Die Fregattenfrisur

Ein zu Wellen geformter Haarturm und darauf ein Schiff – die Attraktion eines Balls in Versailles

Der Ball

Die Fregatte schaukelte bedrohlich. Madame de M. hatte größte Mühe, sich aufrecht zu halten und schwankte bei jedem Schritt mit. Schwer rollte das Kriegsschiff von backbord nach steuerbord, hob und senkte Bug und Heck gefährlich mit den Wellen. Madame de M. war übel, sie hatte zuviel getrunken. Obwohl sie vorsichtshalber vor dem Ball einen halben Liter Öl zu sich genommen hatte, um der gefürchteten Wirkung des Alkohols vorzubeugen, dröhnte ihr der Kopf.

Das Schiff schaukelte und schlingerte immer ausladender, und sie suchte Halt an einem Handlauf. Bis zur großen Freitreppe hatte sie es gerade noch geschafft. Sie kauerte sich unter die ersten Stufen, hob den Saum ihres Kleides etwas an, um ihn nicht zu benetzen, und verschaffte sich Erleichterung. Sie ließ ihr Wasser unter die Treppe, lange und mit zunehmender Befriedigung. Gleich fühlte sie sich besser. Nach verrichteter Notdurft richtete sie sich auf und kehrte noch immer schwer schwankenden Ganges, aber erheblich entspannter, zum Festsaal zurück. Im Flur begegnete ihr die Marquise von U., die, offensichtlich genug, ein gleiches Bedürfnis zu befriedigen suchte. Im Blick der Konkurrentin schien noch immer der Neid zu liegen, der in den Blicken aller Damen zu lesen gewesen war, als die Königin ihr vor dem ganzen Hof ein Kompliment zu ihrer Coiffüre gemacht hatte.

Bevor sie den Ballsaal wieder betrat, kontrollierte sie in einem Spiegel Kleid und Frisur und stellte fest, dass sich der Aufbau etwas gelockert hatte. Sie versuchte ihn zurechtzudrücken, gelangte aber nicht weit genug nach hinten. Sie winkte eine Zofe heran, setzte sich auf einen Schemel und wies auf ihre Frisur. Mit entschiedenem Griff zog das Mädchen eine Nadel heraus, drückte der Fregatte eine größere Welle wieder unter den Bug und steckte die Nadel zurück.


Der Brief

„Chère Maman, in aller Eile einige Zeilen, denn der Kurier wartet seit zwei Tagen, Ihnen Nachricht Ihrer Tochter zu bringen. Ich befinde mich übel und werde mich wohl diese Woche noch purgieren lassen müssen. Der letzte Ball Ihrer Majestät war einfach zuviel. Die Vorbereitungen, die Strapazen, das Fest selbst und erst der Liqueur! Und mit diesen englischen Gittern um die Coiffüre kann man sich zwar in der Tat der Mäuse erwehren, aber schlafen kann man damit doch nur schlecht. Noch immer schmerzt mir der Kopf, der Hals, der Rücken. Wie erleichtert war ich heute morgen, wenigstens schon das Schiff absetzen zu können!

Aber, ma chère Maman, was für ein Triumph! Welches Aufsehen, glauben Sie mir! Die Königin selbst hat sich herabgelassen, meine Frisur zu bemerken und mir ein Compliment zu machen. Und gerade eben hat sich ihre persönliche Putzmacherin, Rose Bertin, melden lassen. Alle nennen sie hier ‚den Minister der Mode‘, und sie wählt zusammen mit der Königin den Putz der nächsten Woche. Bestimmt will sie wissen, wer das Schiff gebaut hat und was es gekostet hat. Ich werde sie zappeln lassen! Gekostet hat es allerdings genug und nicht zuletzt meine Zeit. Gestern saß ich vier Stunden, bis nur die Frisur fertig war. Nicht zu reden vom Rest. Zuerst war der Coiffeur der Ansicht, dass der Aufbau erneuert und für diese Parure eher flach nach hinten als steil in die Höhe zeigen müsste. Es hat entsetzlich gestunken, als er das Haar vom Stützkissen gelöst und herabgelassen hat. Ich habe ihn nach der Rezeptur seiner Pomade gefragt, und gebeten, das Dachs- und Hühnerfett wegzulassen, weil ich sicher bin, dass der Gestank davon herrührt. Das sei nicht möglich, meinte er, er würde aber mehr Veilchenwurzel dazugeben, um ihn zu übertönen, und sonst solle ich mit meinem Parfüm nachhelfen.

