Der talentierte Mister Arnold

Corey Arnold ist Fischer von Kindesbeinen an, und er hat die gefährlichste Form seines Berufs gewählt: Krabbenfischer in der Beringsee. Nur eines kann ihn von seiner Arbeit auf eisigen Decks abhalten, und das ist, andere Fischer zu fotografieren

So sind die Tage auf dem Boot, sagt Corey Arnold. Die Tage sind wie die Nächte, das Gefühl für Anfang und Ende verschwimmt. Manchmal raunt der Wind nur, dann ist es, als sei das Quietschen der Seilwinden zu hören, über die die Fangkörbe ins Meer gelassen werden. Meistens faucht der Wind, und das Meer tobt, die Elemente verschwören sich gegen das Boot, das versucht, der See einen Schatz zu entreißen.

Krabben, die Männer auf dem Boot wollen an die Krabben. Es ist kalt auf der Beringsee im Winter, wenn Fangsaison ist. Es ist gefährlich, wenn die Wellen mit dem Boot spielen und die Fischer versuchen, die gefüllten Körbe heraufzuhieven, 700 Pfund, manchmal schwerer. „Crabfishing“ gehört zu den halsbrecherischsten Jobs, die ein Mann sich zumuten kann. Wer über Bord geht, ertrinkt, ohne noch einmal Luft holen zu können. Wer an Bord bleibt, kann erdrückt werden von der Wucht der Fangkörbe, wenn ein Halteseil reißt. Die Fischerhände erstarren in der Kälte, aber sie müssen geschmeidig bleiben, um alles im Griff behalten zu können. Oft können sie es nicht.

Wenn Krabbenfischer in einer lauten Kneipe über die Köpfe der anderen hinweg Bier ordern wollen, fünf Bier für fünf bärtige Männer, reicht manchmal eine Hand nicht, um die Bestellung aufzugeben. „Fischer haben viel Sinn für Humor, aber wenig Finger“, sagt Corey Arnold. Er ist nicht der Typ, der viele Witze einstreut, und auch wenn er es tut, lächelt er nicht dabei.

So sind die Tage auf dem Boot. Wie die Nächte. 24-Stunden- Schichten. 22-Stunden-Schichten. Die Saison ist kurz, niemand schläft, niemand kann es sich leisten zu schlafen, ein kurzes Einnicken vielleicht, der Schlaf übermannt die Fischer, bevor das Brüllen des Meeres, das Heulen des Windes, das Beben des Bootes sie zurückholt. Corey Arnold sagt, und er verzieht keine Miene dabei: „Die an Land zählen ja Schafe, um einschlafen zu können. Ich zähle Krabben. Aber ich schlafe nicht.“

Wer die Szene nur aus den Berichten in den Boulevardzeitungen kennt, aus den dramatisch aufgemotzten TV-Dokumentationen oder aus den schnell geschnittenen Clips im Netz, könnte glauben, Hochseefischerei sei so etwas wie das Dschungelcamp für Fortgeschrittene, „aber das ist es nicht“, sagt Corey Arnold. Wenn man es ernst nimmt, ist es: Arbeit. Und er nimmt es ernst.

Ein Fischer an Land sieht immer so verloren aus wie ein Boxer außerhalb des Ringes, auch wenn sich Corey Arnold Mühe gegeben hat, das Meer in sein kleines Haus zu tragen, 6930 Harold Street, Portland, Oregon. An den Wänden: präparierte Hechtköpfe. Aus dem Hahn: das gute Wasser von Portland, „das beste in Amerika, es gibt für den Körper nichts Besseres als Wasser“, sagt Corey Arnold, 1976 geboren, ein dünner Mann, Jeans, Hemd, Mehrtagebart. In seinen Augen steht die stille Sehnsucht aller Männer, die an Land sein müssen, aber lieber auf dem Wasser wären oder an einem anderen Platz, der es verdient, mit der Ortsmarke „ganz weit draußen“ geadelt zu werden. Die Räume in diesem Haus sehen aus wie Durchgangszimmer. Alles da, was man zum Leben braucht. Nichts, was das Leben gemütlich oder bequem machen würde. Dass einer in zwei Welten lebt, kann ein Klischee sein. Oder eine Zustandsbeschreibung.

