Die fette Drachme

Den ältesten Vorläufer des Euro von der griechischen Insel Ägina ziert eine Meeresschildkröte – als Symbol der Seemacht

Die alten Griechen in Athen wussten, was lecker war. Zu den Delikatessen der attischen Tafel gehörten Aale von gewaltiger Größe aus dem schlammigen Kopaissee, zwei Tagesreisen entfernt. Händler brachten die köstlichen Fische in geflochtenen Körben auf den Markt von Athen, in Stücke zerschnitten, eingewickelt in Mangoldblätter und mit der grünen Hülle schön gebraten. So schildert es der Komödiendichter Aristophanes in seinem Stück „Die Acharner“ um 425 v. Chr. Welche Hymnen er noch auf das edle Tier ausgebracht haben mag, ist nicht mehr zu rekonstruieren: Sein Werk „Die Aale“ ist leider verschollen.

Den Preis des Schmauses aber hat Aristophanes überliefert: Ein Aal in Mangold kostete drei attische Drachmen, die Tagesausgabe eines mittelgroßen Haushalts. „Macht eine Schildkröte, bitte!“, könnte jedoch stattdessen ein Marktverkäufer dem Dichter zugerufen haben. Der hätte dann mit einer zwölf Gramm schweren Silbermünze bezahlt, die das gepanzerte Reptil zeigt. Solche Geldstücke stammten von der Insel Ägina, wo Aristophanes lebte, in Sichtweite der Hafenstadt Piräus. Der Autor, obwohl Bürger von Athen, besaß auf Ägina ein Grundstück. Aal gegen Schildkröte – drei attische Drachmen entsprachen genau einem Stater, wie die äginetische Münze offiziell hieß. Das wertstabile Geld war allseits beliebt. Die Athener nannten es, in Abgrenzung zur eigenen schwächelnden Währung, „die fette Drachme“. Wechselkursprobleme dürfte Aristophanes damit auf Reisen nicht gehabt haben.

Zunächst waren die Schildkrötensilberlinge sogar einzigartig: Mit ihnen haben die Ägineten überhaupt erst das Geld für Europa geschaffen. Ab etwa 580 v. Chr. prägten sie die ersten Münzen des Kontinents – sie dürfen damit als die frühesten Vorläufer des Euro gelten. Wie dieser waren sie gleichermaßen gültig in verschiedenen Kulturräumen. Um ihre Besit- zer nicht zu verunsichern, blieb ihr Aussehen über 120 Jahre fast gleich. Nur erhielt nach einigen Jahrzehnten die charakteristische Perlenkettenlinie, die über den Panzer der Schildkröte verläuft, am Kopfende noch zwei zusätzliche Kugeln.

Die Schildkröte drückte dabei die Stärke Äginas zur See aus. Mit Land war hier nicht viel Staat zu machen: Die kaum zehn Kilometer durchmessende Insel war in der Antike von etwa 15000 Menschen bewohnt, bestand aber zu zwei Dritteln aus steinigen, bergigen und wasserarmen Flächen. Nur das Meer bot eine Perspektive. Der Historiker Strabon schreibt, dass „die Menschen wegen der Dürftigkeit des Bodens Handel zur See getrieben“ haben. Aus Piraterie, die dort im achten Jahrhundert als dem Kriegeradel angemessen galt, und der Entwicklung neuer Schiffstypen entstand eine starke Flotte, die vermutlich als Erste in der Geschichte der Seefahrt nicht nur militärischen Zwecken, sondern auch dem Handel diente.

Diese Flotte war in zwei zu Häfen ausgebauten Buchten beheimatet, um die sich der Hauptort der Insel entwickelte, und erlaubte Warenverkehr mit dem ganzen Mittelmeerraum. Besonders einträglich waren Bronzeguss, Bildhauerei, Sklavenhandel und die Anfertigung von Alltagsgegenständen: Färbestoffe, Salben, Körbe, Kämme, Schüsseln, Siebe, Netze, Gewebe, Schmuck aus Korallen und auch Glasarbeiten. Der An- und Verkauf nahm ein solches Ausmaß an, dass, wie Strabon erzählt, „man Tand auch als Äginaware be- zeichnete“. Die frühe attische Komödie verspottet Ägina gar als „Topfverkäuferin“.

Aber eben eine mit exzellenten Handelsbeziehungen. Die Edelprodukte wie auch der Kram dienten zum Warentausch mit den Nachbarn in der Ägäis und mit den griechischen Kolonien auf dem italienischen Festland und in Sizilien. Das Silber für die eigenen Münzen und für den lukrativen Edelmetallexport nach Ägypten kam wohl aus dem fernen Westen, aus Spanien, das Korn zur Versorgung der Bevölkerung hingegen von den Schwarzmeerküsten weit im Osten. Das Geld fungierte dabei in Übersee als reine Handels- währung: Anders als viele griechische Städte errichtete Ägina keine Siedlungen, in denen Auswanderer als Kolonisten angesiedelt wurden, sondern es gründete nur Stützpunkte für den Warenumschlag auf Kreta und im Nildelta.

Allerdings: Das Geld erfunden haben die Ägineter nicht. Die Idee einer Münze als ein geprägtes Edelmetallplättchen mit garantiertem Wert stammte ursprünglich von der anderen Seite der Ägäis, aus dem kleinasiatischen Randbereich des griechischen Kulturraums. Die dort lebenden Lyder stellten die ersten Münzen der Kulturgeschichte schon zwischen 620 und 600 v. Chr. her. Weil die Lyder ihre Gold-Silber-Legierung zunächst aber nur ungleichmäßig mischen konnten, schwankten die Produktionskosten.

Erst die äginetischen Kaufleute, die auch an der heute türkischen Küste ihren Geschäften nachgingen und die kommerzielle Innovation mit nach Hause nahmen, verwendeten reines Silber und sorgten zugleich für die weite Verbreitung des neuen Zahlungsmittels. Sie dürften – im Wirtschaftsdeutsch der Gegenwart ausgedrückt – als Erste die Chancen der „monometallischen Geldwertstabilität“ erkannt haben.


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mare No. 41

No. 41Dezember 2003 / Januar 2004

Von Dietmar Bartz

Dietmar Bartz war bis 2001 mare-Chef vom Dienst und stellte soeben das zweite mare-Register fertig.

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Vita Dietmar Bartz war bis 2001 mare-Chef vom Dienst und stellte soeben das zweite mare-Register fertig.
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