Als Daniel César Hugo Wischer in Sankt Pauli sein erstes Lokal eröffnete, sollte etwas Reelles auf den Teller: gesund, aber günstig. Fisch also, dazu Kartoffeln zur Sättigung. Weniger Kulinarik denn Ökonomie, es war schließlich das Jahr 1924. Der Mann auf der Straße hatte keine Gewichtsprobleme, aber Geldsorgen. „Ihr werdet es nicht gereu’n – der billige Preis wird euch erfreu’n!“ – der Eröffnungsslogan der Fischbratküche von Daniel Wischer. So entstand ein Klassiker der Hamburger Küche, der noch heute serviert wird: Goldbarsch mit Kartoffelsalat und einem Schnitz Zitrone, schmackhaft wie simpel – allerdings namentlich in die Irre führend.
Denn einen Goldbarsch gibt es im Meer gar nicht. Der Name ist der goldgelben Teighülle geschuldet, in der der Rotbarsch serviert wird. Ende der sechziger Jahre war Daniel Wischer ein fester Begriff für Hamburger. Inzwischen gab es zwei Fischbratküchen in der Innenstadt. Ringsum waren die ersten Kaufhäuser entstanden. Man konnte sich etwas leisten und kehrte nach dem Einkaufsbummel bei Wischer ein. Es gehörte einfach dazu. Steakhäuser oder Fastfood gab es kaum. Stattdessen Kellnerinnen mit ondulierten blonden Haaren, die Bratfisch an die gedeckten Holztische bei Daniel Wischer trugen. Wie Marion Rietzke. Mit 15 Jahren fing sie in der Fischbratküche an. Heute ist sie 67. Friseurin wollte sie einst werden, aber schon ihre Mutter arbeitete bei Wischer; so kam auch Marion Rietzke hinter den Tresen der Essensausgabe in der Steinstraße – und steht da bis heute. So einfach kann man nicht aufhören, wenn man fast ein ganzes Leben in einem Unternehmen verbracht hat. Goldbarschfilet mit Kartoffelsalat und Fassbrause gehören für sie zu Hamburg wie der Michel. „Wo gibt es so was denn noch? Frisch frittierter Fisch, direkt serviert, ganz ohne Chemie?“
Der Rotbarsch ist inzwischen schockgefroren, bevor er in die Wischer-Hallen am Hamburger Fischmarkt gelangt. Geschäftsführer Dieter B. Kasischke glaubt nicht, dass er fangfrisch besser ist, nicht bei den heutigen Distanzen. Aus dem Nordmeer stammt er meist. Bereits auf den Trawlern wird er gesäubert und tiefgefroren. In die Wischer-Halle gelangt er filetiert. Hier wird auch der Kartoffelsalat nach hauseigenem Rezept hergestellt.
Dieter B. Kasischke rettete den Familienbetrieb vor der Insolvenz Ende der Neunziger. Die Zeiten hatten sich geändert. Noch immer wurde bei Wischer auf den weißen Tellern mit blauem „DW“-Emblem serviert, dazu natürlich ein richtiges Fischbesteck. Doch das Kino in der Spitalerstraße hatte längst dicht gemacht, kleine Geschäfte wurden von Ketten verdrängt, Burger King bot Billig-Hamburger an – die eiligen Büroangestellten bevorzugten Take-away.
Kasischke musste einiges ändern, als er Wischer übernahm. Lokale Zeitungen mokierten sich über seine Sparpläne. „Alles Quatsch“, sagt Marion Rietzke, „ich zieh meinen Hut vor seinem Mut, einen solchen Betrieb zu übernehmen.“ Die Fischbratbetriebe waren faktisch pleite. Dem Bild des bösen Investors entspricht Kasischke ohnehin so gar nicht. Fast jede Bedienung kennt er beim Namen. Und er selbst lernte dazu. Als ein neuer Kartoffelsalat bei der Kundschaft nicht ankam, strich er ihn wieder und griff auf den alten zurück. In der Filiale Spitalerstraße allerdings gibt es heute auch Take-away und Fish ’n’ Chips.
Auf gestärkten weißen Tischdecken serviert man nur noch in der Steinstraße; aber das war seit je das Lokal der Stammgäste. Mehr als die Hälfte der Kunden kommen wenigstens einmal die Woche, manche kennen Wischer seit ihrer Kindheit. An Tischen sitzen Generationen von Opa bis Enkel zusammen. An den Wänden schimmern goldene maritime Bilder. Selbst ein Teil des Gestühls stammt noch aus alten Tagen. Und noch immer bahnen sich zur Mittagszeit, wenn jeder Tisch besetzt ist, (meist) blonde Kellnerinnen, schwer beladen, ihren Weg. Auf den Tellern vor allem Goldbarschfilet – wieder: Denn auch Kasischkes Idee, das Gericht auf der Speisekarte korrekt Rotbarsch zu nennen, lehnten die stoisch traditionellen Hamburger ab. Jetzt sind alle wieder glücklich. Ein einfaches Gericht, das nach Kindheit schmeckt, Erinnerungen auslöst, wie bei Proust einst die Madeleines.
Goldbarsch mit Kartoffelsalat
Zutaten (für vier Personen)
800 g Rotbarschfilet, 3 Eier, 150 ml Bier, etwas Mehl, 2 TL Senf, 10 EL Rapsöl, 3 EL Olivenöl, 800 g kleine Kartoffeln, 150 ml Gemüsefond. 2 EL weißer Essig, ½ Bund Petersilie.
Zubereitung
Filets mit Mehl bestäuben. Eier mit Bier verquirlen und so viel Mehl unterrühren, dass ein dickflüssiger Teig entsteht. In einer Pfanne Rapsöl erhitzen, den Fisch durch den Teig ziehen und braun braten. Die Kartoffeln kochen, heiß pellen und in Scheiben schneiden. Aus heißem Gemüsefond, Essig und Senf ein Dressing rühren und die Kartoffeln 10 Minuten darin ziehen lassen. Zum Schluss 3 Esslöffel Olivenöl unterrühren.
Restaurant Daniel Wischer Steinstraße 15a, Hamburg, geöffnet Mo–Sa 11–16 Uhr, Tel. 040/3252579, www.danielwischer.de
Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin)
Vita | Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin) |
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Person | Von Roland Brockmann und Axel Martens |
Vita | Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin) |
Person | Von Roland Brockmann und Axel Martens |