Der Wert der Frau

Auf der Südseeinsel Palau zirkulieren drei Währungen: Dollar, Steingeld und Toluk – das Schildpattgeld der Matriarchen

Leben und Tod

Als das Weinen vorbei war und der Zorn fortgestoßen, stand Schweigen zwischen beiden. Stille ist Vorspann eines Anfangs, aber keine wollte ihn machen. Keine Hand sich strecken, kein Blick sich treffen. Die Mutter des Mörders biss sich auf die Lippen, die Mutter des Opfers hielt sich aufrecht am Türknauf. Man sei gekommen, sagte die eine, um Schuld zu begleichen. Das Leben des Sohnes zurückzuzahlen, das man der anderen genommen hatte.

Es war Zahltag auf Palau. Ganz Koror strömte nach der Arbeit auf die Straßen. Man tanzte und vergaß, dämpfte seinen Frust über den kargen Lohn, schaffte das Ärgernis flaschenweise aus der Welt. Adrian schlenderte gerade heimwärts, als jemand ihn anherrschte: „Zahltag, unser ganz privater!“ Brian schwankte aus dem Schein der Straßenlaterne. Vielleicht nach Hause, um sich wieder ins Gleichgewicht zu trinken. Vielleicht, um sich noch weiter in Wut zu schaukeln, bis der Faden riss, der ihn noch hielt. Adrian fiel nichts Besseres ein, als sich ins Dickicht zu schlagen. Nach einer Weile fuhr der Strahl einer Taschenlampe durch das nasse Gebüsch. Tropfen blitzten auf. Wie leicht, in dem Funkeln zwei Augen zu übersehen! Doch Brian nahm Maß und stach zu.

Die Mutter des Mörders hatte versucht, die Tränen der anderen zu weinen, aber ihre Augen waren schon leer. Auch sie hatte ihr Kind verloren. Was bleibt von einem Leben noch am Leben hinter Gittern? Sie war nicht gekommen, um aufzurechnen. Der Kodex verlangt, um Entschuldigung zu bitten, so wie er auferlegt, sie anzunehmen. Mörder werden weggeschlossen. Aber zwischen den Familien sollen keine Mauern stehen. Was geschehen war, hat auseinander geführt. Damit die Mütter wieder zueinander finden, wird Tngakireng gezahlt, Geld, das den Boden neu pflastert.

5000 Dollar und ein fingernagelgroßes gelbes Tonstück, palauanisches Steingeld. Rund ist es, heißt Gesicht und soll der Familie den Sohn zurückgeben. Das Ganze gebettet in zehn Schälchen vom Panzer der Karettschildkröte, Toluk. Ohne Toluk wären die Dollar geschmacklos. Und die Entschuldigung keine von Herzen.

Alles wird nun sein wie vorher, nur dass man jetzt im Supermarkt über den gemeinsamen Sohn redet. Solange der Mörder im Gefängnis sitzt, vertreten ihn seine Brüder im Haus der Geschädigten. Sie spielen Fußball mit den Kindern, helfen bei den Hausaufgaben, bringen Fisch, tun, was der neue Vater und die neue Mutter von ihnen erwarten. Die Eltern des Opfers weinen um den verlorenen Sohn, aber kein Amt stirbt mit dem Inhaber.

Der Klan und die Frauen

Dienst an der Familie ist höhere Pflicht jedes Palauaners. Der Einzelne wird nicht als Individuum geboren, sondern als Mitglied eines Klans. In seinem Rahmen hat eine Mutter oder ein Sohn bestimmte gesellschaftliche Rechte, aber auch Pflichten zu erfüllen, lebenswichtige Funktionen für die Familie als Ganzes. Es sind übertragbare Rollen, denn wer stirbt, wird ersetzt. Nicht von ungefähr sind viele Palauaner adoptiert.

Wenn ein Kind geboren wird, gehört es zum Klan der Mutter. An dessen Spitze stehen immer Frauen, sie verfügen über den Landbesitz des Klans, kontrollieren das Geld und die Tauschwirtschaft. Männer sind Wolkenschieber, stark darin, heiße Luft von sich zu geben. Männer, sagen Frauen, sind nichts als ein Furz im Wind.

