Die Küste der Fotografen

Warum pilgern Besitzer von Großformatkameras nach Kalifornien? Weil ihr Vorbild Edward Weston es tat

Der kalifornische Küstenstreifen von Big Sur ist der wohl meistfotografierte der Welt. Diese Landschaft ist ein Chamäleon, das seine Farbe je nach Stimmung wechselt. Schroff und abweisend grau erscheint sie, wenn Sturm die See um die Klippen jagt oder wenn sich die Nebeldecke gar nicht mehr heben will.

Dann wieder ist es, als würde hier ein freundlicher Wettergott mit dem Naturfarbkasten spielen; er schickt die Sonne und malt nur in Blau und Gold und Grün, die leuchtenden Töne von Meer, Strand und Zypressenhainen.

Nun hätte all das aus dem Küstenstreifen von Big Sur, gute 200 Kilometer südlich von San Francisco gelegen, noch längst nichts Besonderes gemacht. Denn schön ist es auch an anderen Orten der kalifornischen Pazifikküste, die sich über etwa 1200 Kilometer Länge erstreckt.

Doch dann zogen Anfang des 20. Jahrhunderts Schriftsteller, Maler und Bildhauer in den Ort Carmel und schufen eine kalifornische Version der Künstlerkolonie. Ein Fotograf begründete schließlich den Mythos von Big Sur. Er schuf die bedeutendsten Bilder seiner Laufbahn an dieser Küste und erhob den Landstrich damit in den Rang eines nationalen Denkmals, wie es nach ihm nur noch Ansel Adams mit dem Yosemite-Nationalpark gelang. Der Fotograf war Edward Weston.

Irgendwie ist es wie Weihnachten, gespannt schaut jeder von uns auf das, was die anderen jetzt auspacken. Lange genug haben wir in dem mahagonigetäfelten Hotelraum warten müssen, ehe der Leiter des Workshops nach einigen freundlichen Floskeln zur Sache kam und uns aufforderte, unsere Schätze hervorzuholen.

Was dann von den neun Teilnehmern stolz auf Stative geschraubt wird, ist ein guter Querschnitt durch die Großformatkameratechnik der vergangenen 40 Jahre. Und ich lasse mich gern beneiden, obwohl mir meine Schönheit aus gewachstem Kirschholz und schwarz eloxiertem Aluminium – eine österreichische Lotus-5-x-7-Laufbodenkamera – gar nicht gehört. Die Kamerabauer aus Ostermiething bei Salzburg haben sie mir für diesen Einsatz freundlicherweise geliehen.

Carmel. Ein Puppenstubendorf, der erzkonservative Schauspieler Clint Eastwood war hier von 1986 bis 1988 Bürgermeister, kein Schnipsel Papier liegt auf der Straße. Carmel hängt am Tropf des Tourismus, den Weston und später auch Adams mit ihren Fotos angekurbelt haben. Selbst 40 Jahre nach dem Tod Edward Westons und 18 Jahre nach dem von Ansel Adams fallen die Schatten der beiden großen Fotografen auf alles, was in und um Carmel fotografisch geschieht.

Den Workshop, in dem ich erste Versuche mit der Großformatkamera machen will, leitet der Architekturfotograf Steve Simmons, Chefredakteur der renommierten Fachzeitschrift „View Camera“.

Die meisten Kursteilnehmer sind Anfänger. Edward, der Herzspezialist aus Saskatchewan, und Julian, der Finanzmakler aus New Jersey, hatten den weitesten Weg. Fast alle Teilnehmer haben einträgliche Jobs und können sich die kostspielige Großformatfotografie leisten. Eine gute 5-x-7-Kamera kostet – ohne das notwendige Zubehör – mindestens 2500 Euro, und nach oben gibt es keine Grenzen.

Steve lässt sich von allen zeigen, was sie unter den Begriffen „shift“, „tilt“ und „swing“ verstehen. Sofort beginnt jeder damit, an den Kameras herumzuschrauben. Als Steve mit unseren Ergebnissen zufrieden ist, fragt er noch in die Runde, wo morgen früh die erste „field session“ stattfinden soll: Architektur in der Altstadt von Monterey oder Landschaft an der Küste am Point Lobos?

„Hängt vom Wind ab“, erklärt er schließlich, „es soll morgen kräftig wehen.“ Und Wind, das haben wir schon gelernt, ist für die großvolumigen Kameras Gift. Sie geraten dann leicht ins Flattern, und die Fotos werden unscharf.

Architektur oder Landschaft. Architekturfotografen schätzen an den Großformatkameras die Besonderheit, dass sich die Objektivebene und die Filmebene beliebig drehen und kippen lassen. Stürzende Linien lassen sich so vermeiden. Landschaftsfotografen wiederum reizt die beeindruckende Schärfentiefe der Bilder.

Vor allem am Wochenende bricht eine Schar von Fotografen über Big Sur und besonders über Point Lobos herein. Weil sie ständig ihre Stative in den Sand rammen, nennt man sie hier „tripod holer“, Stativlöchermacher. Natürlich kommen sie alle mit stilechten Laufbodenkameras, die denen der verehrten Meister mindestens ebenbürtig sind – mit edlen Ebonys aus Ebenholz und Titan, Wisners aus Kirsche und Messing oder Deardorffs aus Mahagoni und Aluminium.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 34. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 34

No. 34Oktober / November 2002

Von Rolf Nobel

Rolf Nobel, Jahrgang 1950, ist Fotograf der Hamburger Agentur Visum und lehrt Fotografie an der Fachhochschule Hannover. Für mare No. 17 fotografierte er die Seetangsammler auf den Orkney Islands.

Mehr Informationen
Vita Rolf Nobel, Jahrgang 1950, ist Fotograf der Hamburger Agentur Visum und lehrt Fotografie an der Fachhochschule Hannover. Für mare No. 17 fotografierte er die Seetangsammler auf den Orkney Islands.
Person Von Rolf Nobel
Vita Rolf Nobel, Jahrgang 1950, ist Fotograf der Hamburger Agentur Visum und lehrt Fotografie an der Fachhochschule Hannover. Für mare No. 17 fotografierte er die Seetangsammler auf den Orkney Islands.
Person Von Rolf Nobel