheen. Zudem Pinienhaine, Sandstrände, Meer. Und, vielleicht das Wichtigste, schon ab den 1970ern einen Flughafen. Die Militärdiktatur, die 1974 abtreten sollte, hatte ihn errichtet. Nun landeten hier die Charterflugzeuge des jungen Tourismuszeitalters. „Sie waren voller Mädchen! Französinnen, Britinnen, Däninnen!“, sagt Yiannis und gestikuliert aufgeregt, immer noch. „Wir hatten großen sexuellen Hunger damals.“ Denn die Griechinnen in der Inselprovinz wurden von den Eltern im Haus gehalten. Jungfräulichkeit galt noch als echter Wert. Doch nun lagen plötzlich Schwedinnen am Strand. „Wir sind regelrecht durchgedreht. Aber“, Yiannis hebt den Zeigefinger, „die Schwedin war freier, doch sie war nicht beliebig in ihrer Wahl. Wenn sie dich nicht wirklich mochte, ging sie nie mit dir ins Bett.“ Die Finnin dagegen sei schamhaft gewesen, „fast wie eine Südländerin“, analysiert er. Die Engländerin war leicht zu haben. Nur die Irin war nicht zu knacken. Zu katholisch. „Darum fragten wir kamakia immer: ,Where are you from?‘ Bei Irinnen machten wir uns aus dem Staub.“ Und die Deutsche? „Durchschnittlich“, urteilt Yiannis, „nicht so locker wie eine Schwedin, aber offener als eine Griechin.“

Yiannis hatte die erste Szenedisco auf der Insel, „The Space“. Heute betreibt er in Rhodos-Stadt das „Blue Lagoon“, ein Lokal mit Piratenambiente, griechischer Live-Musik und viel Trubel am Abend. Nachmittags entspannen sich hier Familien an einem kleinen Pool, über dem ein Schiffsheck ins Lokal ragt. Yiannis lehnt sich ins rote Polster einer Sitzecke und holt aus: „Die Generation unserer Großväter musste nach Übersee auswandern, um ihr Glück zu machen; unsere Väter gingen als Gastarbeiter nach Nordeuropa.“ Doch Yiannis und seine Zeitgenossen waren „die Glücksgeneration“, wie er es nennt. Sie konnten bleiben, dank des Tourismus. Und sie förderten ihn zusätzlich, auf ihre Weise. „In einer Saison hatte jeder 30 bis 40 Mädchen. Die kamen im nächsten Jahr wieder, und sie brachten ihre Freundinnen mit.“

Yiannis hat mit Freunden bereits in einer TV-Dokumentation („Kolossi of Love“) über das Thema gesprochen, wie auch in dem Kurzfilm „Kamakia“, der 2010 auf der Berlinale gezeigt wurde. Imagepflege, „für unsere Insel“, sagt er, doch das ist nicht der einzige Grund. Yiannis schwelgt gern in Erinnerungen und kramt hinter der Bar nach Fotos. Schwarz-Weiß. Gertenschlank ist er darauf, der Blick verwegen. Der heute fülligere Gastronom beherrscht ihn immer noch. Er senkt den Kopf, die dunklen Augen schmachten. Die Stimme wird tiefer, vibriert. Dann lacht er auf und schüttelt die Verführerattitüde wieder ab: eine kleine Demonstration.


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mare No. 98

No. 98Juni / Juli 2013

Von Stella Bettermann und Davide Monteleone

Autorin Stella Bettermann ist Halbgriechin, sie lebt in München und hat ihre Herkunft erfolgreich literarisch verarbeitet (Ich trink Ouzo, was trinkst du so?, Bastei Lübbe). Takis „the God“ kannte sie schon seit Längerem – als Direktor ihres Lieblingshotels auf der Insel Chalki. Von seiner Vergangenheit wusste sie aber nichts. Der italienische Fotograf Davide Monteleone lebt seit 2003 zeitweise in Russland, wo viele seiner preisgekrönten Arbeiten entstanden sind. Auf Rhodos begeisterte ihn, wie die ehemaligen kamakia auch heute noch ihr Leben genießen.

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Vita Autorin Stella Bettermann ist Halbgriechin, sie lebt in München und hat ihre Herkunft erfolgreich literarisch verarbeitet (Ich trink Ouzo, was trinkst du so?, Bastei Lübbe). Takis „the God“ kannte sie schon seit Längerem – als Direktor ihres Lieblingshotels auf der Insel Chalki. Von seiner Vergangenheit wusste sie aber nichts. Der italienische Fotograf Davide Monteleone lebt seit 2003 zeitweise in Russland, wo viele seiner preisgekrönten Arbeiten entstanden sind. Auf Rhodos begeisterte ihn, wie die ehemaligen kamakia auch heute noch ihr Leben genießen.
Person Von Stella Bettermann und Davide Monteleone
Vita Autorin Stella Bettermann ist Halbgriechin, sie lebt in München und hat ihre Herkunft erfolgreich literarisch verarbeitet (Ich trink Ouzo, was trinkst du so?, Bastei Lübbe). Takis „the God“ kannte sie schon seit Längerem – als Direktor ihres Lieblingshotels auf der Insel Chalki. Von seiner Vergangenheit wusste sie aber nichts. Der italienische Fotograf Davide Monteleone lebt seit 2003 zeitweise in Russland, wo viele seiner preisgekrönten Arbeiten entstanden sind. Auf Rhodos begeisterte ihn, wie die ehemaligen kamakia auch heute noch ihr Leben genießen.
Person Von Stella Bettermann und Davide Monteleone