Die Briefe

Eine besondere Sammlung: Liebesbriefe berühmter und völlig unbekannter Menschen, hoffnungsfrohen wie todgeweihten, vom 18. bis 20.  Jahrhundert, alle übers Meer geschickt

George DeLong an Emma DeLong von Bord der „Jeannette“, 1879

Im Juli 1879 sticht der ehemalige Walfangkapitän George Washington DeLong (1844–1881) auf der USS „Jeannette“ in San Francisco in See. Das Ziel: der Nordpol. Die Besatzung: 32 Mann. Zu Hause zurück bleiben seine geliebte Frau Emma und Töchterchen Sylvie, die auf den vorherigen Reisen um Südamerika dabei waren. DeLong schreibt Emma, er gehe ein halbes Dutzend Mal in ihre Kabine, um enttäuscht festzustellen, dass sie gar nicht da seien. Emma schreibt George vom ersten Tag an Briefe, von denen sie ahnt, dass die meisten ihn nicht erreichen werden, ihre „Briefe ins Nichts“, für sie eine Art therapeutisches Ritual. Sie schreibt sie mit Durchschlägen und sendet sie an verschiedene Adressen in der Arktis, an Walfängersiedlungen und Handelsposten auf Spitzbergen. Beide wissen: Diese Expedition ist gefährlich. Und tatsächlich setzt sich das Schiff schon im September in der Tschuktschensee im Eis fest und schlägt leck. Ein jahrelanges Martyrium beginnt. Der Brief vom 27. August 1879 ist der letzte, den George schreibt, bevor sie im Eis stecken bleiben. Während die vorherigen Briefe eher nüchtern gehalten waren und über den Verlauf der Reise berichteten – was zeigt, wie sehr George seine Frau als Expeditionsmitglied ansah –, ist der Ton dieses Briefes gefühlvoller. Monatelang bleibt die „Jeannette“ im Eis gefangen und treibt übers Meer Richtung Nordwesten. Im Juni 1881, also eineinhalb Jahre später, sinkt das Schiff. DeLong und seine Männer retten sich auf drei Beiboote. Eines der Boote verschwindet spurlos, die Männer des zweiten werden von jakutischen Jägern gefunden. Auch DeLong und seine Mitstreiter gehen an Land. Für sie und die zwölf überlebenden Schlittenhunde beginnen unfassbare Strapazen der Wanderschaft übers Eis. Amerikanische Zeitungen berichten über das Drama. Emma schreibt Brief um Brief, manche sehnsuchtsvoll, ande- re über den Alltag berichtend, manche auch ironisch schimpfend, immer hoffnungsvoll. Doch sie wird George nicht wiedersehen. Er und seine Männer sterben den Hungertod im Eis. zdb


27. August [1879]

Wir nehmen ein letztes Mal Proviant und Brennstoff an Bord und wollen gegen 19 Uhr aufbrechen. Das Wetter ist wunderbar – eine leichte Brise aus Süd und eine ruhige See. Ich kann es kaum erwarten loszusegeln. Und doch fühlt es sich an wie ein erneuter Abschied. Aber ich habe diese Sache angefangen, und ich werde sie zu Ende bringen.

Dir sage ich mit tausend Küssen Auf Wiedersehen. Mit Gottes Hilfe wird mir etwas gelingen, was Dich den Namen Deines Ehemannes mit Stolz -tragen lässt. Gib mich nicht auf, denn eines Tages werde ich vor euch -stehen und Frau und Kind zurückverlangen. Gott möge Dich segnen und behüten, wo immer Du auch bist, und Dir Deine Liebe zu mir bewahren.

Sollte das Schicksal es so wollen, dass wir uns in dieser Welt nicht mehr wiedersehen, dann sei versichert, dass Du mir in allem, in Worten und in Taten, die treueste, beste, liebevollste Ehefrau warst, die je ein Mann hatte. Mein Herz und meine Seele gehören ganz Dir … meine Teure, mein Liebling, lebe wohl.


Mein liebster George,

sicherlich freut es Dich, zu hören, wie groß das Interesse am Schicksal der Jeannette und ihrer Besatzung ist. Ich habe Dutzende Briefe und Telegramme bekommen, aber auch Anfragen von zahllosen Zeitungen, die ein Interview mit mir führen wollen. Diese Anfragen habe ich höflich, aber bestimmt abgelehnt. Ich will nicht, dass mein Mann je wieder zu irgend-welchen Abenteuern aufbricht. Ich will, dass er zu Hause bleibt. Andernfalls lasse ich mich scheiden!

