Die Farbe der verlorenen Zeit

Ein Sekret der Meeresschnecke, mit den richtigen Zutaten gemischt, ergibt Farbtöne von göttlicher Leuchtkraft

Inge Boesken Kanold ist aufgeregt. Seit Tagen köchelt eine muffige Brühe in ihrem Spargeltopf. Wirklich: Es stinkt schon sehr verheißungsvoll.

Im Ohr, sagt Frau Boesken Kanold, hat sie noch das „Schreien der Schnecken“, als sie starben. „Es war eine Art Knirschen.“ Sie steckte sie ins Tiefkühlfach für den leichteren Tod. Später brach sie ihnen die Gehäuse, entfernte die Drüsen, mixte sie zu Brei. Sie gab das Mus und Wasser und Urin in den Spargeltopf, jetzt also köchelt es seit Tagen.

Sie hat dem Topf die Temperatur gefühlt, auch nachts, ein paar Grad zu viel würden alles zunichtemachen, ein paar Grad zu wenig erst recht. Immer wieder hat sie den Deckel gelüftet, es mischten sich Pesthauch und der süße Duft der Feigen vor ihrem Haus. Nun sind beinahe acht Tage vergangen, gleich wird sie Gewissheit haben.

Sie hebt den Deckel. Sie taucht einen hellen Faden hinein, er ist hell, als sie ihn wieder hinauszieht. Sie schließt die Augen. Plötzlich, sehr rasch, wird der Faden gelb; er wird grün, blau und schließlich violett. Ein dunkler, satter Ton.

Da ist sie – die Farbe der verlorenen Zeit. Ihr Name: Purpur.

Es war an einem Strand vor unserer Zeit, da stieß ein Hund auf eine Schnecke. Er zerbiss sie, worauf sich sein Maul rot färbte, „grad wie von Blut“. Weil es aber der Hund eines Gottes war – des Schutzheiligen der Phönizier nämlich –, erkannte jener sofort die Potenz des Fundes. Er sammelte die Schnecken, gewann ihren Saft und tunkte darin ein Kostüm für seine Geliebte, die Nymphe Tyros. Es war das erste Purpurgewand der Menschheitsgeschichte.

Und es war die Entdeckung eines wahrhaft brillanten Marktsegments. Kaum mehr als Pflanzen oder Erden nämlich standen den Färbern jener Zeit zur Verfügung. Die Essenzen des Färberwaids etwa oder die des Indigokrauts, jene kleideten vor allem das einfache Volk. Auch mit Holzkohle und Gips ließen sich eher fade Gemische anrühren, insgesamt mithin eine dürftige Palette. Für höhere Wesen brauchte es Besonderes.

Die Leuchtkraft des Purpurs eben. Unserer heutigen Neonwelt mag sein Glanz kaum ein Lux hinzuzufügen. Damals aber, vor knapp 3000 Jahren, war es, als ginge eine neue Sonne auf – genau damit wurde der Purpur auch verglichen. Hinzu kamen seine wasserbeständige, seine lichtbeständige und überaus abriebfeste Kraft – sämtlich weitere „Alleinstellungsmerkmale“ der Hartschaler in jener Epoche. Alles zusammen machte den purpurnen Sud zu einem der begehrtesten Luxusgüter der Antike.

Rund um das Mittelmeer erstanden ab dem 17. Jahrhundert v. Chr. zahllose Produktionsstätten, die sich allein der Gewinnung des Schneckensafts widmeten. Insbesondere in Syrien und im Libanon und auf den griechischen Inseln, wo die ergiebigsten Fangplätze waren. Bis nach China exportierten die Phönizier das brillante Meeresmark möglicherweise: Dort ist die Silbe Zi, also Purpur, gleichbedeutend mit dem Wort Kapital.

Noch heute erheben sich antike Halden mit Schneckengehäusen im libanesischen Tyrus, auch an den Küsten des Marmarameers, an der Adria und selbst in Spanien und Nordafrika finden sich die vorzeitlichen Klippen. Manche, wie bei Saida nördlich von Tyrus, ragen meterhoch und Hunderte Meter lang an den Ufern des Mittelmeers. Andere gar sind kleine Berge, wie der Monte Testaccio bei Tarent am Ionischen Meer. Hin und wieder finden sich neben dem archaischen Schutt kleine steinerne Hämmer. Sie gehören unbedingt dazu, mit ihnen wurden die Gehäuse aufgebrochen. An ihrer dicksten Wölbung, jener Stelle, unter der die Purpurdrüse liegt.

Sie ist farblos, nicht mehr als ein transparenter Schleim über den Gedärmen. Auch andere Schnecken haben diese Glibberschicht, doch nur bei den Purpuridae gibt sie den besonderen Extrakt. Der Sonne ausgesetzt, verfärbt sich die Drüse sofort: Sie wird gelb, geht über ins Grüne, wird blau und endet schließlich in einem der vielen möglichen Farbtöne. Diese reichen vom hellen Rot bis zum tiefen Blau, vom leichten Lila bis zu einem satten, getragenen Violett. Welcher Ton die Farbe letztlich prägt, ist kaum vorherzusagen. Denn jede Schnecke ist anders. Ursprünglich bezeichnete Purpur auch gar nicht die Schattierungen, die wir heute darunter verstehen; porphyrá bezeichnete im Griechischen wörtlich den „Farbstoff von Schalentieren“.


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mare No. 59

No. 59Dezember 2006 / Januar 2007

Von Maik Brandenburg

mare-Autor Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, hat sich den Purpur genau angeschaut. In der Küche von Inge Boesken Kanold beeindruckte ihn sowohl der Gestank als auch die aufwendige Herstellung dieses kostbaren Suds.

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Person Von Maik Brandenburg
Vita mare-Autor Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, hat sich den Purpur genau angeschaut. In der Küche von Inge Boesken Kanold beeindruckte ihn sowohl der Gestank als auch die aufwendige Herstellung dieses kostbaren Suds.
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