Der Weltversteher

Als der britische Naturforscher Charles Darwin 1831 an Bord eines Expeditionsschiffs auf Weltreise geht, ahnt er nicht, dass er mit seinen Erkenntnissen zur Evolution die Welt erschüttern wird

Freitag, 19. August 1831. Nach einer mehrtägigen Wanderung durch das nördliche Wales, die er gemeinsam mit Adam Sedgwick unternimmt, einem der führenden Erdkundler seiner Zeit, kehrt der 22-jährige Theologiestudent Charles Darwin nach Shrewsbury zurück. Dort, in seinem begüterten Elternhaus nahe der englisch-walisischen Grenze, erwartet ihn ein Brief, wie man ihn nur einmal im Leben erhält. Er kommt aus Cambridge, geschrieben von seinem Mentor, dem angesehenen Botanikprofessor John Stevens Henslow. Der hat ihm die Grund­lagen der Pflanzenkunde nähergebracht und dabei ­seine außergewöhnlichen Talente erkannt: Neugier, Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, in großen Zusammenhängen zu denken. 

„Man hat mich gebeten“, schreibt er seinem Schüler, der Naturwissenschaften bislang nur nebenher betrieben hat, „einen Naturforscher als Begleiter von Kapitän FitzRoy zu empfehlen, den die Regierung beauftragt hat, den äußersten Süden von Amerika zu vermessen.“ Zwei Jahre soll die Erdumsegelung dauern. „Haben Sie nicht den leisesten Zweifel oder Sorgen wegen Ihrer mangelnden Qualifikation“, schließt das Schreiben. „Denn ich versichere Ihnen, Sie sind genau der Mann, nach dem sie suchen.“ 

Darwin sagt zu. Am 24. Oktober 1831 beginnt er in Devonport, dem Marinehafen von Plymouth, sein Reisetagebuch. Tags darauf geht er zum ersten Mal an Bord des Vermessungsschiffs. Überall wird gesägt und gehämmert, geputzt und gestrichen. Kapitän FitzRoy hat eine Generalrenovierung des einstmaligen Küstenfrachters angeordnet. Die Brigg namens „Beagle“ – „Spürhund“ – erhält auch ein neues Deck. 

Doch sosehr sich Schiffsschreiner und Zimmerleute bemühen, den Platz an Bord bestmöglich zu nutzen, das Volumen des Dreimasters können auch sie nicht verändern: Auf knapp 28 Meter Länge und weniger als zehn Meter Breite müssen neben zehn Kanonen und Munition, Vorräten für Monate, Ausrüs­tung für alle Fälle und Instrumenten zur Vermessung der Küsten, Buchten und Inseln insgesamt 74 Menschen mit ihrer persönlichen Habe Platz finden. 

Nach immer neuen Verzögerungen soll es am 10. Dezember endlich losgehen. „Wir hatten eine angenehme Fahrt, bis wir den Wellenbrecher umschifften“, lesen wir in Darwins Notizen, „wo mein Elend begann. Mir ging es bald ziemlich dreckig, und in dem Zustand blieb ich bis zum Abend.“ 

Nach einem Tag wird der Versuch abgebrochen. Da hat der nautische Novize bereits seine erste bittere Lehre erteilt bekommen: Man wird nicht seekrank, man ist es. Oder nicht. So wie man Alkoholiker bleibt, auch wenn man nicht trinkt. Kommt das Schiff ins Rollen, bricht die Krankheit aus. Bricht sie nicht aus, ist man seetauglich. 

Am 27. Dezember geht es dann tatsächlich los – und der Tagebuchbericht reißt ab. Erst nach elf Tagen kann Darwin wieder einen Stift halten. Zwischen­zeitlich hat er sich beinahe die Seele aus dem Leib gespien. „Mein Magen hat mir unmissverständlich erklärt, dass er terrestrischen Ursprungs ist und die See nicht mag.“

Die Meere verlangen ihm alles ab. Von den fünf Jahren, die der Trip schließlich dauert, verbringt er ein Viertel auf offener See. Dabei quält er sich – aus dem Ärmelkanal startend – durch Atlantik, Pazifik, den Indischen Ozean sowie durch zahllose Zwischenmeere, Buchten und Engstellen. Doch der Lohn für die Entbehrungen wird gewaltig sein. Am Ende hat Darwin das meiste Material für sein Opus magnum zusammen: jene bis heute gültige Vorstellung von der Entstehung der Arten und ihrer gemeinsamen Abstammung, die Theorie der Evolution des Lebens. 

