Klack...klack...klack...müde Finger kippen die Schalter am Sicherungskasten um, und mit einem letzten nervösen Aufflackern verabschieden sich die Neonröhren, tauchen das Strandcafé in stille Dunkelheit. Übrig bleibt allein das ferne Geräusch der Turbinen der Süßwasserfabrik, die hinter dem Trockendock rund um die Uhr wie ein Düsentriebwerk eines Jumbojets heulen und pfeifen.
Es ist gegen vier Uhr morgens. Die letzten Akkorde der Musiker sind verhallt. Tomar, Rosa und Celestino mit seinem Cavaquinho, der kapverdischen Rhythmusgitarre, sind längst zu Hause, die Schnapsflaschen abgeräumt, die Stühle aufgestapelt. Die kapverdische Nacht in der „Esplanada Holland“ ist endgültig vorbei, als Marijuana, die Barfrau, den Strand von Laginha entlang allein nach Hause schlendert. Keine Brise mehr. Der ewige Nord-Ost-Passat ist längst eingeschlafen. Starr flankieren die beiden aufragenden Palmen das Café, das eigentlich nur aus einem Container und ein paar Planen über einem rostigen Eisengestell besteht. Auf der Straße die Scheinwerfer leerer Taxis. Flutlichter tauchen den Strand noch immer in gleißendes Licht. Wofür? Niemand weiß es.
Und dennoch – es ist so hell, man könnte hier jetzt die Gedichte des kapverdischen Freiheitskämpfers Amílcar Cabral lesen, wäre man nicht so fasziniert vom orangenen Funkeln der Sandkörner im künstlichen Schein: ein kristallines Meer, auf das schaumgekrönt und aquamarin der Atlantik brandet. Marijuana hat keinen Blick dafür. Zu Hause schläft allein die kleine Tochter, und in ein paar Stunden beginnt die nächste Schicht, dann in der Bar „Nederlands“.
Das ist das Ende. Der Anfang kommt wie eine Armada gespenstischer Narrenschiffe daher: Echsen mit Flügeln und schneeweiße Einhörner. Fantasiefahrzeuge aus Pappmaché gleiten auf Rädern die Rua de Lisboa hinauf. Auf ihnen Poseidon mit seinem Dreizack, ein Drachentöter, der mit stumpfem Schwert gegen den kobaltblauen Himmel anfuchtelt, und eine Königin auf der Pappflosse eines riesigen Urfisches, bedrohlich im Wind schwankend. Carnaval do Cabo Verde.
Zum letzten Mal geht der Umzug unter Samba-Rhythmen am ehemaligen Gouverneurspalast in die Kurve. Dann gehört die Asphaltbühne endgültig dem Volk: Jungs mit falschen Bärten, Piratenkappen, Pappzylindern und feuerspeienden Plastikgewehren überklettern die Absperrung unter den strengen Blicken der Policia Militar mit ihren viel zu großen Tropenhelmen. Jetzt ist es ihr Fest. Trillerpfeifen und Posaunen gellen an den Hauswänden hoch. Dazwischen humpelnde Hunde. Jemand hat seinem Tier eine Plastikpuppe rückwärts aufs Hinterteil geschnallt, ein anderer einem die Augen geschminkt. Punk auf den Kapverden. Buntheit durch Armut. Geruch von Grogue – einem Mixgetränk aus Rum, Zitronen und Gewürzen –, Punch und gebratenen Makrelen steigt über den offenen Garküchen am Straßenrand auf. Männer pressen Miniradios ans Ohr, verfolgen das Treiben auf den anderen Inseln. Frauen lachen, Kinder kreischen. Und Mädchen entziehen sich allzu frechen Jungs. Und dann, als die Dämmerung wie ein Vorhang auf das ganze Spektakel fällt, ist der letzte kapverdische Karneval dieses Jahrtausends plötzlich vorbei. Früher war es besser, sagen die meisten. Doch was heißt das schon. Die Zeiten ändern sich. Überall.
Mindelo, die Hauptstadt von São Vicente, einer von zehn Vulkaninseln, die die Erdgeschichte vor langer Zeit wie versprengte Tintenkleckse 500 Kilometer westlich des afrikanischen Kontinents an die Oberfläche des atlantischen Ozeans treten ließ, verfällt in Dämmer. Eine Nacht und einen Tag nur Schlaf, dann rollen die Rollläden wieder hoch, und das alltägliche Leben beginnt. Vom Karneval bleiben nur die Kodak-Prints im Expressfotoladen, vor dessen Schaufenster sich die Leute drängen, auf der Suche nach Freunden und sich selbst.
