Die Geburt des Tankers

Die Frage der Fragen zu Beginn des Ölzeitalters: Wie kommt das Öl bloß zum Konsumenten? Ein Schiff muss her

Das Erfinden hat in der Familie Nobel Tradition. 1837 ist der Vater Immanuel Nobel, ein schwedischer Fabrikant und Konstrukteur, nach Sankt Petersburg gekommen. Er arbeitet dort für die russische Armee, entwickelt ein Schnellfeuergewehr, eine Seemine sowie den wasserdichten Militärrucksack. Seine Kinder tun es ihm nach: Während Alfred Nobel in Schweden sein Dynamitimperium errichtet, leitet sein Bruder Ludwig Nobel in Sankt Petersburg eine Gewehrfabrik. 1873 schickt er seinen jüngeren Bruder Robert Nobel nach Aserbaidschan. Er soll Walnussholz kaufen für Gewehrschäfte. Doch in der Hauptstadt Baku angekommen, ist Robert Nobel von etwas ganz anderem fasziniert: Erdöl, das aus dem Boden sickert und seit Jahrhunderten hier gefördert wird, das einst in Fellsäcken auf Kamelen bis nach Indien und Arabien gebracht wurde und schon Alexander den Großen und Marco Polo beeindruckte.

Statt in Walnussholz investiert Robert Nobel das ihm anvertraute Vermögen von 25 000 Rubel in eine Raffinerie. Drei Jahre später ist es so weit: Mit „Nobels Leuchtöl" beliefert er den Markt in Sankt Petersburg. Im selben Jahr kommt sein Bruder Ludwig hinzu; er baut den Familienbetrieb in ein schlagkräftiges Unternehmen um. Dank moderner, dampfbetriebener Pumpen kann er die Fördermengen ständig erhöhen. Ein Glück, denn die Nachfrage nach Öl und Petroleum steigt stetig in Sankt Petersburg und Moskau. Doch es bleibt ein logistisches Problem: Schon der Weg des Öls von den Feldern rund um Baku bis in die Raffinerie kostet zu viel Zeit. Es wird in Fässern auf Eseln oder Handkarren transportiert, immer wieder verzögert sich der Nachschub durch Sandstürme, die große Hitze und nicht zuletzt durch die Sitten und religiösen Gebräuche der überwiegend muslimischen Träger.

Praktisch wäre ein Rohrsystem, damit das Öl unabhängig von Jahres- und Tageszeiten sicher in die Raffinerie gelangt. Ludwig Nobel sucht die Zusammenarbeit mit der Konkurrenz vor Ort. Doch diese ist an technischen Neuerungen nicht interessiert und bleibt skeptisch. Werden die arbeitslos gewordenen Träger eine solche Pipeline nicht attackieren? Im Jahr 1878 lässt Nobel eine erste eigene Pipeline bauen, in regelmäßigen Abständen flankiert von einem Wachturm.

Doch wie das in Baku eintreffende Öl und raffinierte Petroleum ebenso zügig weitertransportieren? Bisher werden die Holzfässer auf Segelschiffe geladen, die erst durch das Kaspische Meer und anschließend die Wolga hinauffahren. Später folgt der Transport auf der Schiene. Doch nicht nur ist das Abfüllen in Fässer umständlich - das Holz dafür ist in der Region um Baku knapp und dementsprechend teuer. Teilweise müssen die Fässer zu hohen Preisen aus den USA eingeführt werden, während vor Ort der Preis für Rohöl und Petroleum sinkt.

Ludwig Nobel erprobt bereits verschiedene Typen von Metalltanks, in denen sich das Öl lagern lässt. Nun muss es gelingen, diese Technik auch auf Schiffen einzusetzen. Erneut will er sich mit örtlichen Ölunternehmen zusammenschließen, um gemeinsam ein Tankschiff zu entwickeln. Doch diese winken wieder ab: Es könnte doch schließlich sein, dass die Amerikaner die Idee aufgreifen und ihr texanisches Öl über den Atlantik nach Europa, also auch nach Russland, bringen.

Auf einer Werft in Schweden lassen die Nobel-Brüder gleichfalls im Jahr 1878 ein geeignetes Schiff bauen - den ersten seetüchtigen Öltanker der Welt. Die „Zoroaster", benannt nach dem Religionsgründer Zarathustra, ist 56 Meter lang, 8,20 Meter breit und hat ein Fassungsvermögen von 242 Tonnen. Das Schiffsinnere ist in acht zylindrische Tanks unterteilt, von denen einige mit Wasser gefüllt werden, um das Schiff zu stabilisieren.

Transportprobleme beschäftigen eine Zeit lang auch Nobels großen Konkurrenten John D. Rockefeller auf der anderen Seite der Erde. Dieser gründet eine eigene Fassfabrik, kann so den Preis je Fass von 2,50 US-Dollar auf 0,96 US-Dollar drücken und zugleich die Transportkosten durch Preisabsprachen mit den Eisenbahnen senken. Konkurrierende Firmen kauft Rockefeller einfach auf, bis seine Standard Oil Company über 90 Prozent der Raffineriekapazität der USA verfügt.

mare No. 67

No. 67April / Mai 2008

Von Frank Keil

Frank Keil, Jahrgang 1958, lebt und arbeitet in Hamburg.

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Vita Frank Keil, Jahrgang 1958, lebt und arbeitet in Hamburg.
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Vita Frank Keil, Jahrgang 1958, lebt und arbeitet in Hamburg.
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