Der Vier-Stunden-Krieg

Französischer Chauvinismus und dumpfer deutscher Miltärismus treffen im Ersten Weltkrieg in der friedlichen Südsee aufeinander

Krieg hat so viele Ursachen, Motive und Auslöser, wie es Kriege gibt. Keiner gleicht dem anderen, und die 14 400 Kriege, die die Menschheit bisher ertragen musste, waren – entgegen den vorgeblich rationalen Interessen, die sie durchzusetzen beabsichtig­ten – fast immer irrational. Das grausame Spiel bewaffneter Mächte hat etwas Absurdes; es ist sinnlos, unvernünftig, manchmal auch komisch und oft sogar lächerlich.

Lächerlich war auch der kriegerische Akt, der sich zwischen zwei europäischen Staaten denkbar weit abseits, mitten im Pazifik, ereignete; und die Tatsache, dass er an einem Ort stattfand, der als Inbegriff paradieshafter Friedfertigkeit gilt, macht ihn umso lächerlicher. Es geht um einen Treppenwitz der Geschichte.

Der Akt spielte in der achten Woche des Ersten Weltkriegs, dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, der die halbe Welt in Brand setzte – und ein Städtchen in der ­Südsee, 16 000 Kilometer entfernt vom Massensterben ­ der Franzosen und Deutschen an der Maas. Die Akteure waren ein französischer Offizier, ein deutscher Vize­­­ad­miral, vier Schiffe und einige Kanonensalven.

Lieutenant Maurice Destremeau, gerade 39 Jahre alt, war der Garnisonschef in Papeete, der Hauptstadt Französisch-Polynesiens, in der in jenen Jahren kaum 5000 Einwohner ein friedliches, weltabgewandtes Leben als Bauern, Fischer und Koprahändler lebten. Die Tahitianer nannten Destremeau tomana api, „den Neuen“; er war Herr über 25 Soldaten, 20 Gendarmen und eine gewaltige Kohlehalde, die Papeete zu einer Bunkeretappe der Pazifikschifffahrt machte – zu wenig, um Destremeaus militärischen Ehrgeiz zu befriedigen, und wenig genug, ihn zum Opfer der tahitianischen Dösigkeit zu machen.

Am frühen Morgen des 22. September 1914 schien die Stunde gekommen, die die Tristesse des Lieutenant mit einem Schlag in Triumph verwandeln konnte. Seine Wache hatte am Horizont zwei fremde Kriegsschiffe gesichtet, die Kurs auf Papeete nahmen, wohl um Kohle zu bunkern.

Destremeau fühlte sich gewappnet für seinen Eintritt in den Weltkrieg. Schon zu dessen Beginn Anfang Juli hatte er mit dem hölzernen Kanonenboot „Zélée“, einer 56 Meter langen Barkentine, die unter seinem Kommando stand, den deutschen Frachter „Walküre“ beschlagnahmt, der auf dem nahen Inselchen Makatea Phosphat aufnahm. Ohne Befehl aus Paris hatte er das Schiff gezwungen, Papeete anzulaufen. Der deutsche Kapitän, der nichts vom Kriegsbeginn wusste, hielt das Ganze zunächst für einen Witz. Aber Destremeau war es Ernst.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 116. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 116

No. 116Juni / Juli 2016

Von Karl Spurzem

Karl Spurzem, geboren 1959, ist stellvertretender mare-Chefredakteur. Die Geschichte des kleinen Krieges von Papeete erfuhr er aus der Zeitschrift Tahiti Pacifique, deren einziger Abonnent in Deutschland er ist.

Mehr Informationen
Vita Karl Spurzem, geboren 1959, ist stellvertretender mare-Chefredakteur. Die Geschichte des kleinen Krieges von Papeete erfuhr er aus der Zeitschrift Tahiti Pacifique, deren einziger Abonnent in Deutschland er ist.
Person Von Karl Spurzem
Vita Karl Spurzem, geboren 1959, ist stellvertretender mare-Chefredakteur. Die Geschichte des kleinen Krieges von Papeete erfuhr er aus der Zeitschrift Tahiti Pacifique, deren einziger Abonnent in Deutschland er ist.
Person Von Karl Spurzem