Die letzte Ölung

Frankreich erweist der Sardine einen wunderbaren Dienst

Ölsardinen kennt jeder. Die kleinen, immer ein wenig schäbig aussehenden Dosen kosteten schon immer fast nichts und gelten gemeinhin als rustikales Armeleuteessen. Das schlechte Image mag auch damit zusammenhängen, dass der in Öl konservierte kleine Seefisch vom Geschlecht der Heringe in seiner nicht eben geräumigen Behausung zum Prototyp für jede Art bedrohlicher Enge geworden ist. Er steht für die sprichwörtlich sardinenhafte Existenz. Macht der genervte Berlin-Tourist samstags im überfüllten Fahrstuhl des KaDeWe seinem Ärger Luft, fällt ihm als Erstes die Ölsardine ein.

Als Junge habe ich mich immer ein wenig geniert, die Dosenfische zu kaufen, so billig waren sie. Der Öffner zum Aufdrehen war bei vielen Marken gleich mit dabei. In den siebziger Jahren waren portugiesische Ölsardinen ein Pflichtessen für strenge Genossen. Nach der Nelkenrevolution kauften einschlägige Wohngemeinschaften die kleinen Fische gleich im Zehnerpack. Solidarität bis auf die Gräten. Das Standardrezept – Spaghetti nach „Art des alten Admirals“ – gilt bis heute: reichlich Knoblauch in Olivenöl angehen lassen, die Sardinen aus ihrer Box puhlen, zerstückeln und in die Pfanne zum Knoblauch geben, etwas Chili dazu und mit Weißwein ablöschen. Kurz ziehen lassen und zusammen mit einem kräftigen Schuss Olivenöl und frisch gemahlenem Madagaskarpfeffer über die Spaghetti geben. Geht schnell und ist köstlich.

Damals hatte noch niemand etwas von „Jahrgangssardinen“ gehört. Die meisten Zeitgenossen kennen die in Frankreich kreierte und hergestellte „sardine millésime“ bis heute nicht. Schade: Denn erstens haben sie kulinarisch etwas verpasst, zweitens konnten sie nicht miterleben, wie sich ein billiges Fischlein häutete und plötzlich zum Edelprodukt aufstieg. Auf dem Etikett prangt, mit Rahmen dramaturgisch in Szene gesetzt, der Jahrgang. Das schicke Outfit der Luxusfische hat nichts mehr mit der hässlichen Dose des gewöhnlichen Produkts zu tun. Jahrgangssardinen kosten meist zwischen vier und zehn Euro, und sie sehen richtig gut aus.

Was ist denn nun eine Jahrgangssardine? Eigentlich ist sie auch nur ein in Öl konservierter Fisch, aber die Luxusausführung. Das Wichtigste: Öl und Fisch müssen von besonderer Qualität sein. Deshalb wird feinstes Olivenöl verwendet. Von solchem Spitzenöl kostet die Menge für eine einzige Dose bis zu 50 Cent. Aber auch die Sardinen müssen Topqualität haben. Die bretonischen Fischer rühmen sich, dass sie nur die besten Fänge im September für ihre Edelproduktion verwenden; dann seien die Sardinen „vraiment exceptionelles“, weil besonders gut im Futter.

Die Fänge für die Jahrgangsdosen werden außerdem frisch verarbeitet, ohne das übliche qualitätsmindernde Schockgefrieren an Bord der Schiffe. Zudem werden die Fische geschuppt. Das ist arbeitsaufwändig und verteuert die Herstellung. Man kann ihnen auch die Haut abziehen und sie entgräten. Das ist dann noch einmal teurer, aber umstritten. Mit Haut schmecken die Sardinen kräftiger, und sie sehen deutlich besser aus als die nackte Alternative. Ohne Haut ist dafür das Mundgefühl angenehmer. In französischen Delikatessenläden gibt es häufig beide Varianten.

Seriöse Hersteller schichten die Sardinen eher locker in die Dose, damit mehr Öl hineinpasst, das sich dann besser mit dem Fischkörper verbindet. Denn entscheidend ist das Zusammenspiel von Öl und Sardine. Sonst kommt nur noch Meersalz dazu. Wichtig für die Qualität ist außerdem, so der Sardinenspezialist und Fernsehkoch Bernd Neuner-Duttenhofer, dass Druck und Temperatur bei der Konservierung stimmen. Beides darf nicht zu hoch sein, sonst ist keine Reifung möglich. Der Fisch bleibt dann unzugänglich und verbindet sich nicht mit dem Öl. Genau darauf kommt es aber an. Wenn die Sardine sechs bis acht Jahre in der Dose gereift ist, hat sie für Neuner-Duttenhofer ihren Höhepunkt erreicht, dann schmeckt sie ganz einfach sensationell. Man muss es selbst probiert haben. Der Geschmack hat mit den einfachen Ölsardinen nicht mehr viel gemeinsam. Natürlich kann man Jahrgangssardinen auch schon nach zwei, drei oder vier Jahren öffnen. Die Reifezeit bleibt Geschmackssache, ähnlich wie beim Jahrgangschampagner.

Die Jahrgangssardine ist übrigens ein Solist. Man isst sie pur, begleitet lediglich von einem Stück Weißbrot und ein paar Tropfen frischen Olivenöls. Das Öl aus der Dose wird in der Regel weggegossen, es hat seine Aufgabe erfüllt. Dazu trinkt man ein Glas Weißwein.


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mare No. 43

No. 43April / Mai 2004

Von Manfred Kriener und Hans Hansen

Hans Hansen lebt als freier Fotograf in Hamburg.

Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.

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Vita Hans Hansen lebt als freier Fotograf in Hamburg.

Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.
Person Von Manfred Kriener und Hans Hansen
Vita Hans Hansen lebt als freier Fotograf in Hamburg.

Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.
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