Emma


Lord Nelson an Lady Emma Hamilton, 29. Januar 1800

Passionierter als dieser kann ein Liebesbrief kaum sein. Horatio Nelson (1758–1805) schreibt ihn seiner Geliebten Emma auf dem Weg nach Sizilien, wo er sich mit dem Kommandanten der britischen Flotte treffen soll. Der Admiral ist 42 Jahre alt. Er ist in Großbritannien ein bekannter Mann, und das macht sein Leben als Liebender nicht eben leicht. Verheiratet mit Fanny, geborene Nisbet, wird seine außereheliche Beziehung zu Emma Hamilton (1765–1815), aus einfachsten Verhältnissen stammend und dank ihrer Ehe mit dem britischen Botschafter in Neapel in vornehmste Kreise aufgestiegene Frau, zum Skandal. Die ehemalige Magd, die einst Amy Lyon hieß, und Nelson haben sich zwei Jahre zuvor kennengelernt, als er nach der Vernichtung der französischen Flotte bei Alexandria in Neapel einlief und begeistert empfangen wurde. Emma, die mit 18 als schönste Frau Europas galt, füttert den erschöpften und verwundeten Helden mit Eselsmilch. Ihre Liaison beginnt. Auch Emmas 35 Jahre älterer Ehemann Lord Hamilton ist dem Admiral sehr zu- getan; dass seine Frau ein Verhältnis mit ihm hat, nimmt er gelassen hin. Zusammen gehen sie im Lauf der nächsten Jahre auf Reisen, das Dreiecksverhältnis selber wird nun zum Skandal. Ein Jahr nachdem Nelson seiner Angebeteten den Brief geschrieben hat, gebärt sie ihm eine Tochter, Horatia, und Nelson trennt sich von seiner todunglücklichen Frau. Emmas Mann hingegen wird viel Zeit mit den dreien auf einem Landgut bei London verbringen. 1803 stirbt Lord Hamilton. Den beiden zurückbleibenden Liebenden bleibt nicht mehr viel Zeit. Lord Nelson stirbt 1805 in der Schlacht von Trafalgar. Seine letzten Worte sollen „Gott sei Dank habe ich meine Pflicht erfüllt“ gewesen sein.

Emma Hamilton verarmt nach Nelsons Tod vollständig. Ihre gemeinsame Tochter erhält später als „Adoptivtochter“ Nelsons eine staatliche Rente, Emma nicht. Sie verschuldet sich, landet im Schuldgefängnis, flieht nach Calais und stirbt mit 50 Jahren an den Folgen ihrer Alkoholsucht. Lord Nelson hat Lady Hamilton während ihrer sieben Jahre währenden Liaison 1500 Briefe geschrieben. Der Liebesbrief vom 29. Januar 1800, der wegen der Schilderung eines erotischen Traumes zu großer Bekanntheit geriet, wurde 2003 für 117 000 Pfund an einen unbekannten privaten Sammler versteigert. zdb


An Emma, Lady Hamilton, 29. Januar [1800]

Mittwoch, den 29. Januar. Von allem getrennt, was mir auf dieser Welt lieb und teuer ist, stehe ich vor der Frage, wozu das Leben, sofern man diese Form der Existenz denn so nennen will, noch gut ist. Erträglich ist eine solche Trennung nur, wenn der Dienst am Vaterland danach verlangt, nicht aber, wenn man sinnlos Zeit vergeudet. Doch weder Zeit noch Entfernung, meine geliebte Emma, kann meine Liebe und Zuneigung zu Euch schmälern, denn sie gründet auf den unverbrüchlichen Prinzipien der Ehre. Und so bleibt uns nur – und ich tue es unter größten Qualen – zu bedauern, dass wir nach den gestrengen Regeln dieser Welt nicht so unzertrennlich miteinander verbunden sein können, wie wir es in unserer Liebe tatsächlich sind. Habt Ihr Euren treuen Nelson nur weiterhin so lieb wie er seine Emma. Ihr seid der Stern, von dem ich mich leiten lasse, erfüllt Ihr die Wünsche und Sehnsüchte meines Herzens, auch wenn es mich das Leben kosten soll. Ich habe mein Wort gehalten, mich an keiner Ausschweifung zu beteiligen oder eine Nacht an Land zu verbringen.

Donnerstag, der 30. Januar. Vor sechs Tagen haben wir Livorno verlassen und noch immer keine Möglichkeit, Palermo anzulaufen. Für mich ist das schlimmer als der Tod. Und weil ich ständig an Euch denken muss, kann ich weder essen noch schlafen. Auch den Pudding rühre ich nicht an – Ihr wisst, warum. Lieber würde ich verhungern. Meine einzige Hoffnung ist, dass auch Ihr Euer Versprechen gehalten habt, denn ich habe Euch noch nie ein Versprechen gegeben, an das ich mich nicht so strikt gehalten hätte, als hätte ich es vor Gott abgelegt. Aber ich vertraue ganz auf Eure Liebe und darauf, dass Ihr lieber sterben würdet, als Euch selbst in den kleinsten Dingen Eurem treuen Nelson gegenüber unaufrichtig zu sein, der doch nur für seine Emma lebt.