Corey Arnold scheint sein Leben geteilt zu haben. Er ist Fischer, und er ist Fotograf. Ein Fotograf, der die anderen Fischer fotografiert. Von Zeit zu Zeit muss jeder Fotograf nach Hause, um zu sichten und zu ordnen. Das Haus ist voller Fotos, gerahmt oder aufgezogen oder noch im Computer, auf dem Wohnzimmertisch liegt sein neuer Bildband „Fish-Work: The Bering Sea“. Auf dem Einband: ein Fischer, der sich als Pferd verkleidet hat und eine Katze im Arm trägt, vor hellgrauem Himmel und dunkelgrauem Meer. Das Pferd, das ein Mann ist, schaut ins Nirgendwo, die Katze sieht aus, als hätte sie sich vorher noch das Fell gerichtet, so konzentriert blickt sie in die Kamera. „Das ist Kitty“, sagt Corey Arnold, er hätte sich auch einen kreativeren Namen ausdenken können, aber sein Leben ist nicht auf Effekte ausgerichtet. Es kommt alles auf Schiffstauglichkeit an. Kitty hat sich als schiffstauglich erwiesen, und weil Katzen ja nachgesagt wird, so etwas wie den siebten Sinn zu haben, betritt sie in diesem Moment die Wohnung und fordert ihr Futter ein.


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mare No. 90

No. 90Februar / März 2012

Von Holger Gertz und Corey Arnold

Holger Gertz, Jahrgang 1968, Seite-Drei-Reporter bei der Süddeutschen Zeitung, war überrascht, dass die Nähe zu den Fischen Corey Arnold nicht zum militanten Tierschützer gemacht hat. Besonders sentimental war Arnold allerdings noch nie. Als kleiner Junge tötete er Insekten und Kleintiere, um nachzusehen, wie sie von innen aussehen.

Die Bilder von Corey Arnold, geboren 1976, waren vom 25. März bis 30. Juni 2012 im belgischen Knokke zu sehen. Ausgestellt werden sie im Rahmen des International Photo Festival Knokke-Heist an verschiedenen öffentlichen Orten der Küstenstadt. Nähere Informationen gibt es demnächst unter www.fotofestival.be.

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Vita Holger Gertz, Jahrgang 1968, Seite-Drei-Reporter bei der Süddeutschen Zeitung, war überrascht, dass die Nähe zu den Fischen Corey Arnold nicht zum militanten Tierschützer gemacht hat. Besonders sentimental war Arnold allerdings noch nie. Als kleiner Junge tötete er Insekten und Kleintiere, um nachzusehen, wie sie von innen aussehen.

Die Bilder von Corey Arnold, geboren 1976, waren vom 25. März bis 30. Juni 2012 im belgischen Knokke zu sehen. Ausgestellt werden sie im Rahmen des International Photo Festival Knokke-Heist an verschiedenen öffentlichen Orten der Küstenstadt. Nähere Informationen gibt es demnächst unter www.fotofestival.be.
Person Von Holger Gertz und Corey Arnold
Vita Holger Gertz, Jahrgang 1968, Seite-Drei-Reporter bei der Süddeutschen Zeitung, war überrascht, dass die Nähe zu den Fischen Corey Arnold nicht zum militanten Tierschützer gemacht hat. Besonders sentimental war Arnold allerdings noch nie. Als kleiner Junge tötete er Insekten und Kleintiere, um nachzusehen, wie sie von innen aussehen.

Die Bilder von Corey Arnold, geboren 1976, waren vom 25. März bis 30. Juni 2012 im belgischen Knokke zu sehen. Ausgestellt werden sie im Rahmen des International Photo Festival Knokke-Heist an verschiedenen öffentlichen Orten der Küstenstadt. Nähere Informationen gibt es demnächst unter www.fotofestival.be.
Person Von Holger Gertz und Corey Arnold