Die Frau, die Atlantik und Pazifik verbindet

Noris E. López ist Superintendantin der Gatún-Schleuse am Panamakanal. Das letzte Mal hat sie ihn vor sechs Jahren abgefahren

Nur ein dünner Draht trennt Noris E. López vom Abgrund. 40 Meter tiefer schleppen Männer mit nacktem Oberkörper Schläuche über den Boden der Schleusenkammer. Über Walkie-Talkie dirigiert die zierliche Frau in den schlichten braunen Halbschuhen, gebügelter weißer Bluse und Blue Jeans, den weißen Schutzhelm über das schwarze Haar gestülpt, die Reparaturarbeiten: „Overhaul of the locks“, einmal im Jahr werden die Kammern der Gatún-Schleuse grundüberholt. Und das will Noris E. López, Boss am nördlichen, dem atlantischen Eingangstor in den Kanal von Panama, nicht allein den Ingenieuren überlassen.

„The land divided, the world united“, lautet das Motto der wichtigsten Wasserstraße der Welt. Auch López glaubt an die verbindende Kraft des Kanals: „Ohne ihn wären die Länder weiter voneinander entfernt. Durch den Kanal rücken auch die unterschiedlichen Kulturen näher zusammen.“ Ein Wunderwerk der Technik, nur einen einzigen Tag seit seiner Inbetriebnahme am 15. August 1914 war die Durchfahrt gesperrt, und ein Symbol für das Zusammenwachsen der Welt.

Die USA haben den Kanal gebaut und fast ein Jahrhundert lang beherrscht, aber am 31. Dezember dieses Jahres werden sie ihn an Panama übergeben – in die Hände von Menschen wie Noris E. López. Und wenn man sie da so stehen sieht, das Handy am Gürtel steckend, das Funkgerät souverän in der Hand, dann steigt das Vertrauen in die Zukunft des Kanals, über die ständig spekuliert wird, seit klar ist, dass die Amerikaner abziehen.

Die Panameña ist der Prototyp einer sympathischen Erfolgsfrau: dynamisch, pragmatisch amerikanisch, well educated und meist lächelnd, ein Produkt der jahrzehntelangen Präsenz der USA am Isthmus. Sie wohnt in einem von US-Amerikanern gebauten Bungalow in der ehemals US-amerikanischen Kanalzone und fährt einen vierradgetriebenen Nissan Pathfinder – der „american way of life“ unter den Palmen Panamas. In ihrem Büro liegt wuchtig der „Webster“, das Englischwörterbuch, als Heilige Schrift.

Ein Stipendium ermöglichte der begabten Tochter eines „armen, aber gebildeten Grundschullehrers“, wie sie selber sagt, den Besuch der High School in Charleston, USA. Zurück in Panama-Stadt, begann sie ein Ingenieurstudium. Während sich die meisten Frauen vor allem für Männer interessierten und am Ende „nur“ Mutter wurden, begeisterte sie sich für Naturwissenschaft und Technik, jobbte auf einer Schleuse – die erste Mechanikerin am Kanal.

„Ich war 23, sehr schüchtern, und die Kollegen meinten, dass ich ihnen ihre Arbeit wegnehmen würde.“ Eine harte, dreckige Arbeit, doch Noris López nahm ölverschmierte Hände und abgebrochene Fingernägel in Kauf, kämpfte gegen den Spott der Männer, die über die kleine Kollegin zunächst lächelten, am Ende aber Respekt bekundeten, weil sie dann doch mehr von Motoren verstand.

1986 schloss sie das Studium ab, aber die Kanalbehörde bevorzugte damals noch US-Akademiker. Noris López arbeitete drei Jahre als Maschinistin, kämpfte gegen die Engstirnigkeit der Verwaltung, bis man sie endlich als das nahm, was sie ist: Ingenieurin.

Heute hat sie als Frau den höchsten Posten der Kanalkommission inne und 600 Angestellte unter sich — Superintendentin Noris E. López, 44, drei Kinder, geschieden, eine selbstbewusste Frau zwischen Karriere und Familie, die voller Stolz auf das Öffnen und Schließen der Schleusentore blickt. Am schönsten sei es, „wenn drei Schiffe gleichzeitig abgefertigt werden: Eins fährt herein, eins hinaus, und eins wird gerade vom einströmenden Wasser emporgehoben. Höchste Produktivität verschafft mir ein gutes Gefühl.“

Vielleicht zeichnen die drei Mineralsteine auf ihrem sauber aufgeräumten Schreibtisch ein passendes Charakterbild: der blaue runde Agata Azul als Symbol für Frieden, Glück und Stressabbau, der blaue flache Lapislazuli für mentale Konzentration und der grüne Jadestein in der Form eines Baumes als Reichtumbringer. Vielleicht. Aber da sind auch diese sanften braunen Augen, in die sich leise Sehnsucht mischt. In einer Fabrik für Halbleiterelektronik wäre López kaum glücklich. Sie liebt die See, die Geräusche und Gerüche des Meeres, dem sie viel verdankt. Nicht nur beruflich.

Als kleines Kind litt sie an Rheuma. Ihr Vater brachte sie deshalb jeden Nachmittag an den Strand. Da hockte sie im Sand, die Wellen des Pazifischen Ozeans umspülten ihren Körper, und die Krankheit verschwand. So etwas vergisst man nicht. Die knappe Freizeit verbringt sie noch heute am Strand, und einmal hat sie sogar eine Schiffsreise gemacht: von Fort Lauderdale in Florida auf die Bahamas, im Urlaub, auf einem Kreuzfahrtschiff.

Denn die weite Welt der Meere erlebt die Schleusenchefin sonst nur durch ihr Bürofenster, von dem sie auf die Bucht von Limón blickt, wo die Frachter aus Lagos oder Miami im blauen Atlantikwasser auf die Einfahrt in die Abkürzung von Ozean zu Ozean warten, flüchtige Passanten, unterwegs nach San Francisco oder Santiago de Chile. „Ich stelle mir oft vor“, sagt López, „wie es wohl in all den fremden Häfen aussieht.“ Einmal im Monat geht sie auch an Bord eines der stählernen Riesen, doch gleich nach der Passage durch die Schleuse, wenn sich López vom reibungslosen Ablauf der Anlage überzeugt hat, steigt sie wieder aus. Adiós! Bald sieht sie nur noch den schwarzen Rauch, den der Dampfer in den blauen Himmel stößt.

Tatsächlich kennt sie den Kanal kaum. Vor sechs Jahren hat sie ihn zuletzt ganz abgefahren; mit ihrem Kollegen auf der Pazifikseite des Kanals kommuniziert sie per E-Mail, und mit der weiten Welt ist sie übers Internet verbunden – geräusch- und geruchlos. Aber das hält sie nicht lange aus. Mindestens einmal am Tag stülpt sie ihren Schutzhelm über und besichtigt ihre Schleuse. Dann nicken ihr die Arbeiter respektvoll zu, und Noris E. López freut sich darüber, wie sich die Schiffe in der Schleusenkammer heben und senken.

mare No. 15

No. 15August / September 1999

Von Roland Brockmann und Charly Kurz

Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).

Charly Kurz, 1969 geboren, studierte Fotografie und lebt in Stuttgart und New York.

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Vita Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).

Charly Kurz, 1969 geboren, studierte Fotografie und lebt in Stuttgart und New York.
Person Von Roland Brockmann und Charly Kurz
Vita Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).

Charly Kurz, 1969 geboren, studierte Fotografie und lebt in Stuttgart und New York.
Person Von Roland Brockmann und Charly Kurz