Die Kunst des Ränkespiels

Ein Hanseschiff erbeutet 1473 ein kostbares Bild des Meisters Memling. Um die Rückgabe entspinnt sich eine europaweite Verschwörung

Am 14. April 1473 traf die „Peter von Danzig“, ein Kriegsschiff der deutschen Hanse unter dem Danziger Kapitän Paul Beneke, in englischem Gewässer auf zwei Galeeren, die Handelsschiffe „San Giorgio“ und „San Matteo“. Beide gehörten dem Florentiner Eigner Tommaso Portinari, einem Kaufmann aus dem flandrischen Brügge. Von dort waren sie aufgebrochen, ihr erstes Ziel war Southampton. Paul Beneke, „ein hart Sevogel“, zögerte keinen Augenblick, die beiden Handelsschiffe anzugreifen, um sie zu kapern und ihre Ladung zu erbeuten.

Der Kampf war ungleich und nur von kurzer Dauer. Denn die „Peter von Danzig“, auch als „Dat grote Kraweel“ bekannt, war das größte und am besten ausgerüstete Kriegsschiff in den nördlichen Gewässern. Der Schiffsrumpf war glatt und aus nebeneinander sitzenden statt sich überlappenden Planken gebaut. Diese neue, aus den Werften des Mittelmeers stammende Konstruktion verlieh dem Schiff größere Manövrierfähigkeit. „Dat grote Kraweel“ war ein Dreimaster mit 750 Quadratmeter Segelfläche, mit Dutzenden Geschützen und befestigten Armbrüsten. Sie konnte bis zu 400 Mann Besatzung und Kriegsvolk aufnehmen.

Der „San Giorgio“ gelang es, der übermächtigen „Grote Kraweel“ zu entwischen, aber die „San Matteo“ wurde geentert. Einige Mitglieder der florentinischen Besatzung ertranken, andere wurden verletzt. Eine erste Musterung brachte reiche Prise zum Vorschein, etwa 300 Pfund wert, eine ungeheure Summe. Neben wertvollen Gewändern, Spezereien und dem begehrten Salz Alaun entdeckte die Besatzung zwei Altarbilder, zusammen rund 100 Pfund wert.

Eines davon, ein „Jüngstes Gericht“, erregte seiner Farbenprächtigkeit und seiner eindrucksvollen Komposition wegen die Bewunderung der Piraten. Ein Teil der Besatzung dachte daran, nicht nach Danzig zurückzukehren, um nicht teilen zu müssen. Aber Paul Beneke segelte das Schiff sicher in den Heimathafen. Bald wurde klar, dass es sich bei dem Bild um ein Meisterwerk der flämischen Schule handelte. Heute wissen wir, es ist die erste große Komposition des noch jugendlichen Meisters Hans Memling, von dem später noch zu reden sein wird.

Die „Peter von Danzig“ war urspünglich ein französischer Salztransporter gewesen, der die begehrte Ware nach Danzig gebracht hatte. Der Eigner konnte eine fällige Reparatur nicht bezahlen, verpfändete sein Schiff und starb, ohne das Pfand einzulösen. Das Schiff wurde als Kriegsschiff instand gesetzt und der Stadt Danzig von drei Handelsherren abgekauft. Einem von ihnen, Reinhold Niederhoff, fiel das „Jüngste Gericht“ als Prisenanteil zu. Er stiftete es der Georgskapelle in der Danziger Marienkirche, die der Bruderschaft der Danziger Kaufleute zugehörig war.

Freilich war die Kaperaktion Paul Benekes kein Privatunternehmen gewesen, sondern Bestandteil eines bewaffneten Konflikts der Hanse mit England. Der englische König Edward IV. hatte nach und nach die Privilegien der Hanse und deren „Stalhof“ in London beschnitten und schließlich auch die Verhaftung der hanseatischen Kaufleute in London angeordnet. Später sah sich auch in Brügge der „Kaufmann der Hanse“ (so die Kollektivbezeichnung) zunehmender Bedrohung seiner Privilegien ausgesetzt, insbesondere zum Stapelzwang, also der Zwang, die Fracht im Hafen auszuladen und zum Zweck des Vorkaufsrechts oder zur Verzollung am Ufer zu stapeln. Im letzteren Fall genügte das Auftauchen der „Grote Kraweel“ zur Einschüchterung. Aber in London gab Edward IV. den Forderungen der Hanse nicht nach, obwohl Ratgeber den Konflikt für die englischen Interessen als schädlich ansahen. Schließlich erklärte die Hanse in ihrem „wendischen“ (bremisch-hamburgisch-lübischen) und ihrem preußisch-livländischen Viertel (wozu Danzig zählte) 1469 England den Krieg.

Man darf sich den Kriegsverlauf nicht als eine Folge von Seeschlachten vorstellen. Der Streit wurde vielmehr von beiden Seiten als Kaperkrieg geführt, weshalb Kapitän Beneke auch mit einem Kaperbrief ausgestattet war, der die Aufbringung für das Feindesland bestimmter Waren legitimierte. Das wechselseitige Kapern wurde durch ökonomische Maßnahmen ergänzt, dem Boykott englischen Tuches auf dem Kontinent etwa. Dieser Sperre schlossen sich andere Monarchen an, auch Polens König, der Souverän über das „Preußen königlichen Anteils“ war, dem Danzig zugehörte. Bei Kriegen wie diesem ging es ausschließlich um die Bewahrung der Hanseprivilegien, nicht um politische Konfrontation. Daher wundert es nicht, dass die Hanse mitten im Krieg Edward IV. ein Geleit aus Schiffen zur Verfügung stellte, als dieser mit einer Streitmacht auf die Insel zurückkehrte, von der er von seinem Rivalen Heinrich VI. Lancaster vertrieben worden war. Diese Hilfsdienste hinderten den König nicht daran, nach der Wiederbesteigung des Thrones mit der hansefeindlichen Politik fortzufahren.


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mare No. 93

No. 93August / September 2012

Von Christian Semler

Der Berliner Historiker Christian Semler, 1938 - 2013, war in den 1960er Jahren Mitglied im Sozialistischen Studentenbund und einer maoistischen Organisation. Später unterstützte er die Solidarność und andere demokratische Bewegungen Osteuropas. Seit der Wende arbeitete er bei der Tageszeitung, zuerst als Redakteur, dann als Autor.

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Vita Der Berliner Historiker Christian Semler, 1938 - 2013, war in den 1960er Jahren Mitglied im Sozialistischen Studentenbund und einer maoistischen Organisation. Später unterstützte er die Solidarność und andere demokratische Bewegungen Osteuropas. Seit der Wende arbeitete er bei der Tageszeitung, zuerst als Redakteur, dann als Autor.
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Vita Der Berliner Historiker Christian Semler, 1938 - 2013, war in den 1960er Jahren Mitglied im Sozialistischen Studentenbund und einer maoistischen Organisation. Später unterstützte er die Solidarność und andere demokratische Bewegungen Osteuropas. Seit der Wende arbeitete er bei der Tageszeitung, zuerst als Redakteur, dann als Autor.
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