„Keine Mühen sollen gescheut werden“, heißt es in der Anordnung des Geographical Office, „die Position zu verifizieren.“ Selbst ein Zeitverlust von ein paar Tagen sollte kein Hinderungsgrund sein, um in „einer Serie chronometrischer Beobachtungen“ die exakten Längengrade festgelegter Orte rund um die südliche Hemisphäre festzustellen. 


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mare No. 171

mare No. 171August / September 2025

Von Jürgen Neffe und Anthony Russo

Jürgen Neffe, Jahrgang 1956, Schriftsteller und Publizist in Berlin und San Sebastián de La Gomera, ist auf Darwins Spuren der Route der „Beagle“ gefolgt. Unvergessen geblieben sind dem promovierten Biologen die Fossilien früherer Meeresbewohner in den Anden – ebenso wie die deutlichen Hinweise auf die Entstehung neuer Arten durch geografische Trennung. Über seine Reise und Forschung schrieb er die Biografie „Darwin. Das Abenteuer des Lebens“, ­erschienen 2008 bei C. Bertelsmann.

Anthony Russo, geboren 1949, freier Illustrator in Little Compton, Rhode Island, USA, beschäftigt sich seit Langem mit Darwin und der Reise der „Beagle“. Seine Liebe zum Meer rührt aus eigener ­Erfahrung: In jungen Jahren arbeitete er als Deckhand auf einem Forschungsschiff. Heute zeichnet er unter anderem für die „New York Times“, die „Washington Post“ und den „New Yorker“.

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Jürgen Neffe, Jahrgang 1956, Schriftsteller und Publizist in Berlin und San Sebastián de La Gomera, ist auf Darwins Spuren der Route der „Beagle“ gefolgt. Unvergessen geblieben sind dem promovierten Biologen die Fossilien früherer Meeresbewohner in den Anden – ebenso wie die deutlichen Hinweise auf die Entstehung neuer Arten durch geografische Trennung. Über seine Reise und Forschung schrieb er die Biografie „Darwin. Das Abenteuer des Lebens“, ­erschienen 2008 bei C. Bertelsmann.

Anthony Russo, geboren 1949, freier Illustrator in Little Compton, Rhode Island, USA, beschäftigt sich seit Langem mit Darwin und der Reise der „Beagle“. Seine Liebe zum Meer rührt aus eigener ­Erfahrung: In jungen Jahren arbeitete er als Deckhand auf einem Forschungsschiff. Heute zeichnet er unter anderem für die „New York Times“, die „Washington Post“ und den „New Yorker“.

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Jürgen Neffe, Jahrgang 1956, Schriftsteller und Publizist in Berlin und San Sebastián de La Gomera, ist auf Darwins Spuren der Route der „Beagle“ gefolgt. Unvergessen geblieben sind dem promovierten Biologen die Fossilien früherer Meeresbewohner in den Anden – ebenso wie die deutlichen Hinweise auf die Entstehung neuer Arten durch geografische Trennung. Über seine Reise und Forschung schrieb er die Biografie „Darwin. Das Abenteuer des Lebens“, ­erschienen 2008 bei C. Bertelsmann.

Anthony Russo, geboren 1949, freier Illustrator in Little Compton, Rhode Island, USA, beschäftigt sich seit Langem mit Darwin und der Reise der „Beagle“. Seine Liebe zum Meer rührt aus eigener ­Erfahrung: In jungen Jahren arbeitete er als Deckhand auf einem Forschungsschiff. Heute zeichnet er unter anderem für die „New York Times“, die „Washington Post“ und den „New Yorker“.

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