Die Kunst zu reisen

Cooks Bordmaler zwischen Kunst und Wirklichkeit

Am 13. Juli 2004 machte eine Agenturmeldung aus London erst den Kunstmarkt, dann die Historikerschaft nervös. Das Auktionshaus Christie’s hatte die Einlieferung eines Aquarells mitgeteilt, das geeignet war, die Cook-Historiografie auf den Kopf zu stellen.

Das Werk zeigt Cooks letzte Minute auf einem Strand von Hawaii. Darauf ist zu sehen, wie der Entdecker verzweifelt um sein nacktes Leben kämpft: Cook steht einer Gruppe von Eingeborenen gegenüber, die mit Keulen auf ihn und seine Leute losgehen; er ist dabei, einen der Angreifer mit dem Kolben seines Gewehrs zu erschlagen, das offenbar den letzten Schuss abgegeben hat, denn der Pulverdampf hat sich noch nicht verzogen.

Das Aquarell widerspricht massiv der gängigen Darstellung von Cooks heroischem Tod im Februar 1779. Unzählige Stiche nach dem „offiziellen“ Bild, das der mitreisende Maler John Webber später anfertigte, sollten die noble Geste am Kealakekua-Strand in aller Welt unsterblich machen: Cook, mit dem Rücken schützend vor den Insulanern, gibt seinen Leuten Signal, das Feuer auf die nur ärmlich Bewaffneten einzustellen – ehe er rücklings von denselben gemeuchelt wird.

Bald erwies sich, dass der wenig bekannte Schöpfer des Aquarells, John Clevely, keineswegs ein Nestbeschmutzer war oder gar ein Herostrat.

Clevely hatte jene und drei weitere Szenen mit Motiven der letzten Cook-Reise vor 1784 angefertigt und sich in seiner Darstellung des welterschütternden Ereignisses auf den Bericht seines Bruders, Schiffszimmermann der „Resolution“, gestützt, der – anders als Webber selbst – Augenzeuge des tödlichen Händels war. Als Clevely wenig später starb, erwarb der Londoner Kupferstecher John Martyn die Clevely-Aquarelle, nahm sie als Vorlage für Aquatintaradierungen, die die Szene verfälschend heroisierten, und verkaufte sie mit außerordentlichem Erfolg; unter anderem zierten sie den Reisebericht des Zweiten Offiziers James King.

Wir müssen annehmen, dass es sich bei den Änderungen der Clevely-Aquarelle um einen Fall von historischem Revisionismus handelte. Offensichtlich stand Martyn im Einklang mit der Darstellung von Cooks Tod, die Spin-Doktoren in der Admiralität autorisiert hatten. Unklar ist, warum erst vier Jahre nach Rückkehr der Expedition überhaupt Bilder der Todesszene veröffentlicht wurden. Sorgten sich die Admirale um den Nimbus des Entdeckers? Waren es einflussreiche Unternehmer, die die politisch-ökonomischen Implikationen eines weniger ehrenhaften Cook-Bildes zu vermeiden suchten? Oder waren Martyns Änderungen schlicht der ostentative Akt eines Künstlers des neuen Idealismus in der Malerei?

Während sich das katholische Europa verzückt dem Versailler Diktat des Rokoko ergab, regte sich im puritanischen England trotziger Widerstand gegen die Hegemonie des Louis quinze und dessen raffinierte, naturferne, verspielt-schöne Weltsicht. Voller Abscheu setzten englische Künstler der flatterhaften Galanterie die reine Vernunft entgegen. „Anstatt sich anzustrengen, die Menschen mit der Nettigkeit seiner Nachahmung zu unterhalten, soll der wirkliche Maler danach streben, sie durch die Größe seiner Idee zu bessern“, hatte Joshua Reynolds, Gründer der Royal Academy und einflussreichster Künstler im England seiner Zeit, mit puritanischem Eifer gefordert und damit für die englische Kunst einen Platz auf der Bühne des 18. Jahrhunderts.

In dieselbe Epoche fiel ein zweites Ereignis, das die geistige Sphäre in der Mitte des 18. Jahrhunderts charakterisierte: die Vermählung von Kunst und Naturwissenschaft.

Die Aufklärung hatte das empirische Interesse nach dem Dunkel des Dreißigjährigen Krieges wieder geweckt. Die Konkurrenz der Erklärungsmodelle, Enzyklopädien, die noch junge Reiseliteratur, Zeichnungen, Gemälde, Studien und Zeitschriften ermunterten zur Erschließung neuer Naturräume. Die Wiederentdeckung der Natur und die Formung ihrer Wissenschaft schien die Fortsetzung der Renaissance. Wie in jener Epoche konnte die Malerei, das spürten die Künstler, der Wissen- schaft wieder ebenbürtig sein.


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mare No. 55

No. 55April / Mai 2006

Von Karl J. Spurzem

Karl J. Spurzem, Jahrgang 1959 und Kunsthistoriker, ist Chef vom Dienst bei mare.

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