Die Aufreisserbar

Eine ungeahnte Karriere: Sardinen in Dosen kommen groß heraus in Szenelokalen der Welt. Nicht zuletzt in Berlin

Eine Sardine gehört in die Konserve. Dort ist ihr lukullisches Biotop, kann man sie sich anderswo vorstellen als in der Blechbüchse? Als schnellen Bissen zum Bier oder wenn sonst nichts da ist? Rein mit der Gabel, das etwas suspekte Öl abtropfen lassen und ohne garnierendes Tamtam weg damit. Das ist in Ordnung, mehr kann keiner von einer Ein-Euro-Supermarktdose erwarten.

Außer vielleicht, man stellt sie auf eine Holzplatte und serviert dann dieses „primitive Dosenessen im schneidigen Ambiente“ eines Lokals. So jedenfalls sieht es ein Kommentator unter einem YouTube-Filmchen zur Berliner „Sardinen.Bar“. Ein virtueller Gast, der sich offenbar echt bedient fühlt.

Nur leider nicht von Thomas Vetter. Der 43-Jährige ist Inhaber des Etablissements in der Schöneberger Grunewaldstraße. Jahrelang hatte Vetter zuvor in klassischen Restaurants gekocht. Im Urlaub in Lissabon seien ihm dann Sardinen aus der Dose serviert worden, allerdings in einer Schüssel, Wein dazu. Es schmeckte, er fragte nach, „es machte ,Klick‘“, so Vetter. Seit November 2016 klickt es täglich Hunderte Mal, wenn in seinem Lokal die Dosen geöffnet werden.

Es ist Deutschlands erste und bislang einzige Sardinendosenserviergaststätte. Tatsächlich: Ist die Dose auf, ist auch schon angerichtet. Ein bisschen Salat dazu, etwas Weißbrot, voilà! Zwei schlicht gehaltene Räume in gedeckten Farben, ein Tresen, ein paar Tische und Stühle. Und eine kleine Küche, die ja auch nicht größer sein muss – denn gekocht wird da ja wenig, eher aufgerissen: Rund 80 verschiedene Zubereitungen von Sardina pilchardus, dazu Thunfischfilets, Makrelen, Bücklinge, Meeresfrüchte.

Was in die Dose kommt, unterscheidet sich allerdings von besagter Billigbox wie Seehasenrogen vom echten Kaviar. Das gehe schon beim Fischen los. „Die Schwärme werden nicht gejagt, sondern mit Netzen eingekreist und langsam heraus- gehoben“, so Thomas Vetter. „Die beste Beute gelingt um Mitte September, dann schwimmen die Sardinen weit oben und sind schön fett.“ Nur diese werden zu sogenannten Jahrgangssardinen. Erst nach rund fünf Jahren haben sie die beste Reife erreicht. Dann sei das Öl durchgezogen und bräunlich-golden. Was nicht heißt, dass die jungen Dosen schlechter sind. „Der Fisch ist bissfester. Bei den älteren ist der Geschmack buttriger, sie schmelzen fast auf der Zunge.“

Gleich nach der Anlandung erfolgt die Verarbeitung. Kopf, Schwanz und Innereien kommen raus, es folgt ein kurzes, heißes Fettbad. Anschließend tropfen die Fische rund zwei Tage ab, um dann per Hand eingelegt zu werden. „Schön locker, es muss ja Platz bleiben fürs Öl“, sagt Vetter. Von der sprichwörtlichen Enge in einer Sardinendose kann also keine Rede sein.

Zumindest in denen der Konservenfabriken des atlantischen Frankreichs und Portugals. Von dort kommen die Sardinen, dort ist die Dose seit je in höherem An- sehen. Nicht nur wegen des Inhalts, auch wegen der Deckel, die gern von namhaften Illustratoren gestaltet werden. In der „Sardinen.Bar“ schmücken einige Beispiele dieser „Blech-Art“ die Wände.

Vetters Angebote stammen allesamt aus kleinen Familienfirmen in Hafennähe. Etwa von der bald hundertjährigen Conserverie La Quiberonnaise im bretonischen Quiberon. Oder der Conserveira Comur im portugiesischen Murtosa, be- kannt für ihre fleischigen, extra großen Sardinen. Jede Firma gibt ihr eigenes Olivenöl hinein, je nach Sorte auch Zitronen, Chilischoten, Essig oder Cornichons. Die genauen Rezepturen sind natürlich – wo passt es besser? – Verschlusssache.

Die Dosen werden auf einem eigens entwickelten Holzbrett herangetragen, eingearbeitete Magnete halten sie am Platz. Wer will, kann seine leere Dose mitnehmen. Die Gäste kommen zumeist in Gruppen und bleiben, dem Fastfoodimage zum Trotz, oft für Stunden. Der Chef sieht das gern. „Sie sollen ja nicht einfach nur satt werden“, sagt Thomas Vetter, „sie sollen genießen.“ Außerdem: „Kalt kann das Essen ja nicht mehr werden.“


Gazpacho andaluz à la Sardinen.Bar

Zutaten (für vier Personen)
2 rote Paprika, 2 Stangen Stauden­sellerie, 2 rote Zwiebeln, 2 Karotten, 4 reife Tomaten, 1/4 Zucchini, 1 Gartengurke, 2 Knoblauchzehen, 2 EL Tomatenmark, 2 TL Piment d’Espelette, 1 TL Paprikapulver, 150 g Erdbeeren, Salz, Pfeffer, etwas Olivenöl.

Zubereitung
Paprika, Karotten, Zwiebeln, Knoblauch, Sellerie und Zucchini in kleine Stücke schneiden, in einem Topf mit Olivenöl anbraten, mit Salz, Pfeffer, Piment, Paprikapulver würzen. Danach das Tomatenmark für 1 Minute mit anschwitzen. Abkühlen lassen. Klein geschnittene Tomaten, Gurken und Erdbeeren untermischen. Alles mit einem Pürierstab oder Mixer pürieren, etwas Olivenöl hinzugeben. Dazu eine Dose Sardines à l’Andalouse von Les Mouettes d’Arvor, geröstetes Weißbrot und eine Scheibe Chorizo.

Sardinen.Bar
Grunewaldstraße 79, 10823 Berlin,
Tel. +49 30 588 44170, www.sardinen.bar
Geöffnet von Mo bis Fr 16 bis 23.30, Sa 15 bis 23.30 Uhr, So geschlossen.

mare No. 133

No. 133April / Mai 2019

Von Maik Brandenburg und Severin Wohlleben

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Severin Wohlleben, Jahrgang 1987, geboren in Bayern, arbeitet am liebsten im hohen Norden.

Mehr Informationen
Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Severin Wohlleben, Jahrgang 1987, geboren in Bayern, arbeitet am liebsten im hohen Norden.
Person Von Maik Brandenburg und Severin Wohlleben
Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Severin Wohlleben, Jahrgang 1987, geboren in Bayern, arbeitet am liebsten im hohen Norden.
Person Von Maik Brandenburg und Severin Wohlleben