Die Kunst zu schlafen

Eine schwierige Frage: Wie schlafen eigentlich die Seevögel, die wochen­lang in der Luft bleiben?

Es lacht sich leicht über den Fregattvogel. Die tropischen Meeresvögel verbringen den Großteil ihres Lebens über dem offenen Ozean, doch für den Kontakt mit Wasser sind sie alles andere als gut gerüstet. Schon Christoph Kolumbus beschrieb das Dilemma dieser Tiere 1492 in seinem Logbuch: „Es ist ein Seevogel, niemals aber landet er auf dem Wasser.“

Die Beine des Fregattvogels sind zu kurz und die Beckenknochen zu zart zum Schwimmen, die Schwimmhäute zwischen den Zehen zu schwach ausgeprägt, um etwas bewirken zu können. Zu guter Letzt verrichtet auch die Bürzeldrüse ihre Aufgabe mehr schlecht als recht. Sie produziert derart geringe Mengen des vogeltypischen fetthaltigen Sekrets, dass es kaum zur Federpflege taugt. Und erst recht nicht dazu, das Gefieder wasserdicht zu machen, wie es für einen Meeresvogel nicht unpraktisch wäre.

Ein wasserscheuer Seevogel – wie konnte die Evolution das nur durchgehen lassen? „Das ist wirklich paradox“, sagt Niels Rattenborg vom Max-Planck-Institut (MPI) für Ornithologie in Seewiesen bei München. „Aber aus welchem Grund auch immer: Irgendwie haben sie eine Strategie entwickelt, damit umzugehen.“

Zu dieser Strategie gehört eine ungewöhnliche Jagdtechnik. Denn auch sein Futter – dazu gehören vor allem Fliegende Fische, Tintenfische und junge Seevögel – muss der Fregattvogel erbeuten, ohne dabei rundum nass zu werden. Allenfalls Schnabel und Kopf tauchen kurz unter. Oft aber schnappen sich die Vögel in der Luft Fliegende Fische, wenn diese durch Aufwinde besonders hoch über die Wasseroberfläche geweht werden.

Ergänzt wird der Speiseplan durch ein Manöver von aggressiver Dreistigkeit: Zuweilen entreißen Fregattvögel in der Luft anderen Vögeln, am häufigsten Tölpeln, deren Beute. Diese spektakulären Attacken erinnern an menschliche Überfälle von Fregatten und brachten dem Vogel seinen Namen ein.

Wasserscheu und kleptoman – damit verdient man sich kaum Bewunderer. Doch um dem Fregattvogel gerecht zu werden: Er brilliert auf anderem Gebiet – als Flugkünstler. Bis zu 400 Kilometer kann er am Tag zurücklegen, getragen von Winden, die ihn mitunter mehrere Kilometer in die Höhe aufsteigen lassen. Sowenig sich sein Körper für jede andere Fortbewegungsart eignet, so sehr ist er für ein Leben in der Luft gemacht.

Die schmalen Flügel spannen sich mehr als zwei Meter weit, und seine Knochen sowie der gesamte Körper wiegen im Verhältnis zur Größe extrem wenig. So hält es der Fregattvogel wochenlang am Stück in der Luft über dem Meer aus. Der amerikanische Dichter Walt Whitman hat ihm dafür 1867 mit seiner Ode „An den Fregattvogel“ sogar ein poetisches Denkmal gesetzt: „Geboren, dich zu messen mit dem Sturm (du bist ganz Schwingen) / Mit Himmel und Erde, Woge und Orkan / Du Schiff der Luft, das nie die Segel streicht / Tage und Wochen unermüdet immer weiter durch Räume und Fernen wirbelt …“

Wer eher pragmatisch statt derart schwärmerisch über den Fregattvogel nachdenkt, stößt schnell auf eine naheliegende Frage: Wie halten es die Tiere mit dem Schlaf?
Sich auf der Wasseroberfläche treiben zu lassen und ein kurzes Nickerchen zu halten dürfte dem wasserscheuen Seevogel schlecht bekommen. Hat also Whitman womöglich recht mit dem Ausdruck „unermüdet“? Braucht der Fregattvogel vielleicht schlicht keinen Schlaf? Das brächte ihn unangefochten an die Spitze der bizarren Tierarten, gilt Schlaf doch als biologische Notwendigkeit für jeden höheren Organismus. Schließlich kann sich wohl niemand, der schon einmal vom Sekundenschlaf am Steuer überwältigt zu werden drohte, vorstellen, dass ein Vogel wochenlang am Stück fliegt, ohne irgendwann vor Erschöpfung vom Himmel zu fallen.
Wissenschaftler waren sich lange Zeit einer Antwort sicher, ohne sie wirklich belegen zu können.

Ohne Schlaf geht es nicht, so die vorherrschende Meinung. Der Fregattvogel (und andere Langstreckenflieger) schlummere im Flug mit nur einer Gehirnhälfte. Plausibel ist diese Vermutung, weil viele Tiere, die auf oder im Wasser leben, tatsächlich den sogenannten unihemisphärischen Schlaf praktizieren.

Delfine beispielsweise können gleichzeitig schlafen und schwimmen, weil stets eine der beiden Gehirnhälften, der Hemisphären, wach und das entsprechende Auge geöffnet bleibt. Dabei bewegen sie sich unvermindert koordiniert, und „das Schlafverhalten dieser Tiere lässt sich nicht von ihrem Verhalten in ruhigen Wachphasen unterscheiden“, resümiert der russische Delfinforscher Lew Muchametow. Allerdings kommen die Meeressäuger mit beeindruckend wenig Schlaf zurecht. Einer Studie zufolge merkt man ihnen selbst fünf ununterbrochen durchwachte Tage und Nächte nicht an.

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 140. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 140

mare No. 140Juni / Juli 2020

Von Katrin Blawat und Damond Kyllo

Die Münchner Wissenschaftsjournalistin Katrin Blawat, Jahrgang 1982, beobachtet an der Isar gern schlafende Enten. Ihr fiel auf: Auch bei ihnen bleibt dabei oft eine Gehirnhälfte wach und ein Auge offen.

Damond Kyllo, geboren 1964 in Minnesota (USA), forschte einst als Ökologe in tropischen Regenwäldern. Heute arbeitet er als Pädagoge und Illustrator.

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Vita Die Münchner Wissenschaftsjournalistin Katrin Blawat, Jahrgang 1982, beobachtet an der Isar gern schlafende Enten. Ihr fiel auf: Auch bei ihnen bleibt dabei oft eine Gehirnhälfte wach und ein Auge offen.

Damond Kyllo, geboren 1964 in Minnesota (USA), forschte einst als Ökologe in tropischen Regenwäldern. Heute arbeitet er als Pädagoge und Illustrator.
Person Von Katrin Blawat und Damond Kyllo
Vita Die Münchner Wissenschaftsjournalistin Katrin Blawat, Jahrgang 1982, beobachtet an der Isar gern schlafende Enten. Ihr fiel auf: Auch bei ihnen bleibt dabei oft eine Gehirnhälfte wach und ein Auge offen.

Damond Kyllo, geboren 1964 in Minnesota (USA), forschte einst als Ökologe in tropischen Regenwäldern. Heute arbeitet er als Pädagoge und Illustrator.
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