Die Herren Eisenjuweliere

Kleine Eisen für große Lager: Beim Hamburger Hafenbedarf Wilhelm Kelle zählen seit 50 Jahren Qualität und Handschlag

Seit fünfzig Jahren arbeiten sie nun schon zusammen, Heinrich Bertram, 72, und Artur Grawe, 81, Eisenwarenhändler und Inhaber der Firma Wilhelm Kelle Speditions- und Lagerhausbedarf, gegründet 1932 im Zippelhaus in Hamburg, in Sichtweite der Speicherstadt auf der anderen Seite des Zollkanals. Von dort kam die Kundschaft, denn Wilhelm Kelle hatte alles, aber auch alles, was eine Speicherstadt braucht.

1932 waren in der Speicherstadt noch die Winden in Betrieb, schwebten Ballen und Kisten vor den offenen Luken. An der Wand des kleinen Geschäfts hängen Halteseile und Hosengurte, wie sie bis heute für die Arbeit an offenen Speicherluken vorgeschrieben sind. Aber in der Klinkerfront am Alten Zollkanal sind fast alle Luken geschlossen, nur wenige Speicher werden noch von iranischen Teppichhändlern als Stapelplatz für ihre Waren genutzt. Vor einigen Jahren ist die Firma Kelle ein paar hundert Meter weiter gezogen. Die neue Adresse ist weniger spektakulär als das Zippelhaus. Die Fassade des Hauses Bei den Mühren 82 zieht keine Blicke auf sich. Zwar liegt das Geschäft immer noch am Alten Zollkanal, aber die Speicherstadt ist nicht mehr, was sie mal war: der größte zusammenhängende Lagerkomplex seiner Art weltweit, errichtet in nur drei Jahren – so schnell bauen heute nur noch die Chinesen. Ein ganzes Stadtviertel mit Kaufmannshäusern, Handwerker- und Hafenarbeiterquartieren wurde 1885 dafür abgerissen, 20 000 Menschen umgesiedelt, um der „Sonderwirtschaftszone“ Platz zu machen, dem Freihafen, den die Stadtväter Bismarck und dem Deutschen Reich abgetrotzt hatten. Und so entstand ein Großbauwerk der Zollfreiheit, Monument hanseatischen Kaufmannsgeists, grundsolide und nah am Wasser gebaut, rot geklinkerte Kommerzgotik auf dicken Eichenpfählen. Und so wurde Hamburg reich.

Heute sind die Speicher eine Touristenattraktion mit hohem Symbolwert, eine Sehenswürdigkeit mit ansehnlicher Patina. Wo es nach Tee und Kaffee duftete, haben sich schicke Büros eingenistet, die alles beherrschende Hamburger Hafen- und Logistik-AG (HHLA), das „Miniatur Wunderland Hamburg“ und das Foltermuseum „Hamburg Dungeon“, über das man sich auch wundern kann. Die großen Lager sind in den Hafen abgewandert oder in Gewerbegebiete mit Autobahnanschluss. Das Containerzeitalter braucht andere Stauräume, es braucht aber auch immer noch einen Laden wie Wilhelm Kelle. Das Geschäft floriert. Zur Kundschaft zählen Logistikunternehmen und Speditionsfirmen und das Museum für Arbeit. Und die Sozialbehörde kauft hier Probenstecher aus Edelstahl.

Die Tonbank, der Verkaufstisch, hat die große Sturmflut von 1962 überstanden. Die Schränke mit den 388 Schubladen hat der Firmengründer bauen lassen. Das Warenangebot ist nichts für Souvenirjäger: Fasssplinte, Plastikflaschen und Stahlband für Kisten von der Rolle, Nähgarn für Säcke, Probenbeutel, Containerplomben und Zahlenstempel für Frachtkisten, Eisengewichte, Karabinerhaken aus Messing für Seesäcke, Glasflaschen für Öle und Honigproben, Gerätestiele und Lagerbesen, extrabreit. Dinge, die es auch woanders, und Dinge, die es nur hier gibt. Der Platz reicht gerade für rund 4000 Artikel.


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mare No. 73

No. 73April / Mai 2009

Von Emanuel Eckardt und Heike Ollertz

Der Hamburger Autor Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, fand sich zwischen den Schubladen im Geschäft Wilhelm Kelle in einer Zeitinsel. Eisenkrämer dieser Qualität hielt er schon für ausgestorben. Als persönliches Souvenir kaufte er eine Schublehre aus Messing.

Fotografin Heike Ollertz, in Hamburg aufgewachsen, war fasziniert von der Ordnung, in der jeder einzelne der Tausenden maritimen Artikel seinen festen Platz hat.

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Vita Der Hamburger Autor Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, fand sich zwischen den Schubladen im Geschäft Wilhelm Kelle in einer Zeitinsel. Eisenkrämer dieser Qualität hielt er schon für ausgestorben. Als persönliches Souvenir kaufte er eine Schublehre aus Messing.

Fotografin Heike Ollertz, in Hamburg aufgewachsen, war fasziniert von der Ordnung, in der jeder einzelne der Tausenden maritimen Artikel seinen festen Platz hat.
Person Von Emanuel Eckardt und Heike Ollertz
Vita Der Hamburger Autor Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, fand sich zwischen den Schubladen im Geschäft Wilhelm Kelle in einer Zeitinsel. Eisenkrämer dieser Qualität hielt er schon für ausgestorben. Als persönliches Souvenir kaufte er eine Schublehre aus Messing.

Fotografin Heike Ollertz, in Hamburg aufgewachsen, war fasziniert von der Ordnung, in der jeder einzelne der Tausenden maritimen Artikel seinen festen Platz hat.
Person Von Emanuel Eckardt und Heike Ollertz