Die Caballeros von Handumon

Ein Dorf auf den Philippinen lebt von den Seepferdchen. Viele Fischer wollen die Bestände schützen, anderen ist das egal

Gegen Mitternacht klettert Cesar Socias die Treppe an seiner Pfahlhütte herab und tastet auf dem Boden nach seinen Arbeitsutensilien: Harpune, Maske, Flossen, Gaslaterne. Tiefe Dunkelheit umgibt ihn und die warme, feuchte Tropenluft von 28 Grad Celsius. Um Gas zu sparen, macht Cesar sich im Dunkeln auf den Weg. Ziemlich verschlafen, barfuß, nur mit blauen Shorts bekleidet, läuft er eine Viertelstunde durch den Palmenwald zum Meer. Dann noch einen Kilometer durchs Watt zu seinem Boot, einem weiß lackierten Einbaumkanu mit Auslegern, das an einem Mangrovenbaum vertäut ist.

Erst jetzt entzündet er die Laterne und startet den Motor. Als er mit dem Boot durch das tintenschwarze Meer pflügt, springen aufgeschreckte Fische kreuz und quer über den Bug und plätschern wie Silberregen ins Wasser zurück. Der 21-jährige Fischer orientiert sich an den Umrissen der Nachbarinseln und am Sternenhimmel. Nach einer halben Stunde stoppt er an einem Korallenriff, zieht Maske und Flossen über, holt tief Luft und taucht ab. Mit angehaltenem Atem sucht er in zwei bis vier Meter Tiefe nach Seepferdchen – im Schein seiner Lampe, die am Bootsbug festgebunden ist. Das Boot zieht er an einem Seil hinter sich her.

Seepferdchen werden hier von Hand gesammelt, nicht mit Netzen gefischt. Die nächsten drei Stunden verbringt Cesar mehr unter als über Wasser. Prustend taucht er auf und nach nur einem Atemzug wieder ab. Erst nach eineinhalb Stunden gönnt er sich eine kurze Pause. Auf dem Riffdach stehend, hält er den Kopf über Wasser und japst nach Luft. Nach nur zwei Minuten verschwindet er wieder.

Seepferdchen zu finden ist schwierig. Nicht nur, weil sie sich gut getarnt zwischen Korallen verbergen, sondern vor allem, weil sie nach jahrzehntelangem Raubbau selten geworden sind. Das erste Seepferdchen dieser Nacht entdeckt Cesar nach etwa 20 Minuten. Mit einem Juchzer taucht er auf, kontrolliert im Schein der Lampe, dass es kein trächtiges Männchen ist, und wirft es ins Boot.

Nebenbei fängt er Fisch mit seiner Harpune und hat mehr Glück. Fast jedes Mal, wenn die Waffe unter Wasser metallisch klirrt und ein dumpfer Aufprall zu hören ist, hat die Harpune einen Fisch durchbohrt, der dann hilflos an der Spitze zappelt.

Die letzte Stunde wird richtig hart. Die Sicht ist durch aufgewirbeltes Sediment getrübt, und die Strömung treibt piesackende kleine Quallen herbei. Hier besteht das Riff überwiegend aus abgestorbenen Korallen. Kein Platz für Seepferdchen. Als Trost bleiben Cesar nur noch Muscheln, Schnecken und Seegurken.

Wir sind arm, weil das Meer arm ist“, sagen die Menschen in Handumon. Ein Dorf ohne Strom und fließend Wasser, mit rund 900 Einwohnern. Sie wohnen in Pfahlhütten, in einem Wald aus Kokospalmen, Mangobäumen und Bananenstauden. Die meisten Familien leben vom Fischfang und fast die Hälfte von ihnen von Seepferdchen. Handumon gehört zur Inselprovinz Bohol, eine der Hauptlieferanten von philippinischen Seepferdchen. Ihre Qualität gilt unter Exporteuren als erstklassig. Die Philippinen wiederum sind einer der Hauptexporteure im internationalen Seepferdchen-Handel.

Für die Menschen hier bedeuten die Seepferdchen vor allem eins: Sie erbringen das Geld für die täglichen Reisrationen, denn ohne Reis ist eine Mahlzeit nicht komplett. Aber es wird immer schwieriger, ihn durch „caballos“ zu sichern – so heißen die Seepferdchen hier nach dem spanischen Wort für Pferd. Die Fischer berichten, dass diese Fänge von 1985 bis 1995 um 70 Prozent zurückgegangen sind.

So ist es schon eine Herausforderung, ausgerechnet hier ein Projekt zu gründen, das den Fischern den Lebensunterhalt ermöglicht und zugleich die Bestände sichert. Es begann 1994 unter anderem mit Biologie-Unterricht. Zwar wussten die Fischer aus eigener Beobachtung, dass Seepferdchen monogam sind. Aber dass die Männchen die Jungen austragen, löste Verblüffung und großes Gelächter aus. Gemeinsam mit den Einheimischen errichteten die Wissenschaftler ein 33 Hektar großes Meeresschutzgebiet, das überhaupt nicht genutzt werden darf. Es liegt zwischen dem Dorf und den Fischgründen und wird Tag und Nacht bewacht. Alle Seepferdchen dort sind registriert und tragen Bindfäden mit Nummern um den Hals. Während nächtlicher Schnorchelexpeditionen wird geprüft, ob die Tiere noch da sind. Mit ihrem Patrouillenboot, das von Spendengeldern gekauft wurde, kontrollieren die Fischer regelmäßig die kommunalen Gewässer. Immer wieder dringen Fremde mit Netzen ein, die über den Boden schleifen, und hinterlassen eine Spur der Zerstörung.


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mare No. 21

No. 21August / September 2000

Von Monika Rößiger

Monika Rößiger, mare-Wissenschaftsredakteurin, war noch nie so lange im Wasser wie für diese Reportage: Drei Stunden begleitete sie den Seepferdchen-Fischer Cesar Socias schnorchelnd und tauchend durch das nachtdunkle Meer. Zuletzt schrieb sie in Heft 19 über Delfin- und Haustiertherapien

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Vita Monika Rößiger, mare-Wissenschaftsredakteurin, war noch nie so lange im Wasser wie für diese Reportage: Drei Stunden begleitete sie den Seepferdchen-Fischer Cesar Socias schnorchelnd und tauchend durch das nachtdunkle Meer. Zuletzt schrieb sie in Heft 19 über Delfin- und Haustiertherapien
Person Von Monika Rößiger
Vita Monika Rößiger, mare-Wissenschaftsredakteurin, war noch nie so lange im Wasser wie für diese Reportage: Drei Stunden begleitete sie den Seepferdchen-Fischer Cesar Socias schnorchelnd und tauchend durch das nachtdunkle Meer. Zuletzt schrieb sie in Heft 19 über Delfin- und Haustiertherapien
Person Von Monika Rößiger