Die heimlichen Herrscher von New York

Das Hafenamt wacht über Piers und Kais, Flughäfen, Tunnel. Und lässt sich selbst vom Bürgermeister nichts sagen

Vor über 80 Jahren gründeten die Bundesstaaten New York und New Jersey die Port Authority. Sie organisiert seither den Hafenbetrieb an der 1400 Kilometer langen gemeinsamen Uferlinie. Sie herrscht über Flughäfen, Brücken, Tunnel und zahlreiche Gebäude. Auch das zerstörte World Trade Center gehörte der Port Authority.

Die Hafenbehörde traute sich einmal, größenwahnsinnig zu sein. Sie suchte sich einen japanischen Architekten, und in eine breite Baulücke im Süden der Insel Manhattan stellte sie nicht einen, sondern zwei Wolkenkratzer, die höher waren als alle anderen Wolkenkratzer der Welt. Die Widerstände zu Beginn des Baus, als New Yorks Bürgermeister John V. Lindsay sagte, die Gebäude erinnerten ihn an Schornsteine, verschwanden mit den Jahren. Wie ein Ehepaar warteten die silbernen Türme am Rand der Stadt auf nichts und genügten sich selbst auch dann, als an anderen Orten höhere Häuser gebaut wurden.

„Es steht immer ein Mann und keine Behörde dahinter, wenn etwas Großartiges geschieht“, sagte Rudolph Giuliani, als er nach dem 11. September Feuerwehrleute und Polizisten würdigte. Und es war im Grunde ein Mann, Austin J. Tobin, von 1945 bis Anfang der siebziger Jahre Direktor der Port Authority, welcher der wirkliche Erbauer des World Trade Center war. Tobin hatte während seiner Amtszeit dank des großen Erfolgs der New Yorker Schiffshäfen und des guten Managements durch die Port Authority Zuglinien, die Flughäfen, einen intelligent gemachten Bahnhof für Tausende von Bussen täglich, die Fähren und die Tunnel und Brücken zwischen New York und New Jersey gebaut oder in den Besitz seiner Behörde gebracht. Das World Trade Center sollte das Kronjuwel seiner Port Authority werden.

Der japanische Architekt Yamasaki hatte dem ehrgeizigen Tobin versprochen, mit zwei Wolkenkratzern – jeder 110 Stockwerke hoch – Büroplätze für mehr als 60000 Menschen zu schaffen. Tobin wollte seine Stadt in der Stadt errichten. Der Bauplatz wurde der Hafenbehörde vom New Yorker Gouverneur Nelson Rockefeller überlassen – unter der Bedingung, dass sie zugleich eine bankrotte Zuglinie unter dem Hudson River übernahm.

In New York waren private Bauunternehmer nie die ganz großen Baumeister. Zwei Behördenbosse sind die Erbauer der modernen Stadt, die mit ihren Institutionen und öffentlichen Geldern nach marktwirtschaftlichen Gesetzen nicht pleite gehen konnten. Zum einen Robert Moses, der 40 Jahre lang der Vorsitzende der städtischen Park- und Straßenkommission war. Er ließ Strände und Parks bauen, Brücken auf der anderen Seite der Stadt, aber auch Rampen und Autobahnen in die Stadt, die Nachbarschaften unter sich erstickten und arme Gegenden scharf wie Messer von wohlhabenden Stadtteilen abschnitten. Und sein ewiger Konkurrent Austin J. Tobin.

Bei der Eröffnungsfeier des World Trade Center 1975 war Tobin nicht dabei. Seine Gegner, an der Spitze der damals neu gewählte New Yorker Bürgermeister Abraham D. Beame, hatten an seinem Sturz gearbeitet und damit auch die übermächtige Hafenbehörde in die Schranken weisen wollen: diesen administrativen Bastard, dessen alles überragender Hauptsitz mitten in der Stadt lag, jedoch gelenkt wurde von stadtfremden Beamten aus zwei Staaten, aus New Jersey und New York. Das World Trade Center wurde statt von Tobin vom Bürgermeister eröffnet, der das Bild seines Vorgängers von den Kaminen nicht verwendete, sondern die Türme jetzt „das neue Weltwunder“ nannte.

Die Hochhäuser blieben bis zu ihrem Ende im Besitz der Port Authority, die sie mit behördlicher Gemächlichkeit verwaltete. Geschäftlich waren sie kein Erfolg. Nur wenige Kaufleute zogen ein, prestigereiche Rechtsanwaltskanzleien und Geldjongleure bevorzugten die Mitte der Stadt, und statt Mieten zu kassieren, musste die Port Authority mit ihren billigen Schreibtischen ganze Etagen selbst beziehen.

Zum Ende hin verleaste die Port Authority die Türme an den 70-jährigen New Yorker Bauunternehmer Larry Silverstein. Der wollte vornehme Ladengeschäfte in die unteren Etagen und die Türme zu einer ersten Adresse sanieren. Ähnlich wie sein Kollege Donald Trump pendelte Silversteins Karriere zwischen Krösus und Pleitier. Mit dem World Trade Center hatte Silverstein ganz besonders großes Pech.

Die Hochhäuser standen nur noch zwei Monate, nachdem Silverstein die Verträge unterschrieben hatte. Als die zwei Flugzeuge in den Türmen steckten, sahen sie eine knappe Stunde lang wirklich aus wie Kamine. Deren schwarze Wolken trieben so mächtig Richtung Südosten aufs Meer, dass es, aus der Ferne gesehen, auch Manhattan hätte sein können, das wie ein Dampfer langsam Fahrt aufnahm.

Dann fielen die Türme, und mit ihnen stürzte Neil D. Levin in den Tod, der gerade ernannte Direktor der Port Authority, der sich im Restaurant im 107. Stock zum Frühstück niedergesetzt hatte. 80 Angestellte der Port Authority starben am 11. September 2001.


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mare No. 33

No. 33August / September 2002

Von Michael Saur und Robert Voit

Autor Michael Saur, Jahrgang 1967, lebt in New York. Seine Geschichte ist auch eine Liebeserklärung an die Twin Towers – die er sich sogar tätowieren ließ.

Wie sensibel die Behörden auf die Gefahr neuer Anschläge reagierten, erfuhr Fotograf Robert Voit, Jahrgang 1969: Er wurde während der Aufnahmen für mare am Bus Terminal von Behörden behindert und von Passanten bedroht.

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Vita Autor Michael Saur, Jahrgang 1967, lebt in New York. Seine Geschichte ist auch eine Liebeserklärung an die Twin Towers – die er sich sogar tätowieren ließ.

Wie sensibel die Behörden auf die Gefahr neuer Anschläge reagierten, erfuhr Fotograf Robert Voit, Jahrgang 1969: Er wurde während der Aufnahmen für mare am Bus Terminal von Behörden behindert und von Passanten bedroht.
Person Von Michael Saur und Robert Voit
Vita Autor Michael Saur, Jahrgang 1967, lebt in New York. Seine Geschichte ist auch eine Liebeserklärung an die Twin Towers – die er sich sogar tätowieren ließ.

Wie sensibel die Behörden auf die Gefahr neuer Anschläge reagierten, erfuhr Fotograf Robert Voit, Jahrgang 1969: Er wurde während der Aufnahmen für mare am Bus Terminal von Behörden behindert und von Passanten bedroht.
Person Von Michael Saur und Robert Voit