Die letzte Trophäe der Wildnis

Zu Besuch bei den Perlentauchern der Südsee. Eine Reportage

Welchen Wert hat eine Perle? Mapuhi, der Perlentaucher, hat genaue Vorstellungen, was man ihm für sein taubeneigroßes Glanzstück bieten muss. „Ich will ein Haus haben“, sagt er, „es muss ein Dach aus verzinktem Eisenblech und eine achteckige Wanduhr haben. Es muss sechs Faden lang sein und rundherum eine Säulenhalle haben. Drinnen muss ein großes Zimmer sein mit einem runden Tisch in der Mitte.“ So lautet Mapuhis Forderung an den Händler Raoul, dessen Schoner in der Lagune der Perlentaucher vor Anker liegt. „Und du“, fügt Mapuhi noch keck hinzu, „musst das Haus auf meiner Insel bauen.“ Perlen haben ihren Wert.

Das Haus, etwas mehr als sechs Faden lang, mit dem großen Zimmer und dem runden Tisch in der Mitte, erstrahlt nur einen Steinwurf von der Lagune entfernt in glänzendem Grün. Schon von weit her ist es zu erkennen, denn der grobe Korallenkies im Garten ringsherum lässt nur spärlichen Bewuchs zu: eine schattenspendende Pandanuspalme und zwei Hibiskussträucher.

Abgesehen vom Säulengang könnte es jenes Haus sein, das Mapuhi für seine Perle haben wollte. Mapuhi und Raoul sind zwei Figuren aus Jack Londons Erzählung „Die Perle“. Doch das grüne Haus steht wirklich. Und: Es wurde mit einer Perle bezahlt. Uiui Tini Ford, der Mann, der mit seiner Familie darin wohnt, hat sie 1991 aus der Tiefe der Lagune seines Heimatatolls geholt: Penrhyn, eine der abgelegensten Inseln im Großen Ozean: neun Grad südliche Breite, 158 Grad westliche Länge.

Das grüne Haus gehört zu den vornehmen in Omoka, einem der zwei Dörfer auf Penrhyn. Ein paar sandige Wege verbinden ansonsten eher farblose, triste Häuschen. Zwischen ihnen Autowracks und Reste eines Bombenflugzeugs aus dem Zweiten Weltkrieg. Und ein paar Läden, in denen es Transistorbatterien, Cornedbeefdosen und Angelhaken zu kaufen gibt. Rarotonga, die Hauptinsel der Cook-Inseln, ist 1200 Kilometer entfernt.

Nicht dass es kein Leben gäbe auf Penrhyn. Hier und da kreuzt ein Hahn gemessenen Schrittes den Hauptweg. Doch selbst die paar Dutzend Kleinkinder, die barfuß über den spitzen Korallenkies springen, und die Ghettoblaster, die aus einigen Häusern dröhnen, ändern nichts daran: Omoka auf Penrhyn ist das typische, verschlafene Nest irgendwo im Südpazifik auf einer Insel, die gerade mal einen Meter aus dem Meer ragt.

Kein Strand, keine Bambushütten. Kommt einmal ein Fremder auf die Perlentaucherinsel, so wohnt er in einem fensterlosen Verschlag des Hauses von Soa Tini, dem Regierungsvertreter im Dorf. Wer sich auf der Suche nach stereotyper Südseeromantik hierher verirrt, ist selbst schuld.

Nicht viel passiert hier, selbst das Versorgungsschiff kommt nur alle zwei Monate. Und so hat noch heute jeder der rund 300 Erwachsenen den großen Perlenfund von Uiui, damals, im Gedächtnis. Regelmäßig rund war die Perle, hell leuchtend, aber mit einem geheimnisvollen grauschwarzen Glanz. Hergestellt und verpackt von einer Muschel Pinctada margaritifera, der Mother of Pearl. Zwar nicht „taubeneigroß“ wie Mapuhis Perle, aber für ein Haus reicht ein solches Prachtstück noch allemal.

„Und noch für einiges mehr“, erinnert sich der Perlentaucher ohne falsche Bescheidenheit an seinen großen Fund vor sechs Jahren, für den er 35 Meter tief tauchen musste. Ohne Gerät, versteht sich. Sauerstoffflaschen sind tabu. Ansonsten wären wohl auch alle Mother of Pearls heute abgegrast.

Uiui hat gerade Feierabend, wie alle anderen, die auf Tauchgang waren, es ist nachmittags um fünf. Keine Perle hat er heute gefunden. Aber Uiui ist dennoch aufgeräumt, bietet Instantkaffee und Schokoladenplätzchen an auf der überdachten Terrasse seines grünen Bungalows.

Der Hausherr mit dem weichen, sympathischen Gesicht eines Teddybären kommt, ganz polynesisch, auf wulstigen Füßen dahergeschlurft. Die sonnengebleichte Kleidung klebt noch vom Wasser der Lagune, das aufgedruckte Fischskelett auf dem T-Shirt wird von seinem rechtschaffenden Kugelbauch in die Länge gezogen. Wie alle seine Kollegen hat er leicht gerötete Augen. Er kommt ins Plaudern über dies und jenes aus seinem Berufsstand, auch über die spezielle Diät, die die Kräfte fürs Tauchen stärken solle: „Knödel aus Mehl und Wasser“, meint er, „aber es geht auch ohne“. So einfach ist Perlentauchen.

