Die Champagner-Affäre

Eine exklusive Sektflasche für die Taufe der deutschen kaiserlichen Yacht „Meteor“ wird 1902 zur Causa zwischen Deutschland, Frankreich und den USA. Die Folgen: ein Millionenprozess, ein intenationaler Medienkrieg und diplomatische Verwerfungen

Am Dienstag, den 25. Februar 1902, gibt sich im Hafen von New York die Prominenz die Ehre. US-Präsident Theodore Roosevelt und seine Gattin Edith, in Wintermäntel gehüllt, sind trotz des nasskalten Wetters persönlich gekommen. Geradezu aufgetakelt hat sich Alice Roosevelt, die Tochter des Präsidenten aus erster Ehe. Sie trägt einen opulenten, mit Federn geschmückten Hut und als Schal eine Fuchsstola mit riesigem Muff. Schon durch ihren Aufzug wird deutlich, dass sie die Hauptperson an diesem Vormittag ist: die Taufpatin der neuen Segelyacht von Kaiser Wilhelm II., die hier in der Werft Townsend & Downey gebaut wurde.

Mit dem fast 50 Meter langen Schiff will der Kaiser auf Regatten Triumphe ­feiern. Dass der Auftrag dafür nach New York ging, ist alles andere als ein Zufall. Die Schiffbauer an der Ostküs­te sind zu Beginn des 20.  Jahrhunderts für ihre schnellen, windschnittigen Yachten berühmt. Und Wilhelm II. will die politischen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und den USA stärken. 

Zwar ist der Kaiser selbst verhindert. Doch aufgrund der diplomatischen Relevanz der Schiffstaufe hat er nicht nur den deutschen Botschafter Theodor von Hol­leben aus Washington nach New York beordert. Als offiziellen Vertreter hat Wilhelm II. seinen Bruder, Prinz Heinrich von Preußen, einen hohen Marineoffizier, eigens aus Deutschland anreisen lassen, um dem Stapellauf beizuwohnen. 

Gegen zehn Uhr am Vormittag werden die Festgäste mit Salutschüssen und Jubelrufen im Hafen begrüßt. Angeregt plaudert Prinz Heinrich mit der charmanten Alice Roosevelt, die als Skandalnudel bekannt ist. Sie liebt Partys, raucht in aller Öffentlichkeit, hält sich als Haustier eine Schlange, die sie nach ihrer ­Tante Emily benannt hat, und neigt zum Glücksspiel. „Ich kann entweder das Land regieren“, soll Theodore Roosevelt einmal gesagt haben. „Oder ich kann mich um Alice kümmern. Aber ich kann nicht beides gleichzeitig.“ Dieser jungen Frau wird die Ehre zukommen, die Taufe der kaiserlichen Yacht zu vollziehen.

Schon seit dem Altertum sind solche Rituale bekannt. Oft goss man Wein über die Planken, um die Götter freundlich zu stimmen. Mitunter wurden auch Menschen geopfert. In der Moderne kam Blut als maritimes Weihwasser aus der Mode, und in der westlichen Welt fiel dem Schaumwein diese Rolle zu.

Für den festlichen Akt an diesem Februarvormittag im Hafen von New York ist aus deutschen Landen eine Magnumflasche „Rheingold“-Sekt angeliefert worden, gebettet in ein ledernes Etui, dessen Schloss und Schlüssel aus echtem Silber gearbeitet sind. „Des deutschen Rheines flüssiges Gold, kredenzt von der deut­schesten Stadt des Landes“, lautet die in den Deckel des Etuis eingravierte Widmung. „Als ein Trankopfer der unverbrüchlichen Freundschaft zwischen den beiden Nationen, welche unserem Herzen am nächsten stehen.“

Ein Erlass von Wilhelm I., der bis 1888 als erster deutscher Kaiser auf dem Thron saß, schreibt vor, dass alle Kriegsschiffe der deutschen Marine mit Sekt aus dem Haus Söhnlein & Co. getauft werden müssen. Die Schaumweine des hessischen Produzenten wurden bald auch für zivile deutsche Schiffe zum klassischen Taufsekt: insbesondere das Premiumprodukt „Rheingold“, benannt nach Richard Wagners Opernzyklus „Ring des Nibelungen“. 

Dieser Sekt gehört im Deutschen Reich um 1900 zum nationalen Mythos: ein „Erzeugnis der deutschen Erde“, dessen Name an den „ehrwürdigen Fluss“ erinnere, der „in der großen Zeit der Wiedergeburt des Reichs deutscher Strom, aber nicht Deutschlands Grenze sein sollte“, heißt es in einem Werbetext. Durch die Taufe in New York verspricht man sich internationale Medienpräsenz – und steigende Exportumsätze. 

Um 10.40 Uhr zerschlägt Alice Roosevelt die obligate Schaumweinflasche an der Schiffswand der Segelyacht und spricht in englischer Sprache die Segensworte: „Im Namen des Deutschen Kaisers taufe ich Dich ‚Meteor‘.“ Böllerschüsse, Musik, lauter Jubel. Prinz Heinrich beglückwünscht die Taufpatin und überreicht ihr einen Blumenstrauß. Dann durchtrennt die Tochter des US-Präsidenten mit einem Beilhieb die Taue, mit denen die Yacht festgemacht ist. Die „Meteor“ – als Zeichen der Völkerfreundschaft hat sie die US-Flagge gehisst – gleitet gemächlich aus dem Hafen in der Werft Townsend & Downey auf Shooters Island hinaus in die Upper Bay südlich von Manhattan.


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mare No. 163

mare No. 163April / Mai 2024

Von Till Hein

Till Hein, Jahrgang 1969, Autor in Berlin, ent­wickelte bei der Recherche eine besondere Sympathie für Alice Roosevelt und ihrer Schlange Emily. Mit ihnen wäre er gern einmal feiern gegangen. Er trinkt allerdings lieber Bier als Champagner.

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Vita Till Hein, Jahrgang 1969, Autor in Berlin, ent­wickelte bei der Recherche eine besondere Sympathie für Alice Roosevelt und ihrer Schlange Emily. Mit ihnen wäre er gern einmal feiern gegangen. Er trinkt allerdings lieber Bier als Champagner.
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Vita Till Hein, Jahrgang 1969, Autor in Berlin, ent­wickelte bei der Recherche eine besondere Sympathie für Alice Roosevelt und ihrer Schlange Emily. Mit ihnen wäre er gern einmal feiern gegangen. Er trinkt allerdings lieber Bier als Champagner.
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