Der Schwimmfluencer

Ein Rettungsanzug und fremde Federn: Wie sich der US-Ameri­kaner Paul Boyton einst zu einem populären Helden machte

Eigentlich wollte er 200 Seemeilen östlich von New York von Bord eines Dampfers springen und wieder zurückschwimmen. Doch alle Kapitäne, die er im Hafen anspricht, weigern sich, ihn mitzunehmen. Mit dieser selbstmörderischen Aktion wollen sie nichts zu tun haben, auch wenn der 26-jährige Paul Boyton ihnen versichert, sein luftgefüllter Gummianzug, eine Art Ganzkörperschwimmweste, sei gerade für das Gegenteil erfunden worden: um Leben zu retten. 

Weil alle ihn für verrückt halten, versteckt sich Paul Boyton am 11. Oktober 1874 auf dem Zwischendeck des Dampfschiffs „Queen“, das am selben Tag in Richtung Europa ausläuft. Ein Ticket hat er nicht – er will ja nur ein kurzes Stück mitfahren und sich dann in den Atlantik stürzen.

Schon seine Mutter konnte Boyton nie von seiner Abenteuerlust und seiner „unnatürlichen Liebe zum Wasser“ kurieren, so zitiert er sie später in seinen Erinnerungen. Weder Prügel noch Hausarrest halfen. Noch als Jugendlicher heuerte er auf einem Dampfer an, der Kohle in die Südstaaten fuhr, und im letzten Jahr des Bürgerkriegs, mit knapp 16 Jahren, bei der Navy der Nordstaaten. Danach schipperte er durch die Karibik, um für seinen Vater, der mit raren Muscheln und Korallen handelte, neue Ware zu besorgen. 

Nach diversen weiteren Abenteuern, darunter dem gescheiterten Versuch, in Südafrika nach Diamanten zu graben, nahm er mit 25 Jahren einen Job an, der ihn an einen Ort band, und arbeitete als Rettungsschwimmer in Atlantic City, einem Ferie­nort südlich von New York. Er hielt es gerade zwei Sommer aus. Dass er, wie er schreibt, dabei 71 Leben gerettet hat, hat ihn nicht zufriedengestellt. Er braucht nicht nur das Abenteuer, sondern auch eine Bühne. Da kommt ihm der Ganzkörperanzug von Clark Merriman aus Iowa gerade recht. 

Merriman, knapp 20 Jahre älter, treibt Ende der 1860er-Jahre als Bahnangestellter den Ausbau des Schienennetzes im Mittleren Westen voran, als ein Ausflugsdampfer auf dem Lake Michigan sinkt und fast alle Passagiere ertrinken. Daraufhin erfindet er einen fast 16 Kilogramm schweren Anzug aus vulkanisiertem Kautschuk, den er 1872 zum Patent anmeldet. Der Zweiteiler wird von einem Eisenring und einem Gummiband um die Taille so fest zusammengehalten, dass er wasserdicht ist. Ein Luftpolster in der eng­anliegenden Kapuze, die nur Augen, Nase und Mund freilässt, hält den Kopf über Wasser. Weitere Luftkammern an Brust, Rücken und den Beinen sorgen dafür, dass der Träger sitzend oder auf dem Rücken liegend auf dem Wasser treiben kann. Rettungsanzüge, die heute von der US Navy verwendet werden, basieren auf dieser Erfindung. Für Merriman ist Boyton genau der Richtige, um mit spektakulären Aktionen Werbung zu machen. Mit dem Sprung von Bord der „Queen“, die im Oktober 1874 aus New York ausläuft, beginnt eine höchst erfolgreiche PR-Tournee – für den Anzug, vor allem aber für Boyton selbst. 

Doch dieser Auftakt verläuft anders als erwartet. Gerade hat er sich im Schutz eines Rettungsboots in seinen kuriosen Anzug gezwängt, als ein Offizier hinter ihm auftaucht und ihn zum Kapitän bringt. Der nimmt ihm den Anzug ab. Weil Paul Boyton aber nicht nur gut schwimmen, sondern auch gut reden kann, gelingt es ihm noch vor ihrer Ankunft in Irland, den Kapitän von seiner Sache zu überzeugen. 

Zweieinhalb Seemeilen vor der west­irischen Küste und vor den Augen entsetz­ter Passagiere springt Boyton – ein Paddel, ein wasserdichter Proviantbeutel und zur Verteidigung gegen Haie eine Axt am Körper vertäut – ins Meer. Und erreicht trotz des Sturms 15 Stunden später das Ufer. Er ist erschöpft, aber „so gesund wie ein Fisch im Wasser“, wie er später Reportern erzählt, und dankt „dem großen Steuermann dort oben“. Die Sensation spricht sich schnell herum. Als Boyton einige Tage später in einem Hotel in Cork eintrifft, ist die Lobby voll mit Schau­lus­tigen. Von nun an ist der Anzug ein Selbstgänger. Eben noch dachte er, er könne das Zimmer nicht mehr bezahlen, da verspricht ihm ein Veranstalter 25 Pfund, wenn er im Stadttheater seinen Schwimmanzug vorführt und einen Vortrag hält, und im Hafen von Queenstown, heute Cobh, paddelt er vor Schaulustigen eine Stunde lang im Wasser herum. 

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mare No. 160

mare No. 160Oktober / November 2023

Von Silvia Tyburski

Autorin Silvia Tyburski,, Jahrgang 1976, hat für mare bereits über die Schwimmerinnen Mercedes Gleitze (No. 139) und Annette Kellermann (No. 146) geschrieben. Boyton war Vorbild für Owen Booths Roman „Die wirklich wahren Abenteuer (und außerordentlichen Lehrjahre) des Teufelskerls ­Daniel Bones“ des mareverlags.

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Vita Autorin Silvia Tyburski,, Jahrgang 1976, hat für mare bereits über die Schwimmerinnen Mercedes Gleitze (No. 139) und Annette Kellermann (No. 146) geschrieben. Boyton war Vorbild für Owen Booths Roman „Die wirklich wahren Abenteuer (und außerordentlichen Lehrjahre) des Teufelskerls ­Daniel Bones“ des mareverlags.
Person Von Silvia Tyburski
Vita Autorin Silvia Tyburski,, Jahrgang 1976, hat für mare bereits über die Schwimmerinnen Mercedes Gleitze (No. 139) und Annette Kellermann (No. 146) geschrieben. Boyton war Vorbild für Owen Booths Roman „Die wirklich wahren Abenteuer (und außerordentlichen Lehrjahre) des Teufelskerls ­Daniel Bones“ des mareverlags.
Person Von Silvia Tyburski