Die Enthüllung der Südsee

Louis Antoine de Bougainville brachte 1769 von seiner dreijährigen Entdeckungs­reise nicht nur ein verklärtes Südseebild in die Pariser ­Gesellschaft, sondern auch einen Kletterstrauch, der heute viele Gärten im südlichen Europa ziert

Die meisten dieser Nymphen waren nackt“, schreibt Louis Antoine de Bougainville über die erste Begegnung mit den Einheimischen. „Die Männer versuchten, uns dazu zu bewegen, eine Frau zu wählen und mit ihr an Land zu gehen, und sie gaben uns zu verstehen, auf welche Art wir uns mit ihr beschäftigen sollten. Man kann sich vorstellen, wie schwer es angesichts eines solchen Schauspiels fiel, 400 junge französische Seeleute zu bändigen, die sechs Monate lang kein Weibsbild mehr gesehen hatten.“

Tatsächlich lag mehr als ein Jahr großer Entbehrungen hinter Bougainvilles Männern. Seit sie Frankreich mit den Winterstürmen 1766 verlassen hatten, mussten sie mit ihren beiden Fregatten „Boudeuse“ und „Étoile“ den südlichen Atlantik bis zu den Falklandinseln durchkreuzen und sich durch das Labyrinth der Magellanstraße an der Südspitze Südamerikas kämpfen. Wochenlang trotzten sie Regen und Eis, Kälte und Sturm, bevor die schier unendliche Wasserwüste des Pazifiks vor ihnen lag. Schließlich auch den Gefahren unbekannter Riffe glücklich entronnen, warfen die beiden Schiffe Anfang April 1768 an der Ostseite Tahitis Anker – und waren sofort von den Kanus der Einheimischen umringt. „In den Booten fanden sich viele Frauen, die den Europäerinnen mit Blick auf ihren schönen Wuchs den Vorzug streitig machen konnten und die auch sonst nicht hässlich waren. Aller Vorsicht ungeachtet kam ein junges Mädchen auf das hintere Verdeck. Sie ließ ungeniert ihre Bedeckung fallen und stand vor den Augen aller da wie Venus. Sie hatte einen göttlichen Körper.“

Bougainville fährt schwärmerisch fort: „Es schien mir der Garten Eden zu sein. Durch unsere Sorgfalt hielten wir doch das verzauberte Schiffsvolk im Zaun, obwohl wir nicht wenig mit uns selbst zu kämpfen hatten.“ Da ist es nur folgerichtig, dass Bougainville die Insel „La Nouvelle Cythère“ taufte – Neu-Kythera, die Insel der Liebesgöttin Aphrodite. Die Eingeborenen nannten sie in ihrer Sprache nicht weniger wohlklingend Otahiti.

„Die Reise, von der ich Ihnen berichten will, ist die erste ihrer Art, die Franzosen unternommen haben und die auf Schiffen Ihrer Majestät durchgeführt wurde. Die ganze Welt verdankt dieser Reise bessere Kenntnis von der Gestalt der Erde.“ Mit diesen Worten, gerichtet an seinen Auftraggeber, den französischen König Ludwig XV., beginnt Louis Antoine de Bougainville später seinen epochalen Reisebericht. Darin enthüllt er nicht nur ein neues Bild der Welt. Er präsentiert auch seine Erkenntnisse über die Natur des Menschen. Diese ist, so die Botschaft, die in den Salons von Paris, London und Berlin wie ein Lauffeuer die Runde machte, auf der anderen Seite der Erde ebenso exotisch wie erotisch. Tatsächlich brachte Bougainvilles Reise um die Welt zweierlei nach Europa: einen dornigen, aber prächtig violett blühenden Kletterstrauch, die Drillingsblume Bougainvillea, und einen lange Zeit ebenso üppig rankenden Mythos vom paradiesischen Leben und der freien Liebe in der Südsee, vor allem auf Tahiti.

Als Bougainvilles „Voyage autour du monde“ Mitte Mai 1771 in Paris erschien, kehrte James Cook gerade von seiner ersten Entdeckungsreise um die Welt nach England zurück. Cook bezeichnete diesen Bericht später als „die nützlichste und auch unterhaltsamste Beschreibung einer Reise durch dieses Meer, die bis jetzt erschienen ist“. Ohne es zu wissen, war er dem Franzosen ein Jahr lang auf einer ähnlichen Pazifikroute hinterhergesegelt. Während Cook bis heute als einer der bedeutendsten Entdecker gilt, geriet Bougainville jedoch bald in Vergessenheit.

Zwar entdeckte auch Bougainville neue Inseln im Pazifik und ebnete mit seiner Reise der Naturforschung und der Kolonisierung den Weg. Immerhin wurden nach ihm die größte der Salomoninseln und eine südlich davon gelegene Meerenge benannt. Doch wenn man sich seiner heute überhaupt noch erinnert, dann meist wegen einer inzwischen weltweit verbreiteten Zierpflanze, eben jener prächtig blühenden Bougainvillea aus der Familie der Wunderblumengewächse, die der Botaniker Philibert Commerson während der Weltumsegelung erstmals in Brasilien entdeckte und nach Bougainville benannte.

Weder nach dieser Pflanze noch nach Tahiti hatten die Franzosen eigentlich gesucht. Auch waren sie nicht die Ersten, die auf dieser Insel mitten im Pazifik landeten. Ohne dass sie es wissen konnten, war 1767, nur wenige Monate vor ihnen, ein Engländer namens Samuel Wallis auf der „Dolphin“ nach Tahiti gelangt. Er hatte nach einer erstmals 1606 von dem Portugiesen Pedro Fernandes de Queirós angelaufenen Insel gesucht. Auf Tahiti traf Wallis ein launisches, zu Streitereien, Diebstählen und trügerischen Versöhnungsfesten neigendes Völkchen an, so ist es seinem eher verhaltenen Bericht zu entnehmen, der so ganz anders klingt als der von Bougainville. Freilich hatte auch Wallis erfahren, wie leicht sich die Frauen Tahitis den fremden Seemännern hingaben – ein paar Eisennägel reichten als Liebeslohn. Weil bald jedermann an Bord nach Nägeln verlangte, fürchtete Wallis um die Planken seiner Schiffe und segelte bald weiter.


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mare No. 112

No. 112Oktober / November 2015

Von Matthias Glaubrecht

Matthias Glaubrecht, Jahrgang 1962, ist Professor für Biodiversität der Tiere und Gründungsdirektor des Centrums für Naturkunde an der Universität Hamburg. Erst bei seinen Recherchen stieß er auf die Verknüpfung der Drillingsblume mit der Liebesgeschichte der beiden Botaniker, die mit Bougainville um die Welt reisten.

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Vita Matthias Glaubrecht, Jahrgang 1962, ist Professor für Biodiversität der Tiere und Gründungsdirektor des Centrums für Naturkunde an der Universität Hamburg. Erst bei seinen Recherchen stieß er auf die Verknüpfung der Drillingsblume mit der Liebesgeschichte der beiden Botaniker, die mit Bougainville um die Welt reisten.
Person Von Matthias Glaubrecht
Vita Matthias Glaubrecht, Jahrgang 1962, ist Professor für Biodiversität der Tiere und Gründungsdirektor des Centrums für Naturkunde an der Universität Hamburg. Erst bei seinen Recherchen stieß er auf die Verknüpfung der Drillingsblume mit der Liebesgeschichte der beiden Botaniker, die mit Bougainville um die Welt reisten.
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