Der Preis der Meere

Seit einiger Zeit entwickeln Ozeanografen und Volkswirte Rechenmodelle, die es möglich machen, den Wert nachhaltiger Meeresnutzung zu benennen. Die Ergebnisse zeigen: Es lohnt auch finanziell, die Meere so unberührt wie möglich zu lassen

Ein einziger Hektar geschützter mexikanischer Mangrovenwald ist aufgrund der dort vorkommenden Artenvielfalt gut 26 000 Euro im Jahr wert. Dies geht aus einer Forschungsstudie hervor, die Octavio Aburto-Oropeza, mein Kollege an der Scripps Institution of Oceanography an der Universität von Kalifornien in San Diego, kürzlich in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht hat.

Aburto-Oropeza hat außerdem festgestellt, dass das Meeresschutzgebiet Cabo Pulmo im mexikanischen Baja California einen deutlich höheren wirtschaftlichen Mehrwert für die lokale Wirtschaft erzeugt hat, als sich durch eine Fortsetzung der destruktiven Ernteverfahren hätte erzeugen lassen können. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass es sich bei den vorausdenkenden Menschen, die sich 1995 für die Schaffung des Schutzgebiets einsetzten, um örtliche Fischer handelte.

Derweil haben Kollegen in Australien geschätzt, dass ein einzelner Riffhai während seines Lebens für den pazifischen Inselstaat Palau Tourismuseinnahmen in Höhe von 1,4 Millionen Euro generiert – deutlich mehr, als er tot in Form von Nahrung wert wäre. Dieser Wert übersteigt sogar die bizarr hohe Rendite, die Haifischflossenjäger erzielen, wenn sie ein paar dreieckige Knorpelstücke aus dem Hai herausschneiden, bevor sie das verkrüppelte Tier ins Meer zurückwerfen, wo es ein langsamer, schmerzhafter Tod erwartet.

An einer ganz anderen Front haben Meeresforscher stichhaltige Beweise dafür gefunden, dass 90 Prozent der Masse der Lebewesen in den Weltmeeren mikrobisch ist, das heißt in Form von Bakterien, Cyanobakterien und Viren vorliegt. Der Ozean beherbergt Mikroben, die die chemischen Grundlagen für neue Kategorien von Antibiotika und krebsbekämpfenden Mitteln liefern könnten. In jedem Liter Meereswasser finden sich zehn Milliarden Mikroben – eine so hohe Dichte, dass meine Biologenkollegen bei Scripps argumentieren, dass Ozeane weniger als Wasserbehältnisse, sondern vielmehr als eine immense Gelatine angesehen werden sollten.

Seit Jahrtausenden haben die Menschen den Weltmeeren ausschließlich mit Hinblick darauf, was sich aus ihnen gewinnen lässt, Wert zugeschrieben. In aufgeklärteren Zivilisationen kommen vielleicht noch Inspirations-, Ästhetik- oder Freizeitwert hinzu. Jetzt endlich jedoch verbünden sich Wissenschaft und Wirtschaft, um aus monetärer Sicht zu dokumentieren, was es wert ist, die Ozeane so unberührt wie möglich zu lassen.

Wir haben vom jüngsten tragischen E-coli-Ausbruch gelernt, dass Mikroben positive wie negative Seiten haben können. Bevor wir unsere Weltmeere mit immer mehr menschlicher Aktivität verändern, wäre es klug, zunächst so viel wie möglich über diese Mikroben-„Fischgründe“ und ihre potenziellen Produkte und Dienstleistungen zu lernen.

Der Wert eines gesunden Ozeans lässt sich auch auf andere Art und Weise betrachten. Wie viel würden Sie beispielsweise dafür zahlen, dass die Weltmeere auch weiterhin die thermische Stabilität des Planeten gewährleisten? Dies ist keine abstrakte Frage. Wir haben zwar Satellitendaten aus 30 oder 40 Jahren über die „Haut“ der Meere, aber erst seit ungefähr einem Jahrzehnt sind wir in der Lage, umfassende gleichzeitige Messungen aller bedeutenden Meeresbecken zu machen.

Dies haben wir dem Argo-Netzwerk zu verdanken, einer Flotte von mehr als 3200 Robotern, die alle zehn Tage in die Meere hinabtauchen, wieder auftauchen und uns Daten übermitteln. Eine der Hauptentdeckungen Argos bietet uns einen Vorgeschmack darauf, was geschehen könnte, wenn dieser Wärmeregler der Welt überlastet wird. Das Netzwerk hat eine Beschleunigung des weltweiten hydrologischen Zyklus dokumentiert. Dies geschieht, wenn der Ozean wärmer wird und mehr Wasser in die Atmosphäre verdunstet.


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mare No. 87

No. 87August / September 2011

Von Tony Haymet

Professor A. D. J. „Tony“ Haymet ist seit 2006 Direktor der Scripps Institution of Oceanography, dem 1903 gegründeten Meeresforschungszentrum der Universität von Kalifornien in San Diego. Hier lehrt er auch Ozeanografie und Chemie. Der Australier, Jahrgang 1956, gehört zu den führenden Köpfen in Meeresangelegenheiten. Seit er die legendäre Institution leitet, sind vier seiner Scripps-Kollegen, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen, mit Nobelpreisen geehrt worden.

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Vita Professor A. D. J. „Tony“ Haymet ist seit 2006 Direktor der Scripps Institution of Oceanography, dem 1903 gegründeten Meeresforschungszentrum der Universität von Kalifornien in San Diego. Hier lehrt er auch Ozeanografie und Chemie. Der Australier, Jahrgang 1956, gehört zu den führenden Köpfen in Meeresangelegenheiten. Seit er die legendäre Institution leitet, sind vier seiner Scripps-Kollegen, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen, mit Nobelpreisen geehrt worden.
Person Von Tony Haymet
Vita Professor A. D. J. „Tony“ Haymet ist seit 2006 Direktor der Scripps Institution of Oceanography, dem 1903 gegründeten Meeresforschungszentrum der Universität von Kalifornien in San Diego. Hier lehrt er auch Ozeanografie und Chemie. Der Australier, Jahrgang 1956, gehört zu den führenden Köpfen in Meeresangelegenheiten. Seit er die legendäre Institution leitet, sind vier seiner Scripps-Kollegen, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen, mit Nobelpreisen geehrt worden.
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