Die letzte Reise

Seltene Fische Indonesiens erleiden oft ein trauriges Schicksal: Sie werden zu Tausenden gefangen, in enge Bassins geworfen, mit Antibiotika gefüttert und nach Hongkong verschifft, wo sie in den Schauaquarien von Luxusrestaurants auf ihr Ende warten

An einem Sonntag im August um Mitternacht in einem Hongkonger Restaurant sieht der prächtigste Juwelen-Zackenbarsch im Aquarium einen Finger auf sich gerichtet und wenig später den Tod. 22 Tage war er seinem Tod im Bauch eines stählernen Frachtschiffs entgegengereist. Aus den Maschen eines Keschers gestülpt, war er durch eine Luke hineingefallen, mitten in das Gewimmel nach Luft schnappender Artgenossen.

Doch seine mörderische Reise begann früher: vor Sulawesi, in Indonesien. Am Morgen eines windlosen Tages, als ein Fischer in seinem Kanu auf das Meer paddelte, um Köder für Juwelen-Zackenbarsche zu fangen. Dafür glitt der Fischer über einem Riff vom Kanu ins Wasser, geradewegs in einen Schwarm von Feldwebelfischen, die auseinanderstoben und sich wieder sammelten. Bis auf wenige verfingen sich alle in seinem Netz.

Wieder in seinem Kanu hockend, klappte er Planken hoch und zog den Holzpflock aus der Bodenplanke. Er ließ das Meer in das Kanu drängen und stopfte den Pflock zurück, als er sah, dass es genug war. Seinen Fang zupfte und schüttelte er aus den Maschen des Netzes in das Meer im Kanu. Die Feldwebelfische schwammen panische Zickzackkurse. Der Fischer paddelte mit kraftvoller Langsamkeit vom Riff hinaus auf die leere See, bis dorthin, wo das Wasser von tiefblauer Farbe war.

Er fasste sich einen Köderfisch, drückte einen Angelhaken durch den pulsenden grün-weiß gestreiften Leib, knüpfte ihn an eine Nylonschnur und beschwerte sie mit Korallenstein. Dann setzte er seine aus Eisenholz geschnitzte Brille auf, klopfte an die Plastikgläser, spuckte darauf, kniete sich quer in das Kanu, beugte sich vor und beugte sich tiefer und tauchte sein Gesicht in das ruhige Meer. Von der hölzernen Spule neben seinem linken Bein ließ er die Nylonschnur durch seine Finger gleiten und sah den Feldwebelfisch mit lebhaft starrenden Augen im unendlichen Blau versinken.

Der Fischer wartete.

Er wusste, Juwelen-Zackenbarsche sind einsame Jäger, wie er selbst einer war. Nur zur Fortpflanzung sah er sie in Gruppen schwimmen. Manchmal, wenn er sein Gesicht aus dem Wasser hob und Atem holte, sprach er zu sich: „Frech! Hat den Köder abgebissen und ist weggeschwommen. Schlau. Ich warte. Auch schlau.“

Während er sprach, beköderte er die Schnur mit einem neuen Feldwebelfisch, ließ ihn ins Meer sinken, tauchte sein Gesicht ins klare Wasser und schaute durch die Brille nach Zackenbarschen. Das Kanu dümpelte in einsamer Weite. Die Sonne wanderte. Die Zahl der Köderfische nahm ab.

Plötzlich richtete sich der Fischer auf, riss die Arme hoch und holte Schnur ein: Durch die Haut des Meeres brach rot und mit wild schlagendem Schwanz der prächtigste Juwelen-Zackenbarsch und – flog. Mit einer Hand schnappte der Fischer das Tier aus der Luft und legte die zweite um seinen widerstrebenden Leib mit den blauen Tupfen. ➣

„Wie schön du bist“, sprach er zum Fisch. Seinen Ringfinger mit dem überlangen Fingernagel spreizte er ab, um die Schuppenhaut nicht zu verletzten. Er rammte eine Kanüle in den Bauch des Fisches. „Verzeih“, sagte er, „du wohnst tief, und ich habe dich schnell hochgezogen. Die Luft muss raus aus deiner Schwimmblase. Sonst verlierst du dein Gleichgewicht und kannst nicht nach Hongkong reisen.“

Behutsam setzte der Fischer den Juwelen-Zackenbarsch zu drei toten Köderfischen in das Meer im Kanu. Seine blauen Tupfen verblassten, sein Rot wurde braun und stumpf, und plötzlich liefen quer über seinen Rücken helle Streifen.

„Angst“, sagte der Fischer zu sich.

Abends paddelte er zurück zu seiner Pfahlhütte über dem Riff. Den Juwelen-Zackenbarsch ließ er in die darunter hängende Reuse gleiten. „Früher habe ich größere und mehr von euch gefangen“, sprach er zum Fisch, kletterte die Leiter zur Hütte hinauf und kochte Sagobrei. Am nächsten Morgen paddelte er hinaus aufs glatte Meer. In seinem Rücken schwamm der Juwelen-Zackenbarsch panische Kreise in der Reuse.


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mare No. 109

No. 109April / Mai 2015

Von Milda Drüke

Als die indonesischen Offiziellen an Bord des Fischtransporters kamen, sollte Milda Drüke, Jahrgang 1949, Autorin und Fotografin in Düsseldorf, sich vor ihnen in einem Kabuff des Schiffes verstecken, das sie sicher nicht kontrollieren würden. Das Kabuff war ohne Boden. Mit gegrätschten Beinen, die Hände gegen die Seitenwände gestemmt, harrte sie eine gute Stunde aus, sah in das schwappende Meer unter ihr – und freute sich über einen entkommenen Juwelen-Zackenbarsch.

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Vita Als die indonesischen Offiziellen an Bord des Fischtransporters kamen, sollte Milda Drüke, Jahrgang 1949, Autorin und Fotografin in Düsseldorf, sich vor ihnen in einem Kabuff des Schiffes verstecken, das sie sicher nicht kontrollieren würden. Das Kabuff war ohne Boden. Mit gegrätschten Beinen, die Hände gegen die Seitenwände gestemmt, harrte sie eine gute Stunde aus, sah in das schwappende Meer unter ihr – und freute sich über einen entkommenen Juwelen-Zackenbarsch.
Person Von Milda Drüke
Vita Als die indonesischen Offiziellen an Bord des Fischtransporters kamen, sollte Milda Drüke, Jahrgang 1949, Autorin und Fotografin in Düsseldorf, sich vor ihnen in einem Kabuff des Schiffes verstecken, das sie sicher nicht kontrollieren würden. Das Kabuff war ohne Boden. Mit gegrätschten Beinen, die Hände gegen die Seitenwände gestemmt, harrte sie eine gute Stunde aus, sah in das schwappende Meer unter ihr – und freute sich über einen entkommenen Juwelen-Zackenbarsch.
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