Einen Taucheranzug, wie andere auf der Insel, kann er nicht tragen. „Bin zu dick“, sagt er. In aller Ruhe steckt er sich eine Selbstgedrehte nach der anderen zwischen seine dicken Finger.

Uiui ist 42 Jahre alt, im besten Taucheralter, der versierteste seiner Branche auf Penrhyn und vieles mehr, seine Statur eines Neptuns würdig. Doch eines ist Uiui gewiss nicht: Jener Archetypus göttergleicher, von Muskeln und Askese strotzender Jungmannen, wie sie zum Beispiel Friedrich Murnau in seinem Filmklassiker „Tabu“ über die Perlentaucher der Südsee porträtierte.

Doch Murnaus Verklärungen sind kein Einzelfall. Perlentaucher mit ihren Funden sind die Spezies, aus der Südseelegenden gestrickt, Exotismen produziert werden. Selbst das Fachbuch „Book of Pearls“, um die Jahrhundertwende erschienen, aber auch heute noch Standardwerk, schreibt von Perlen, groß wie Billardkugeln, die die Königin Pomare von Tahiti einst besessen haben soll. Und ob Jack London je eine „taubeneigroße“ Perle gesehen hat, mag auch dahingestellt bleiben.

Perlentaucher sind weit weg, Lektüre – außer Novellen, sagenhaften Berichten und Legenden – gibt es nicht. So war sie schnell besungen, die Klasse des Perlentaucherproletariats: „Wenn sie den Wellen müde entsteigen, hält eine Perle die Hand; wenn auch ihr Leuchten nicht ihnen gehört, sie tragen sie stolz an Land“, hieß es in der auch im Westen populären Rockballade „Perlentaucher“ aus der DDR. Und das Fernsehen strahlt folkloristische Beiträge über Taucher aus, die es gar nicht gibt.

Uiui aber, den Perlentaucher von Penrhyn, gibt es. Allerdings auch nur, weil er vor Jahren einmal großes Glück und im entscheidenden Moment, mitten in der Lagune, einen Fisch zur Hand hatte. Mit diesem – bei der Arbeit nebenbei gerade frisch fürs Abendessen harpuniert – konnte er einem Hai das Maul stopfen, der es schon für den dicken Uiui aufgerissen hatte. Uiuis Abendessen war weg, geblieben ist eine kleine Narbe am Daumen, die er nun bei Kaffee und Plätzchen vorzeigen kann.

Nächster Vormittag. Eine Viertelstunde lang ist Uiui in seinem Aluminiumboot in die weite Lagune des Atolls hinausgerast; slalomartig und mit schlafwandlerischer Sicherheit den unzähligen Korallenbänken ausgewichen. Jetzt ist der Außenborder abgestellt.

Kein Zweitaktgeknatter mehr, nur noch sanftes Plätschern der Lagunenwellen. Der Anker ruht fest in einer Korallenspalte, und Uiui sitzt stoisch auf dem Bootsrand, die Arme gekreuzt über die Beine; zwei Minuten lang wird der Herr im Himmel um Beistand in der Tiefe gebeten.

Was die weltliche Vorbereitung angeht, so kennen andere Tieftaucher auf der ganzen Welt vor allem eines: hyperventilieren. Sprich: Mehrmals so tief durchatmen, wie es geht, unmittelbar vor dem Gang in die Tiefe, um die Lunge auf die Extrembelastung einzustimmen und das Verlangen nach Atmung zu dämpfen. Um 60 Prozent lässt sich dadurch die Zeit ausdehnen, die ein Mensch ohne Luft zu holen aushält; bei Arbeiten unter Wasser immerhin noch um 40 Prozent – wenn korrekt hyperventiliert wird. Uiui hat seine spezielle Technik, er hyperventiliert per Lungenzug: Das Amen des Gebets ist noch nicht verklungen, da nestelt der Mustertaucher schon am hellgrünen Tabaketui, um sich eine Zigarette zu drehen und anzuzünden. Ohne dass sie auch nur von einem Tropfen Wasser benetzt wird, gleitet er mit einer Rolle rückwärts elegant in die Lagune. Uiui, der Perlentaucher und Kettenraucher, saugt sich, Sekunden vor dem Tauchgang, noch mit Nikotin voll.

Inzwischen sind eine Handvoll weiterer Taucher eingetroffen und ringsum bei der Arbeit. Alle wollen mit Uiui tauchen. „Ich sammele die Jungs immer um mich, irgendwie habe ich die Verantwortung für sie, dass nichts passiert“, sagt er. Sanfte Zwischentöne, die zeigen, dass hinter der Routine und Ruhe der Taucher keine völlig angstfreie Atmosphäre herrscht im Reich der Tiefe und der Haie.

Gelbe Auftriebskörper und Holzbalken zeigen an, wo einer abgetaucht ist. An dem Rundholz hängen die Netze für die Muscheln und das Seil mit dem Siebenkilogrammgewicht, das beim Gang in die Tiefe hilft. Ungefähr 30 Meter ist es lang.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 2. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 2

No. 2Juni / Juli 1997

Von Ulli Kulke und Tina Hager

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

Tina Hager ist Mitarbeiterin der Fotoagentur Focus

Mehr Informationen
Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

Tina Hager ist Mitarbeiterin der Fotoagentur Focus
Person Von Ulli Kulke und Tina Hager
Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

Tina Hager ist Mitarbeiterin der Fotoagentur Focus
Person Von Ulli Kulke und Tina Hager