Der wahre James Bond

James Bond war ein angesehener US-Ornithologe, der ein erfülltes, aber unauffälliges Leben führte. Bis der vogelbegeisterte Schriftsteller Ian Fleming dessen Namen klaute.

Dass irgendetwas nicht stimmte – diese Ahnung beschlich James eines Morgens beim Zeitunglesen. Im Herbst 1960 war das, die Neuauflage seines bekanntesten Buches war soeben erschienen, und jetzt wurde sie in der „Sunday Times“ rezensiert. Er hatte „Birds of the West Indies“ überarbeitet, nachdem er in den vergangenen Jahren immer wieder zwischen den Eilanden der Großen und Kleinen Antillen und den Bahamas gekreuzt war und Erkenntnisse über Fregattvögel und Weißbauchtölpel gewonnen hatte. In der Fachwelt galt sein Buch längst als Standardwerk; aber dass die ehrwürdige „Sunday Times“ aus London es nun besprach, das war dann doch überraschend. James las die Rezension, er las sie ein zweites Mal, und dann sah er zu seiner Frau Mary hinüber. Wahrscheinlich sagte er etwas wie „Es gibt schon merkwürdige Zufälle“ oder sonst etwas Unaufgeregtes; das hätte zu ihm gepasst, er mochte das Understatement. Und er konnte ja auch nicht ahnen, dass dieser Morgen sein Leben verändern würde.

Dies ist die Geschichte eines Diebstahls. Der Ornithologe aus Philadelphia hieß im Herbst 1960 bereits seit ziemlich genau sechs Jahrzehnten James Bond – und musste bei jener Frühstückslektüre feststellen, dass ihm sein Name geklaut worden war. Der Gauner war ein Schriftsteller namens Ian Fleming, und er hatte die Hauptfigur seiner Spionageromane so genannt: James Bond, Agent 007, unterwegs im Auftrag des Geheimdiensts MI6.

Der „Times“-Rezensent fand das amüsant, er schrieb, dass sich James Bond jetzt nicht mehr bloß mit Pistolen, Whisky und schönen Frauen beschäftige, sondern seine Liebe zur Vogelbeobachtung entdeckt und ein Buch veröffentlicht habe. Dass er seinem Hobby in der Karibik nachgehe, passe ja auch irgendwie. Erst am Ende des Artikels klärte der Rezensent die Leser auf.

In den USA kannten 007 damals nur wenige. Flemings Romane waren noch nicht verfilmt und in Amerika keine Bestseller. James’ Frau Mary aber las sie nach diesem Morgen alle – und glaubte, Erlebnisse ihres Mannes zu erkennen, von denen er ihr berichtet hatte. „Es war, als sei mein James die ganze Zeit über beschattet worden“, sagte sie später. Dass Fleming den Namen willkürlich ausgewählt haben sollte und sein Agent nur zufällig nicht Peter Smith oder Tom Walker hieß, wollte Mary nicht glauben. Und genauso schrieb sie es Fleming dann auch.

Die Antwort des 007-Erfinders schaffte Klarheit: Tatsächlich kein Zufall, er selbst sei begeisterter Birdwatcher, und natürlich besitze er „Birds of the West Indies“, und als er auf der Suche nach einem Namen für seinen Romanhelden war, nun ja … „Ich dachte, dass dieser kurze, unromantische, angelsächsische und sehr maskuline Name genau das war, was ich suchte, und schon war ein zweiter James Bond geboren.“ Solch ein Name sei wichtig, etwas wie Peregrine Carruthers hätte nicht funktioniert. Bei all den exotischen Dingen, die seinem Helden zustießen, dürfe auf keinen Fall auch noch dessen Name exotisch klingen, schrieb Fleming zurück. Und als ahne er, auf welch dünnem Eis er sich bewegt, fügte er hinzu: „Ich kann Ihnen im Gegenzug nur anbieten, meinen eigenen Namen für jeg­liche Zwecke zu verwenden. Vielleicht entdeckt Ihr Mann demnächst ja eine besonders hässliche Vogelart, die er Ian Fleming nennen möchte.“

Der wahre James Bond hätte das vielleicht tatsächlich getan, er besaß einen Sinn für schwarzen britischen Humor – bloß hatte er damals bereits 294 von 300 karibischen Vogelarten erfasst und beschrieben, und neue sollten nicht hinzukommen.

Bond stammte aus einer der ältesten und einflussreichsten Familien Philadelphias, hatte viele Jahre seiner Jugend aber in England verbracht und in Cambridge Ökonomie studiert. Zurück an der US-Ostküste, kündigte er schon bald seinen Job bei einer Bank, um sich ganz seinem eigentlichen Interesse zu widmen: Bond wollte Naturforscher werden. Seine Liebe zur Natur und vor allem zur Vogelwelt hatte er vom Vater geerbt.


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mare No. 119

No. 119Dezember 2016 / Januar 2017

Von Stefan Nink

Seit er sich ausführlich mit James Bond beschäftigt hat, kann sich der Mainzer Autor Stefan Nink, geboren 1965, vorstellen, auch mal Birder zu werden. Später, im Ruhestand. Vom Balkon aus. Am liebsten mit einem Martini, geschüttelt, nicht gerührt.

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Vita Seit er sich ausführlich mit James Bond beschäftigt hat, kann sich der Mainzer Autor Stefan Nink, geboren 1965, vorstellen, auch mal Birder zu werden. Später, im Ruhestand. Vom Balkon aus. Am liebsten mit einem Martini, geschüttelt, nicht gerührt.
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Vita Seit er sich ausführlich mit James Bond beschäftigt hat, kann sich der Mainzer Autor Stefan Nink, geboren 1965, vorstellen, auch mal Birder zu werden. Später, im Ruhestand. Vom Balkon aus. Am liebsten mit einem Martini, geschüttelt, nicht gerührt.
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