Freitag. Ich fürchte, wahnsinnig zu werden. Wir hatten einen Sturm, der nicht der Rede wert wäre, aber nun bin ich zwanzig Wegstunden weiter von euch entfernt als noch gestern. Wäre ich Kommandant, wäre ich jetzt zwanzig Wegstunden näher, aber der Admiral weiß nicht, wie sehr Ihr mir fehlt. Letzte Nacht habe ich in einem fort von Euch geträumt, obwohl ich sicher zwanzig Mal aufgewacht bin. In einem der Träume meinte ich, in Eurer Abwesenheit an einer großen Tafel zwischen zwei Prinzessinnen zu sitzen, von denen ich eine nicht ausstehen konnte. Beide versuchten, mich zu verführen, und die, die ich verabscheute, wollte sich mir gegenüber Freiheiten herausnehmen, wie es außer Euch noch keine getan hat. Also habe ich sie niedergeschlagen, und als das Ganze im Chaos zu versinken drohte, betratet Ihr den Raum, nahmt mich in die Arme und flüstertet, wie sehr Ihr Euren Nelson liebt. Dann haben wir uns leidenschaftlich geküsst und die Wonnen der Liebe genossen. Ach, Emma, ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube. Wenn Eure Liebe nicht allein mir gilt, dann gilt sie auch solchen, die nicht so empfinden wie Euer N.

Sonntagmittag. Der Wind steht günstig, und ich bin zuversichtlich, Euch, meine liebe Emma, morgen in die Arme schließen zu können. Nur noch 138 Seemeilen, und ich vertraue darauf, dass Ihr das Wiedersehen so sehr herbeisehnt wie ich, denn keine Liebe gleicht meiner Liebe zu Euch.


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mare No. 138

mare No. 138Februar / März 2020

Von Zora del Buono und Christina Beckers

Die Idee zu diesem Artikel entstand durch das im mareverlag veröffentlichte Buch Die Polarfahrt von Hampton Sides, das von Robert Mast übersetzt wurde. Der Autor hat nicht nur die ungeheuer dramatische Fahrt des Forschers George DeLong beschrieben, sondern auch viele Briefe des Ehepaars DeLong in sein Buch eingebaut. Die darauffolgende Suche nach Liebesbriefen, die übers Meer geschickt wurden, war aufwendiger als gedacht. Vor allem stellte sich das Problem der Auswahl, die möglichst vielfältige Aspekte der Liebe und des Schreibens zeigen sollte. Eines hat sich gezeigt: Es ist höchst bedauerlich, dass das Zeitalter des Briefeschreibens vorbei ist. Aber die Briefschätze, die hier gezeigt werden, sind in den Archiven dieser Welt gut aufgehoben.

Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.
Text: Christina Beckers

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Vita Die Idee zu diesem Artikel entstand durch das im mareverlag veröffentlichte Buch Die Polarfahrt von Hampton Sides, das von Robert Mast übersetzt wurde. Der Autor hat nicht nur die ungeheuer dramatische Fahrt des Forschers George DeLong beschrieben, sondern auch viele Briefe des Ehepaars DeLong in sein Buch eingebaut. Die darauffolgende Suche nach Liebesbriefen, die übers Meer geschickt wurden, war aufwendiger als gedacht. Vor allem stellte sich das Problem der Auswahl, die möglichst vielfältige Aspekte der Liebe und des Schreibens zeigen sollte. Eines hat sich gezeigt: Es ist höchst bedauerlich, dass das Zeitalter des Briefeschreibens vorbei ist. Aber die Briefschätze, die hier gezeigt werden, sind in den Archiven dieser Welt gut aufgehoben.

Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.
Text: Christina Beckers
Person Von Zora del Buono und Christina Beckers
Vita Die Idee zu diesem Artikel entstand durch das im mareverlag veröffentlichte Buch Die Polarfahrt von Hampton Sides, das von Robert Mast übersetzt wurde. Der Autor hat nicht nur die ungeheuer dramatische Fahrt des Forschers George DeLong beschrieben, sondern auch viele Briefe des Ehepaars DeLong in sein Buch eingebaut. Die darauffolgende Suche nach Liebesbriefen, die übers Meer geschickt wurden, war aufwendiger als gedacht. Vor allem stellte sich das Problem der Auswahl, die möglichst vielfältige Aspekte der Liebe und des Schreibens zeigen sollte. Eines hat sich gezeigt: Es ist höchst bedauerlich, dass das Zeitalter des Briefeschreibens vorbei ist. Aber die Briefschätze, die hier gezeigt werden, sind in den Archiven dieser Welt gut aufgehoben.

Zora del Buono, geboren 1962, wuchs in Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Nach ihrem Architekturstudium an der ETH Zürich arbeitete sie mehrere Jahre als Architektin und Bauleiterin, bevor sie sich zu einem Berufswechsel entschloss und mit dem Schreiben begann. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift mare und betreut das Kulturressort.
Text: Christina Beckers
Person Von Zora del Buono und Christina Beckers