Als er dann die Bürste zum Kämmen ansetzte, sah ich im Spiegel, wie allerlei Tierchen entflohen, fliegende und rennende. Jedenfalls bin ich froh, dass die Flohfallen neu gefüllt werden konnten; die Wirkung hatte schon lange nachgelassen, und mit den Grattoirs kratzt man sich ja wund, bevor man Linderung verspürt. Dass aber, wie er meint, nur eigenes Blut in den Wattebäuschchen nützen würde, glaube ich noch immer nicht, auch wenn ich wieder eingewilligt habe, mich dafür stechen zu lassen. Als der Aufbau der Haare, die eigentliche See, dann fertig und gepudert war, brachte der Modellbauer das Schiff, und die Putzmacherin und die Zofe haben es montiert. ‚La Belle Poule‘ heißt es, und ich habe die Coiffüre natürlich danach benannt.

Ach, Maman, Sie können sich gar nicht vorstellen, was für einen Effekt es gemacht hat, als ich erschien! Nachdem man schon ganze Dörfer und Wälder auf den Köpfen der Dames gesehen hat, ist es nicht mehr einfach, mit einer Frisur Erstaunen zu erregen, aber ein Schiff, Maman, eine veritable Fregatte! Ich muss enden, meine sehr teure Mutter, der Kurier... Gewähren Sie mir, meine liebe Mutter, die Gunst, Ihnen meine achtungsvollste Ergebenheit und tiefe Liebe auszudrücken.“


Der Bericht

Am Hof des sechzehnten Louis erregt 1778 die Frisur einer Hofdame bei einem der zahlreichen Feste der dekadenten Königin Marie-Antoinette außerordentliches Aufsehen. Um den Sieg der französischen Kriegsfregatte „Belle Poule“ über die englische „Arethuse“ zu feiern, steckt auf dem Haarturm, der Meereswellen nachempfunden ist, eine Nachbildung des siegreichen Seglers.

Die Vorgeschichte beginnt in Amerika. 1778 wird Benjamin Franklin am Hof in Versailles empfangen. Er muss bei der Entourage des Königs nicht geringes Erstaunen ausgelöst haben, weil er keine Perücke trug und seine eigenen Haare offen an seinem Kopf einfach herabhingen. Als Vertreter der Kolonien in Amerika, die am 4. Juli 1776 ihre Unabhängigkeit vom englischen Mutterhaus erklärten, bat er um Unterstützung gegen die Krone Englands. Mit dem Allianzvertrag vom 6. Februar 1778 zwischen Frankreich und dem jungen amerikanischen Staatenbund wurde sie ihm gewährt. England erklärte daraufhin Frankreich den Krieg und eröffnete ihn mit Seegefechten im Kanal. Später verlagerten sich die Schlachten vor die Küste Amerikas, wo sich die Flotten der verfeindeten europäischen Herrscherhäuser blutige Gefechte ohne entscheidenden Ausgang lieferten.


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mare No. 3

No. 3August / September 1997

Von Diana T. Gosh-Green

Quellen: Der geheime Briefwechsel zwischen Marie-Antoinette und Maria Theresia (Ullstein); Geschichte des Kostüms, Erika Thiel, Henschelverlag; Die Frisur, Maria Jedding-Gesterling, Callwey

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Vita Quellen: Der geheime Briefwechsel zwischen Marie-Antoinette und Maria Theresia (Ullstein); Geschichte des Kostüms, Erika Thiel, Henschelverlag; Die Frisur, Maria Jedding-Gesterling, Callwey

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Vita Quellen: Der geheime Briefwechsel zwischen Marie-Antoinette und Maria Theresia (Ullstein); Geschichte des Kostüms, Erika Thiel, Henschelverlag; Die Frisur, Maria Jedding-Gesterling, Callwey

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