Der Perlen-TÜV

Wer kostbarste Perlen auf Echtheit prüfen lassen will, kommt an einem unscheinbaren Institut in Basel nicht vorbei

Der wichtigste Ort der Welt für alle, die wertvollen Perlenschmuck lieben, tut bescheiden, obwohl es genügend Gründe gäbe, unbescheiden zu sein: ein Bürohaus in der Baseler Innenstadt, schlicht und blass, errichtet im Jahr 1932. Im Erdgeschoss befindet sich ein Blumenladen, links davon ein Geschäft für Geschenkartikel. Straßenbahnen und Passanten bummeln ahnungslos vorbei.

Unauffällig sein, Diskretion wahren, das sind wichtige Tugenden in der Branche. Niemand soll von außen erahnen können, woran im Inneren gearbeitet wird. Deshalb gibt es auch keinen Stacheldraht, keine bewaffneten Wachmänner und schon gar keine Schaufenster. Nur ein dezent platziertes Schild am Hauseingang mit der Aufschrift: „Swiss Gemmological Institute SSEF“.

So also heißt die Einrichtung, der Ölscheichs ihr Vertrauen schenken ebenso wie Hollywoodstars, russische Oligarchen oder europäische Königsfamilien. Christie’s und Sotheby’s versteigern keinen kostbaren Perlenschmuck, ohne vorher das SSEF gefragt zu haben. Die besten Juweliere holen sich dort Rat, aber auch Polizei und Staatsanwaltschaft.

Es geht um Stücke, die sich nur die Reichsten dieser Welt leisten können. Aber auch die wollen sich nicht über den Tisch ziehen lassen. Deshalb gibt es das SSEF. Es ist so etwas wie der TÜV des Perlengeschäfts – das weltweit führende Institut, das Naturperlen auf ihre Echtheit prüft. Die Wissenschaftler des SSEF wissen, worauf es bei Naturperlen ankommt. Weil das Labor einen Spitzenruf hat, landen beinahe alle Perlen von Wert zur Prüfung irgendwann hier in Basel, in der Falknerstraße 9. Bei Michael Krzemnicki, dem Chef.

Jetzt sitzt er da, Krzemnicki, promovierter Geologe, Jahrgang 1967, in der kleinen Pausenküche oben im fünften Stock. Seit 2009 leitet er nun schon das Institut, ein freundlicher Mann ohne eigenes Büro. Auf drei Ebenen drängen sich 20 Forscher, Assistenten und Chemielaboranten, man sitzt Mikroskop an Mikroskop, auch der Chef. „So können wir gut zusammenarbeiten“, sagt er. Bald wird das SSEF neue, größere Räume beziehen müssen, aus Platzgründen. Bis dahin bleibt die Küche das Herzstück des Instituts: Konferenzraum und Pausenzimmer in einem.

Krzemnicki holt mehrere Plastikbeutelchen hervor und legt sie auf den Tisch, zwischen dampfenden Kaffeetassen und einer geöffneten Tetrapaktüte Orangensaft. Er packt den Inhalt aus, und nun liegen sie da, auf dem Küchentisch, wo vorhin noch mit Schokoladenkuchen gekrümelt wurde: drei prachtvolle Halsketten mit cremefarbenen Perlen. Vor ein paar Tagen sind sie zum Zertifizieren eingetroffen. Krzemnicki nimmt die Stücke in die Hand, als handele es sich um seine Autoschlüssel.

„Diese Halskette“, erklärt er, während er sie durch seine Finger gleiten lässt, „kann man bis ins Jahr 1860 zurückverfolgen. Sie ist 1,6 Millionen Schweizer Franken wert.“ Kurze Pause. Er blättert in seinen Unterlagen. Dann nimmt er eine andere Kette. „Diese ist drei Millionen wert, ungefähr.“ Und die dritte? „Etwas mehr. Vielleicht vier Millionen.“

Es ist eine verrückte Welt. Eine Welt, in der man zwischen Naturperlen und Zuchtperlen unterscheidet. Naturperlen wachsen ohne menschliches Zutun in Muscheln oder Schnecken heran. Sie entstehen rein zufällig, wenn Epithelzellen zum Beispiel einer Auster durch Einbohrung von Parasiten oder durch andere Verletzungen ins tiefere Mantelgewebe verschleppt werden. Es bildet sich eine Zyste, der sogenannte Perlsack. Als Reaktion darauf produziert die Muschel Perlmutt, das sich nach und nach in kugelförmigen Schichten innerhalb dieses sich stetig vergrößernden Perlsacks ablegt und so die Perle formt. Ein Prozess, der im Extremfall 20 oder mehr Jahre dauern kann.

Seit Jahrhunderten gehören Naturperlen zu den begehrtesten Kleinoden der Menschheit. Runde Körper aus über 90 Prozent Kalziumkarbonat, glatt und handschmeichlerisch. Chaotische Lichtbrechungen verführen den Betrachter, ebenso die Farben, von Weiß über Gelb und Rosa bis Grau. Perlen galten als Göttergeschenke, die übernatürliche Kräfte hatten: Sie heilten Kranke und machten Gesunde glücklich. Seit je waren sie Objekte der Begierde für Königinnen und Könige, Symbole der Macht und des Reichtums. Die Faszination dafür wurde noch gestärkt durch ihre Seltenheit. Taucher mussten, nur in Leinentücher gehüllt, Tausende Muscheln aus dem Meer hervorholen, nur um eine einzige Perle zu finden.


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mare No. 101

No. 101Dezember 2013 / Januar 2014

Von Jan Keith

Noch nie zuvor hatte Jan Keith, geboren 1971, mare-Redakteur, etwas durch seine Finger gleiten lassen, das mehrere Millionen Euro wert ist. Erst hinterher bemerkte er, wie sehr seine Hände vor Aufregung schwitzten.

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Person Von Jan Keith
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