Die Lehrzeit des Meisters

Schurigelei und Erleuchtung – wie die mehrmonatige Fahrt auf einem Marineschulschiff nach Rio de Janeiro dem jungen Édouard Manet zur Wahl des Malerberufs verhalf

Liebe Mama,

ich bedauerte, dass Du mich nicht bis nach Le Havre begleitet hast, hätte ich nicht eine weitere Trennung und den stets so schmerzvollen Abschied gefürchtet. Du hättest unser prachtvolles Schiff sehen können, auf dem es uns so gut wie irgend möglich gehen wird. Wir verfügen hier nicht nur über das Nötigste, sondern sogar über einen gewissen Luxus, und all diese Behaglichkeiten trösten und beruhigen die armen Mamas, die gekommen sind, ihre Kinder zu verabschieden.

Die wohlgesetzten Zeilen, mit denen er Im Dezember 1848 den ersten Brief von Bord an seine Mutter beginnt, lassen es nicht vermuten, aber Édouard Manet war alles andere als ein guter Schüler. Am Collège Rollin in Paris fiel er durch Faulheit, Zerstreutheit, schlechte Leistungen, noch schlechteres Betragen und mit Karikaturen vollgekritzelte Hefte auf. Letztere bemerkte sein Onkel, der dem Jungen daraufhin Zeichenunterricht spendierte und ihn gelegentlich in den Louvre mitnahm. Manets Vater hingegen, ein hoher Beamter im Justizministerium, zeigte sich wenig empfänglich für die künstlerischen Neigungen seines Sprösslings. Nach der Schule sollte der Sohn etwas Anständiges lernen. Das Jurastudium, das der Vater für ihn anvisierte, interessierte Édouard jedoch nicht im Geringsten. Nach zähen Verhandlungen konnte man sich auf eine Laufbahn als Marineoffizier einigen – vermutlich, weil das zumindest ein bisschen nach Abenteuer und großer, weiter Welt roch.

Allerdings fiel Édouard kurz darauf bei der Aufnahmeprüfung der Offiziersschule durch. Nun blieb nur noch eines: Um die Prüfung wiederholen zu dürfen, musste er auf einem Schulschiff einmal den Äquator überqueren. Oder wie es der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe 1912 in einer frühen Manet-Monografie formulierte: „Da es ausgeschlossen schien, dem Jungen anders Vernunft beizubringen, griff man zu dem probaten Mittel gegen jugendliche Taugenichtse und tat ihn aufs Schiff.“ Das klingt zwar nach einer Zwangsmaßnahme, aber im Großen und Ganzen sollte Manet durchaus Gefallen an seinem Dasein als Offiziersanwärter auf der „Havre et Guadeloupe“ finden. Zu entnehmen ist das den vielen Briefen, die er auf der Seereise nach Rio de Janeiro vor allem an seine „chère maman“ schrieb und in denen sich der miserable Schüler als überraschend begabter Erzähler erwies.

Vermutlich hätte sein Vater sich die Sache mit dem Schulschiff zweimal überlegt, wenn er geahnt hätte, dass die Reise die künstlerischen Ambitionen seines Sohnes nur bestärken würde. Jahre später sollte Manet einem Freund berichten: „Ich habe viel gelernt auf der Reise nach Brasilien. Zahllose Nächte habe ich damit verbracht, das Spiel von Licht und Schatten im Kielwasser des Schiffes zu beobachten. Tagsüber stand ich auf dem Oberdeck und betrachtete den Horizont. So habe ich gelernt, wie man einen Himmel konstruiert.“ Allzu fordernd war der Alltag auf dem Schiff offenbar nicht, trotz eines Stundenplans, auf dem täglich vier Stunden Mathematik-, Literatur- und Englischunterricht standen. Betrachtete er einmal nicht das Meer, schrieb der junge Manet Briefe oder zeichnete. Zwar sind keine Zeichnungen von der Reise erhalten, aber in seinem späteren Werk tauchen das Meer und Schiffe auffallend häufig auf. Die rund 40 Seestücke, die er im Lauf seines Lebens schuf, sind subtile Meisterwerke, auf denen oft nichts als das Meer, der Himmel und ein mit wenigen Strichen angedeutetes Schiff zu sehen ist. Mit ihren gedämpften Blau- und Grüntönen und fast beiläufigen Kompositionen wirken sie minimalistisch und erstaunlich modern. Alle Aufmerksamkeit gilt dem Meer, das mal petrolblau, mal milchig-türkis schimmert und den Blick in die Tiefe zieht. „Herrn Manets Meer trägt mich auf den Schaumkronen seiner Wellen davon“, schwärmte der Kritiker Jules Barbey d’Aurevilly schon 1864.

Dabei war Manet eigentlich ein echter Stadtmensch, der Landschaften und dem Landleben gar nichts abgewinnen konnte. Das deutet sich auch bereits in den Briefen von der Reise nach Rio de Janeiro an, die ihn als kleinen Dandy entlarven. Mehrmals lässt er sich über das Essen an Bord aus, zunächst lobend, da es zu jeder Mahlzeit zwei Fleischgerichte gibt, später tadelnd, als das Brot durch Schiffszwieback ersetzt wird, über seine kleidsame Matrosenuniform – „Ölhut, Moltonhemd, Bluse und Hose aus Segeltuch; ein Ensemble, das sich sehr gut macht“ – und über die bequeme Ausstattung des Schiffes. „Es sind 26 Mann an Bord, inklusive einem Koch und einem Negersteward. Im Achtersteven haben wir auch einen sehr attraktiven Salon mit einem Klavier“, berichtet er gleich zu Anfang der Reise.


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mare No. 85

No. 85April / Mai 2011

Von Anneke Bokern

Anneke Bokern, Jahrgang 1971, ist Kunsthistorikerin und lebt als freie Journalistin in Amsterdam. Sie schreibt regelmäßig in mare über Kunst, zuletzt in Heft No. 69 über den brasilianischen Landschaftsarchitekten Roberto Burle Marx und sein Pflasterdesign an der Copacabana. Im Gegensatz zu Édouard Manet fand sie Rio de Janeiro jedoch „zum Niederknien schön“.

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Vita Anneke Bokern, Jahrgang 1971, ist Kunsthistorikerin und lebt als freie Journalistin in Amsterdam. Sie schreibt regelmäßig in mare über Kunst, zuletzt in Heft No. 69 über den brasilianischen Landschaftsarchitekten Roberto Burle Marx und sein Pflasterdesign an der Copacabana. Im Gegensatz zu Édouard Manet fand sie Rio de Janeiro jedoch „zum Niederknien schön“.
Person Von Anneke Bokern
Vita Anneke Bokern, Jahrgang 1971, ist Kunsthistorikerin und lebt als freie Journalistin in Amsterdam. Sie schreibt regelmäßig in mare über Kunst, zuletzt in Heft No. 69 über den brasilianischen Landschaftsarchitekten Roberto Burle Marx und sein Pflasterdesign an der Copacabana. Im Gegensatz zu Édouard Manet fand sie Rio de Janeiro jedoch „zum Niederknien schön“.
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