Geld und Tausch

19000 Menschen leben auf der 200 Kilometer langen Inselkette im Westpazifik. Das Archipel umfasst acht große Inseln und Hunderte kleiner, steil aufragender Felsen im Meer. Los Palos, Pfähle, sagten die Spanier, Palau wurde daraus. Die Republik hängt seit vielen Jahren am Tropf der Vereinigten Staaten. Die Amerikaner geben Dollar und nehmen im Gegenzug politischen Einfluss auf die Geschicke der Inseln. Vieles in Palau erinnert an den großen Vormund: Vollschlanke mit Shorts und Baseballkappen, Internetcafés und Pick-ups, Burgerbrater und sogar ein Nachbau des Capitols. Allerdings, trotz aller Amerikanisierung des öffentlichen Lebens haben sich die Palauaner eine ganz eigene Kultur bewahrt.

Höchstes Ansehen genießt die Schildkröte. Sie ist Glücksbringerin. Ihr Fleisch wird auf Beerdigungen und Hochzeiten serviert und noch wichtiger: Aus den Schildpattstücken ihres Panzers werden die Toluk hergestellt – das Zahlungsmittel bei Transaktionen zwischen den Klans.

Drei Währungen gibt es in Palau: abgesehen von den Dollar noch das Steingeld Udoud, das um den Hals getragen wird; vor allem aber die Toluk sind weit verbreitet. Die ovalen Schälchen aus Schildpatt in schwarzbrauner bis rötlicher Schattierung sind zu groß für herkömmliche Portemonnaies; die palauanische Geldbörse ist eine Plastiktüte. Aufbewahrt werden die Toluk in Stahltresoren, alle einzeln mit Etiketten beklebt, beschriftet mit Stammbaum und Namen der Vorbesitzer.

Der Dollar ist Arbeitslohn und offizielles Zahlungsmittel. Steingeld und Toluk sind Währungen in einer Art Schattenwirtschaft zwischen den Klans, in einem über Jahrhunderte gewachsenen Tauschsystem, das alle Familien der Insel zu einem Netz von Gläubigern und Schuldnern verknüpft – mit Heirat, Trennung und Geburt als Geschäftsabschluss. Hier stimmt das Wort vom Gesellschaftsspiel, die ganze Insel macht mit. Aussetzen gilt nicht.

Nehmen wir die Hochzeit. Sie ist Geschäftsbeginn zwischen zwei Klans. Die eine Seite gibt Toluk, Steingeld und Dollar, die andere Partei stellt die Ehefrau. Immer wenn die einen zahlen, arrangieren die anderen Festessen. Bonus erfolgt bei Geburt, die Bezahlung des Bauches. Die letzte Rate bei Tod oder Scheidung. So gesehen ist ein Klan mit vielen Töchtern reich, weil mit jeder Heirat Geld einfließt.


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mare No. 41

No. 41Dezember 2003 / Januar 2004

Von Dimitri Ladischensky und Jodi Bieber

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur für Reisen und Genuss, brachte mit seiner Recherche zu Toluk viele Palauanerinnen zum Erröten. Geldfragen sind Intimfragen.

Jodi Bieber, geboren 1966, Südafrikanerin, lebt als vielfach ausgezeichnete freie Fotografin in Paris und arbeitet regelmäßig für mare, New York Times Magazine und Geo.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur für Reisen und Genuss, brachte mit seiner Recherche zu Toluk viele Palauanerinnen zum Erröten. Geldfragen sind Intimfragen.

Jodi Bieber, geboren 1966, Südafrikanerin, lebt als vielfach ausgezeichnete freie Fotografin in Paris und arbeitet regelmäßig für mare, New York Times Magazine und Geo.
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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur für Reisen und Genuss, brachte mit seiner Recherche zu Toluk viele Palauanerinnen zum Erröten. Geldfragen sind Intimfragen.

Jodi Bieber, geboren 1966, Südafrikanerin, lebt als vielfach ausgezeichnete freie Fotografin in Paris und arbeitet regelmäßig für mare, New York Times Magazine und Geo.
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