Die Bibliothek im Eis

In der deutschen Forschungsstation „Neumayer III“ gibt es eine Institution, die einmalig ist in der Antarktis: eine Bibliothek

Am liebsten hätten sie Ihn wohl an das gelb lackierte Stahlrohr gebunden wie an einen Marterpfahl. „Du bist das also, der uns den gelben Pin da hin­gesetzt hat!“, wird Lutz Fritsch von einem Besatzungsmitglied der „Polarstern“ begrüßt, als er 1994 an Bord geht, um mit in die Antarktis zu fahren. Es ist der Moment, in dem der Bildhauer begreift, dass die Seeleute seine minimalistische Skulptur am Bug des Forschungsschiffs als Eingriff in ihr Territorium betrachten.

Ein bildender Künstler auf der „Polarstern“ – das hatte es zuvor noch nie gegeben. Seit 1982 schickt das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI) den 118 Meter langen Eisbrecher, ausgestattet mit Laboren, zwei Hubschraubern und einem Raum für Notoperationen, in unwirtliche Gegenden, damit Forschende im Auftrag des AWI oder anderer Institutionen Arktis und Antarktis untersuchen können. In der Atkabucht in der östlichen Antarktis, wo heute die Forschungsstation „Neumayer III“ auf Schelfeis steht, messen sie beispielsweise die Zusammensetzung der Luft oder das Magnetfeld der Erde, erfassen Wetterdaten, Pinguin- und Weddellrobbenkolonien und vieles mehr. 

Am Bug des Schiffs, das zu Beginn jedes antarktischen Sommers Menschen, Geräte und Lebensmittel ins Polargebiet bringt, steht seit 1993 eine drei Meter hohe Säule, die Fritsch entworfen hat. Sie ist das Pendant zu einer zweieinhalb Meter höheren Zwillingsskulptur auf dem Bremer Teerhof, wo jahrhundertelang Schiffe gebaut wurden. Beide Werke tragen den Titel „Raum-Fahrt“, erinnern an Seezeichen oder Landmarken und schaffen eine symbolische Verbindung zwischen der Heimat und den Weltmeeren. All das hatte Fritsch den Seeleuten per Infoblatt erklären wollen. Doch es wurde nie verteilt. Und nun will diese Landratte, die den Pfahl verbrochen hat, auch noch mitfahren! 

Dass es überhaupt so weit kommt, liegt an Fritschs Hang zur Hartnäckigkeit. „Ich wollte unbedingt mit in die Antarktis. Ich hätte dafür jeden Job im Maschinenraum übernommen und in einer Hängematte geschlafen“, sagt er heute. So einfach ist das damals jedoch nicht. Erst muss er Anträge bei der Deutschen Forschungsgesellschaft stellen – und erhält eine Absage. Also erkämpft er sich einen Termin bei dem damaligen Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber, dessen Ressort die „Polarstern“ als Eigentum der Bundesrepublik Deutschland untersteht. Der gibt ihm eine Viertelstunde Zeit, um seine Argumente vorzutragen: Auch er würde die Antarktis auf seine Weise erforschen, sagt Fritsch. Am Ende ist Riesenhuber überzeugt: „Das tut denen bestimmt gut, ein Künstler an Bord. Machen Sie das!“ Wenige Tage später meldet sich Rainer Paulenz, seinerzeit Verwaltungsdirektor des AWI: „Wir haben einen Anruf vom Ministerium bekommen. Wir sollen Sie mitnehmen. Aber halten Sie das aus? Die werden alle gegen Sie sein.“

Doch Lutz Fritsch, Jahrgang 1955, lernte schon als evangelisch getaufter Schüler im katholischen Köln, dass man sich auch mit Menschen anfreunden kann, die einen zunächst für einen Feind halten. Später trainierte er seine diplomatischen Künste am Tresen einer Kölner Kneipe weiter, wo es gern hieß: „Ach, ene Künstler bist du? Malen kann isch och. Oder bist du su einer wie de Beuys?“ Fritsch blieb cool. „Und bei ein, zwei Kölsch habe ich dem Bäcker dann von meiner Arbeit erzählt und er mir von seiner“, erzählt er. Ähnlich läuft es im Herbst 1994 auf dem Weg in die Antarktis. Auf der „Polarstern“ stellt Fritsch den Seeleuten und Forschenden Fragen, bis irgendwann das Eis bricht. Trotzdem kommt es auch zu Streitgesprächen. In teils hitzigen Debatten verteidigt Fritsch den Wert der Kunst, während einige Mitreisende meinen, Kunst habe eher dekorativen Charakter. Aber seine sehe ja nicht einmal schön aus. Fritschs Arbeiten sind meist abstrakte Werke, die sich nicht unmittelbar erschließen. 


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mare No. 173

mare No. 173Dezember 2025 / Januar 2026

Von Silvia Tyburski und Lutz Fritsch

Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, hat sich Fritschs Werke in Köln, Bremen und auf der „Polarstern“ angeschaut. Die Antarktis fehlt noch auf der Liste ihrer Recherche­orte. Aber immerhin brachte die „Polarstern“ ein Buch dorthin, das sie stiften durfte. Sie legte noch ein paar selbst gestrickte Socken dazu – in Grün.

Lutz Fritsch, Jahrgang 1955, ist ein deutscher Zeichner, Bildhauer, Fotograf und Polarreisender. Er sorgt noch immer dafür, dass die „Polarstern“ alljährlich Aluminiumkisten mit neuen Büchern mitnimmt, aber er verschickt nicht mehr ganz so viele Anfragen an mögliche Stifterinnen und Stifter. Die „Bibliothek im Eis“ ist nur auf 1000 Werke ausgerichtet, und dabei soll es bleiben.

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Vita

Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, hat sich Fritschs Werke in Köln, Bremen und auf der „Polarstern“ angeschaut. Die Antarktis fehlt noch auf der Liste ihrer Recherche­orte. Aber immerhin brachte die „Polarstern“ ein Buch dorthin, das sie stiften durfte. Sie legte noch ein paar selbst gestrickte Socken dazu – in Grün.

Lutz Fritsch, Jahrgang 1955, ist ein deutscher Zeichner, Bildhauer, Fotograf und Polarreisender. Er sorgt noch immer dafür, dass die „Polarstern“ alljährlich Aluminiumkisten mit neuen Büchern mitnimmt, aber er verschickt nicht mehr ganz so viele Anfragen an mögliche Stifterinnen und Stifter. Die „Bibliothek im Eis“ ist nur auf 1000 Werke ausgerichtet, und dabei soll es bleiben.

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Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, hat sich Fritschs Werke in Köln, Bremen und auf der „Polarstern“ angeschaut. Die Antarktis fehlt noch auf der Liste ihrer Recherche­orte. Aber immerhin brachte die „Polarstern“ ein Buch dorthin, das sie stiften durfte. Sie legte noch ein paar selbst gestrickte Socken dazu – in Grün.

Lutz Fritsch, Jahrgang 1955, ist ein deutscher Zeichner, Bildhauer, Fotograf und Polarreisender. Er sorgt noch immer dafür, dass die „Polarstern“ alljährlich Aluminiumkisten mit neuen Büchern mitnimmt, aber er verschickt nicht mehr ganz so viele Anfragen an mögliche Stifterinnen und Stifter. Die „Bibliothek im Eis“ ist nur auf 1000 Werke ausgerichtet, und dabei soll es bleiben.

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