Der Vergänglichkeit zum Trotz

Die deutsche Szenenbildnerin Silke Buhr baute für den Spielfilm „Poll“, der dieser Tage in unsere Kinos kommt, ein spektakuläres Haus ins Meer vor Estlands Küste

mare: „Es gibt keine Untergänge, nur Übergänge“, schreibt Oda Schaefer, die junge Heldin des neuen Films „Poll“ von Chris Kraus, in ihr Tagebuch. Ein Thema auch für das Production Design?

Silke Buhr: Auf jeden Fall. Wir haben das Haus ins Meer hinein gebaut, weil es ein Symbol für den Übergang sein soll, den zwischen Beständigkeit und Vergänglichkeit, zwischen Leben und Tod, Besitz und Verlust. „Poll“ handelt aber auch vom Untergang, dem der 800 Jahre währenden deutschen Gesellschaft im Baltikum, was gleichzeitig auch eine Zeit des Aufbruchs war, der Beginn einer neuen Ära für viele Menschen. Der Gutshof mit dem Namen Poll sollte wie ein Gebäude wirken, das sich trotzig festklammert. Sobald es nicht mehr bewohnt ist, verschwindet es, löst es sich auf, wird von einem Sturm einfach weggeschwemmt.

Sie haben in Estland gedreht, wo die Geschichte auch spielt. War es einfach, den passenden Drehort zu finden?

Die Location Scouts hatten zuerst eine Insel entdeckt, die landschaftlich sehr schön war. Es gab einige Scheunen dort, aber kein Gutshaus. Der Bau und der Dreh wären jedoch viel zu aufwendig geworden. Man hätte alles in Hamburg als Klappsystem bauen müssen und auf die Insel verschiffen. Es musste ja jeder Nagel, jedes Kabel herangeschafft werden. Auch gab es dort zu wenig Hotels und Betten für das ganze Team. Zudem hatten wir das Problem dieser langen Winter und kurzen Sommer. Wir wussten, in vier Monaten musste der Bau fertig eingerichtet stehen, das wäre logistisch nahezu unmöglich gewesen.

Es hat fast zwei Jahre gedauert, bis wir schließlich den richtigen Ort gefunden hatten, die charmanten Reste eines Fischerdorfs an der estnischen Südwestküste, allerdings ohne Herrenhaus, das wir hätten verwenden können. Chris Kraus hatte sich umgeschaut und dann plötzlich gemeint: „Da muss es stehen, im Meer da drüben.“

Gut, jetzt kannten Sie also die Vorgabe: Ein Haus im Meer sollte es sein. Wie ging es weiter?

Man braucht für einen Entwurf ja immer eine Idee, eine Art Leitbild. Für mich war es dieses Bild des Kernes. Das Haus sollte einen antiken Säulenkern haben, einem Haus von Andrea Palladio nachempfunden. Dieser zentrale Teil sollte in Stein gebaut sein, natürlich nur optisch, und er sollte für das Beständige, für die Antike stehen, wie ein römischer Tempel im Meer, ein Denkmal für die Kultur, Philosophie und Kunst, die durch den Adel im Land verankert wurde. Und die beiden äußeren Teile sollten in Holz ausgebildet sein, ganz leicht und zerbrechlich, als Symbol der Vergänglichkeit, gebaut in einem lokalen, russischen Stil, sodass es zu einer Synthese von Fremdem und Vertrautem kommt.

Wie eng haben Sie mit Chris Kraus zusammengearbeitet?

Uns verbindet ein tiefes Vertrauensverhältnis, „Poll“ ist nach „Scherbentanz“ und „Vier Minuten“ unser dritter gemeinsamer Film. Chris Kraus ist sehr perfektionistisch, er fordert viel, das ist natürlich anstrengend, aber um einen Film dieser Größenordnung zu realisieren, braucht es dieses Maß an Wahnsinn und Besessenheit, das er hat. Er fordert von jedem im Team das Äußerste, er selbst gibt aber auch das Äußerste – oder noch mehr. Er sah in dem Haus eher den Ort für die Familiengeschichte, die mit seiner eigenen Geschichte zu tun hat, weil der Film lose auf dem Leben seiner Großtante, der Dichterin Oda Schaefer, basiert. Ich habe vor meinem inneren Auge nur die Ruine gesehen und damit eine ganze Bilderwelt, die sich vor mir auftat.

Der Bau des Hauses war enorm aufwendig. Wie funktionierte das logistisch?

Das Art Department bestand aus über 100 Leuten, alles hoch qualifizierte Fachkräfte. Die Basis stellte Gonda Hinrichs, eine sehr erfahrene Filmbauleiterin, sie allein hat 20 Leute mitgebracht. Wir wohnten in einem Ornithologenhotel, was für die Ornithologen bedauerlich war, denn wir waren zur Brutzeit da. Es war die Hölle los, unglaublich, dieses Vogelgeschrei. Wenn du aus der Großstadt kommst und in die Wildnis geworfen wirst, ist das überwältigend. Wir bauten ein Containerdorf im Schnee, für die ganze Technik, und eine Zeltwerkstatt. Aus Estland kamen dann noch 20 freie Mitarbeiter plus eine Zimmerei und eine Dachdeckerfirma.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 84. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 84

No. 84Februar / März 2011

Interview von Zora del Buono

Silke Buhr, Jahrgang 1966, studierte nach ihrer Tischlerlehre Innenarchitektur und war eine der ersten Absolventinnen des Studiengangs für Szenografie an der FH Rosenheim/HFF München. Für Das Leben der Anderen (Regie: Florian Henckel von Donnersmarck) erhielt sie den Deutschen Filmpreis, für Poll den Bayerischen Filmpreis für künstlerische Sonderleistung. Silke Buhr lebt in Berlin.

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Vita Silke Buhr, Jahrgang 1966, studierte nach ihrer Tischlerlehre Innenarchitektur und war eine der ersten Absolventinnen des Studiengangs für Szenografie an der FH Rosenheim/HFF München. Für Das Leben der Anderen (Regie: Florian Henckel von Donnersmarck) erhielt sie den Deutschen Filmpreis, für Poll den Bayerischen Filmpreis für künstlerische Sonderleistung. Silke Buhr lebt in Berlin.
Person Interview von Zora del Buono
Vita Silke Buhr, Jahrgang 1966, studierte nach ihrer Tischlerlehre Innenarchitektur und war eine der ersten Absolventinnen des Studiengangs für Szenografie an der FH Rosenheim/HFF München. Für Das Leben der Anderen (Regie: Florian Henckel von Donnersmarck) erhielt sie den Deutschen Filmpreis, für Poll den Bayerischen Filmpreis für künstlerische Sonderleistung. Silke Buhr lebt in Berlin.
Person Interview von Zora del Buono