Vergessenes Mindelo, einst bedeutende Bunkerstation der Dampfer am Schnittpunkt der Weltrouten Europa – Südafrika – Indien – Australien sowie Afrika – Südamerika. 1850 errichteten Briten hier die ersten Steinkohlelager für ihre „Royal Mail Steam Company“; Mindelo blühte auf. Doch mit größeren Schiffsreichweiten und der Umstellung auf Dieseltreibstoff verlor es immer mehr an Bedeutung. Zu Anfang des Zweiten Weltkrieges galt die Stadt noch als „kleines Casablanca“. Deutsche und britische Spione versuchten in den Cafés und Puffs die geheimen Strategien der gegnerischen Seite zu erkunden. Deutsche U-Boote machten, geduldet von Portugals Diktator und Hitler-Freund António de Oliveira Salazar, Station in Mindelos Porto Grande.
Ende der fünfziger Jahre war schließlich die letzte Kohle aus Mindelo verschwunden und damit Arbeit und Geld. Zwar baute man in den neunziger Jahren einen Terminal, aber die riesigen Containerfrachter lassen São Vicente links liegen. Warum sollten sie, unterwegs von Bremerhaven nach Brasilien, hier heute noch Halt machen? Hier, auf einer Insel aus Staub und Stein, von wo es nichts zu exportieren gibt außer den wehmütigen Morna-Liedern: gesungen auf dem einsamen Archipel, gepresst im Ausland auf silberne CDs. Schiffe kommen heute fast nur noch von Rotterdam, Lissabon oder dem afrikanischen Festland. Weil auch der Regen an den Inseln meist vorbeizieht, muss man sogar Vinho Verde und frisches Gemüse importieren.
Transatlantik – das war einst auch eine kulturelle Verbindung; hier mischten sich südamerikanisches Temperament mit afrikanischem Lebensgefühl und portugiesischem Sentiment. So überhaupt entstand erst Morna – musikalischer Ausdruck der Kapverden von Sehnsucht und Hoffnung auf bessere Zeiten.
Die neue transatlantische Verbindung legt zur Zeit das Kabelschiff „Maersk Defender“. Das Projekt „Atlantis II“ soll die elektronische Kommunikation zwischen den Kontinenten beschleunigen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde von Mindelo aus das erste Telefonkabel durch den Atlantik verlegt. Das Hafenleben wird die „Maersk Defender“ allerdings kaum bereichern. Der Besatzung des im Hafen liegenden Schiffes ist jeglicher Alkoholgenuss verboten, auch an Land. Moderne Zeiten.
Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 16. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.
Roland Brockmann, Jahrgang 1961, ist freier Journalist und lebt in Berlin. Für mare schrieb er zuletzt ein Porträt über die Chefin des Panamakanals (Heft 15).
Max Lautenschläger, geboren 1974, ist Fotograf in Berlin. In Heft 15 erschienen seine Bilder von Curaçao.
Eine Besprechung der Musik von Cesaria Evoras CD Café Atlantico erschien ebenfalls in mare No. 15
Vita | Roland Brockmann, Jahrgang 1961, ist freier Journalist und lebt in Berlin. Für mare schrieb er zuletzt ein Porträt über die Chefin des Panamakanals (Heft 15).
Max Lautenschläger, geboren 1974, ist Fotograf in Berlin. In Heft 15 erschienen seine Bilder von Curaçao. Eine Besprechung der Musik von Cesaria Evoras CD Café Atlantico erschien ebenfalls in mare No. 15 |
---|---|
Person | Von Roland Brockmann und Max Lautenschläger |
Vita | Roland Brockmann, Jahrgang 1961, ist freier Journalist und lebt in Berlin. Für mare schrieb er zuletzt ein Porträt über die Chefin des Panamakanals (Heft 15).
Max Lautenschläger, geboren 1974, ist Fotograf in Berlin. In Heft 15 erschienen seine Bilder von Curaçao. Eine Besprechung der Musik von Cesaria Evoras CD Café Atlantico erschien ebenfalls in mare No. 15 |
Person | Von Roland Brockmann und Max Lautenschläger |