Die Gärten des Geistes

Georg Büchner, der große Dichter des Vormärz, strebte in früher Jugend nach tiefer Erkenntnis. Er fand sie in der Anatomie der Fische

Georg Büchner hat das Meer nie gesehen. Er hat es auch nicht besungen, sieht man einmal von den beiden Schriften ab, die der Gymnasiast seinen Eltern gewidmet hat. Noch heute rätseln Literaturwissenschaftler, warum der junge Büchner seinem strengen Vater, der als Bezirksphysikus in Darmstadt praktizierte und auch seinen ältesten Sohn für die Medizin vorbestimmt hatte, mit einer Schiffbruchgeschichte zum Geburtstag gratulierte. Offenbar beschreibt sie Büchners frühe Ahnung, dass die geheiligte Ordnung der Väter im Jahrhundert der wissenschaftlichen und industriellen Revolutionen zum Untergang verurteilt sei – was zum Leitmotiv seines literarischen Werkes werden sollte, das bis heute nichts an Sprengkraft verloren hat.

1831 verlässt Büchner das Darmstädter „Pädagog“ und bereitet sich in der väterlichen „Sektionsstube“ auf das Medizinstudium vor. Hier erlernt er das Handwerk des Sezierens und Präparierens, gemeinsam mit anderen jungen Männern, die Karl Ernst Büchner zu Wundärzten für das hessische Militär ausbildet. Er hört naturkundliche Vorlesungen und besucht das Naturalienkabinett des Großherzoglichen Museums, dem der Zoologe Johann Jakob Kaup vorsteht. Dort erwacht sein Interesse an vergleichender Anatomie, das ihn bis zu seiner Dissertation „Über das Nervensystem der Barbe“ führen wird.

Die Erforschung der Entwicklung des menschlichen Nervensystems und seiner Verbindungen zum Gehirn stehen damals noch am Anfang. Als Autoritäten gelten Carl Gustav Carus und Karl Friedrich Burdach, die naturphilosophisch in der Tradition Schellings über die Beziehungen zwischen Hirn und Seele spekulieren. Da der Mensch als das „einzig beseelte Lebewesen“ angesehen wird, betrachten sie die Entwicklung des „Seelenorgans“ unter dem Aspekt seines angeblichen Endzwecks, der Fähigkeit zum Denken und Empfinden. Der Sitz der Seele soll über die Funktionsweisen des Gehirns lokalisiert werden, die es deshalb wissenschaftlich zu erforschen gilt. Einen anderen Ansatz vertritt der Anatom und Naturforscher Lorenz Oken, der spätere Gründungsrektor der Universität Zürich. Ihm wird Büchner in seiner Probevorlesung „Über Schädelnerven“, die er im November 1836, drei Monate vor seinem Tod, in Zürich hält, Respekt zollen: „Die Natur handelt nicht nach Zwecken, sondern sie ist in allen ihren Äußerungen sich unmittelbar selbst genug. … Wenn Oken gesagt hatte: Der Schädel ist eine Wirbelsäule, so muss man auch sagen: Das Hirn ist ein metamorphosiertes Rückenmark, und die Hirnnerven sind die Spinalnerven. Wie aber dies im Einzelnen nachzuweisen sei, bleibt bis jetzt ein schweres Rätsel.“


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mare No. 99

No. 99August / September 2013

Von Holger Teschke

Autor und Regisseur Holger Teschke schrieb für mare bereits über Henry David Thoreau auf Cape Cod und über die Meeresgedichte von Bertolt Brecht.

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Vita Autor und Regisseur Holger Teschke schrieb für mare bereits über Henry David Thoreau auf Cape Cod und über die Meeresgedichte von Bertolt Brecht.
Person Von Holger Teschke
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