Der Ritt auf der Luftwalze

Nicht Schiff noch Jet: Bodeneffektfahrzeuge haben Zukunft

Das unbekannte Flugobjekt war größer und schwerer als jedes Flugzeug dieser Welt. Es hatte kurze, kräftige Tragflächen und raste, in tosende Wasserwolken gehüllt, im Tiefstflug kilometerweit über dem Kaspischen Meer dahin. Jedes herkömmliche Flugzeug wäre so tief über dem Wasser sofort abgestürzt. Das Gerät hätte von einem anderen Planeten stammen können.

Die Aufnahmen, die Spionagesatelliten 1980 von diesen Flugapparaten der Sowjets machten, beunruhigten die Militärstrategen der USA außerordentlich. Die riesigen Konstruktionen flogen so tief, dass sie für das Radar schon aus mittlerer Distanz unsichtbar waren.

Den Amerikanern war schnell klar: Mit den „Tieffliegern“ hätte die Sowjetunion Truppen oder Atomwaffen unerkannt über weite Strecken transportieren können. Was waren das für geheimnisvolle Giganten? Hatten die USA wieder eine neue Technologie verschlafen? Den Militärs kamen unangenehme Erinnerungen an den Sputnik-Schock der 50er Jahre. Die Experten waren ratlos und gaben der Angelegenheit den Namen „Caspian Sea Monster“.

Die Amerikaner hätten wissen können, worum es sich handelte. Ein Blick in die eigenen Archive hätte Klarheit gebracht – oder ein Anruf beim Verteidigungsminister in Bonn. Sie hätten erfahren, dass der deutsche Ingenieur und Aerodynamiker Alexander Lippisch Anfang der 60er Jahre in Iowa Fluggeräte erprobt hatte, die dicht über dem Wasser fliegen konnten. Und dass sie selbst vorübergehend diese Neuentwicklungen verfolgt und entsprechende Forschungsaufträge erteilt hatten.

Lippisch arbeitete damals für die Collins Radio Company, deren Chef bei ihm ein ultraschnelles Boot in Auftrag gab.

Lippisch experimentierte auf dem Bach hinter seinem Haus mit Modell-Katamaranen, machte sie immer schneller, bis der Schiffsrumpf vom Wasser abhob, kurz flog – und umschlug. Er sah sich vor dem Ziel: „Nun musste ich das Boot nur noch dazu bringen, dass es sich beim Fliegen nicht überschlug“, erzählte Lippisch später. Der Aerodynamiker löste das Problem, indem er sein Airfoil X-112 mit dreieckigen Deltaflügeln und einem Heckleitwerk ausstattete.

Lippisch hatte einen Effekt ausgenutzt, der jedem Piloten von der Landephase her vertraut ist: den Bodeneffekt. Ein Flugzeug wird in Bodennähe von einem Kissen aus gestauter Luft getragen, das sich zwischen den Tragflächen und dem Boden oder der Wasseroberfläche bildet. Auch Vögel wenden das Phänomen an – Albatrosse, Schwäne und Enten können nur mit Hilfe des Bodeneffektes vom Wasser abheben. Wie stark das Luftkissen ist, hängt von der Flughöhe und der Form und Länge der Tragflächen ab. Je geringer die Flughöhe, desto stärker der Effekt. Da der Auftrieb in Bodennähe weit größer ist als beim Flugzeug in größerer Höhe, sinkt der Treibstoffverbrauch um bis zu 40 Prozent.

Lippisch hatte vielleicht den Fehler begangen, dass er im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein bisschen zu klein anfing – mit Geräten aus Balsaholz, nur wenig größer als Schiffsmodelle. Die US-Regierung jedenfalls verlor das Interesse an den fliegenden Schiffen und strich die Aufträge. Lippisch kehrte nach Deutschland zurück, gewann die Firma Rhein-Flugzeugbau aus Mönchengladbach für die Bodeneffektfahrzeuge und fand in Hanno Fischer seinen wichtigsten Mitarbeiter.

Mit Unterstützung des Bundesverteidigungsministeriums bauten Lippisch und Fischer in den 60er Jahren mehrere Airfoils, darunter die X-113 AM. Dieser als Trimaran gebaute Einsitzer war durch seinen Styroporkern praktisch unsinkbar und flog 25 Zentimeter über dem Wasser. Die eingestellte Höhe hielt die Maschine automatisch bei, ohne Autopilot. Fahrzeuge dieser Art sollten für die Nato das gegnerische Radar unterfliegen, zwischendurch hochspringen und mit dem eigenen Radar den Feind auskundschaften. Die Konstrukteure, ein Team von 25 Mann, konnten glauben, dass sie die einzigen waren, die die neue Technik beherrschten.

Welch ein Irrtum.


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mare No. 16

No. 16Oktober / November 1999

Von Henning Sietz

Henning Sietz, Jahrgang 1953, studierte Slawistik und arbeitet als freier Journalist und Autor in Hamburg. In mare erschien in No. 10 „Für immer fern der Heimat“, die Geschichte der Schweizer Hochseeflotte

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Vita Henning Sietz, Jahrgang 1953, studierte Slawistik und arbeitet als freier Journalist und Autor in Hamburg. In mare erschien in No. 10 „Für immer fern der Heimat“, die Geschichte der Schweizer Hochseeflotte
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Vita Henning Sietz, Jahrgang 1953, studierte Slawistik und arbeitet als freier Journalist und Autor in Hamburg. In mare erschien in No. 10 „Für immer fern der Heimat“, die Geschichte der Schweizer Hochseeflotte
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