Der Müll, die Moneten und die Mafia

Der Export von Abfällen der Industrienationen ist zum globalen Mil­liar­dengeschäft geworden. Reeder aus aller Welt verschiffen den Müll über die Weltmeere zu fremden Ufern, zumeist in Länder der Dritten Welt. Das findet auch die Mafia interessant

Zwei alte Fernseher schiebt der junge Mann auf einer Sackkarre heran, die müssen auch noch mit. Der Mann aus Kamerun wuchtet sie in den Kleintransporter, der jetzt schon vollgestopft ist mit alten Computern, Monitoren und Tastaturen. Die Fernseher passen auch noch rein, na sicher. „Dreimal im Jahr komme ich nach Hamburg und kaufe hier alte Geräte“, erzählt der große Mann in der schwarzen Lederjacke, zündet sich eine Zigarette an und schaut zufrieden auf den rostigen Transporter, seinen überdimensionierten Einkaufswagen.

Die Shoppingtour bei den Müllhändlern an der Billstraße war wieder einmal erfolgreich. „In Kamerun mache ich aus drei alten Fernsehern einen neuen.“ Plötzlich stolpert ein Mann die Treppe herab und stellt sich dazu. Ein Mittfünfziger, vielleicht Türke. Der Besitzer? „Ich beantworte keine Fragen. Ich habe genug Probleme mit den Behörden“, wiegelt er ab.

Wenn Hamburg das Tor zur Welt ist, dann ist die Billstraße die Einfahrt zu ihren Mülldeponien. Die triste Ausfallstraße nahe dem Hamburger Hafen ist einer der prominentesten Umschlagorte für Elektroschrott in Hamburg, wenn nicht gar in Deutschland. Hier treten alte Fernseher ihre letzte Reise an, nach Asien und nach Afrika. Dort schlachten Menschen sie aus, um an die kostbaren Edelmetalle heranzukommen.

Sie tun das um jeden Preis, Arbeitsschutzstandards und Umweltvorschriften kennen sie nicht. Ein Milliardengeschäft, das in der Billstraße beginnt und auf einer Müllhalde in Ghana endet. Und dazwischen liegen Tausende Kilometer Ozean, die das Problem an ferne Ufer spülen. Es ist die Globalisierung des Wegwerfwahnsinns, die Globalisierung des Mülls. Allein 2005 vagabundierten rund 7,5 Millionen Tonnen exportierte Abfälle ganz legal und von den Behörden registriert um den Globus, geschredderte Plastikfolie landete in China, deutscher Hausmüll in der Schweiz (Kasten ab Seite 83).

Doch weil sich mit Abfällen inzwischen das große Geld verdienen lässt, mischen auch Schmuggler in dem schmutzigen Geschäft mit. 2006 ergaben Stichproben in Europas Seehäfen, dass jeder zweite kontrollierte Container illegale Abfälle enthielt: von Kühlschränken mit gefährlichem FCKW bis zu verdreckten Erdkabeln.

Einer der Müllströme, die am schnellsten wachsen, ist Elektroschrott. Jährlich fallen mindestens 20 Millionen, wenn nicht sogar 50 Millionen Tonnen E-Schrott an, schätzen die Vereinten Nationen. Weil er hochgiftige Schwermetalle enthält, darf er die EU nicht verlassen. „Zurzeit wird aber nur ein kleiner Teil dort recycelt, wo er auch anfällt“, sagt Maria Elander von der Deutschen Umwelthilfe, „der Großteil wird billig in Afrika entsorgt.“ Wer seinen Fernseher bei den Händlern an der Billstraße loswird, macht ein gutes Geschäft: Er spart sich die teure Entsorgung in Deutschland. Und in Afrika ist der Elektroschrott begehrt, weil er wertvolle Edelmetalle enthält.

Wenn er könnte, würde Wolfgang Drücker diesem Treiben sofort ein Ende machen. Er ist Abfallexperte der Hamburger Umweltbehörde. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich mit nichts anderem. Und kaum jemand ist näher an dem Thema als er – die Behörde hat ihren Sitz in der Billstraße 84, nur ein paar Schritte von den Elektrohändlern entfernt. Der Export gefährlicher Abfälle, die in Entwicklungsländern billig beseitigt werden sollen, ist laut der Basler Konvention von 1989 verboten, erst recht der Export von alten Computerbildschirmen und Fernsehgeräten, die Blei und gefährliche Flammschutzmittel enthalten.

Doch die Händler an der Billstraße führen Drücker an der Nase herum. Sie nutzen einen Definitionstrick. „Es ist nicht immer eindeutig, ob ein Gerät Abfall ist oder noch Gebrauchtware“, erklärt Drücker, „es fehlen rechtlich eindeutige Abgrenzungsmerkmale.“ Es ist der Schein, der zählt, in den Zollpapieren und in der Billstraße. Keiner der Geschäftsleute dort sieht sich als Müllschieber. Das kratzt an der Ehre. Sie sind Gebrauchtwarenhändler.

„Im- und Export“ steht auf den unscheinbaren Firmenschildern, auf Deutsch, Arabisch und Russisch. In der Einfahrt liegen achtlos hingeworfene Autoreifen, an der Schuppenwand türmen sich drei aufeinander gestellte Waschmaschinen, daneben Kühlschränke und Computer – ausgemusterte Verlierer des technischen Fortschritts, woanders aufgekauft und hier weiterverschachert. Drei Männer beratschlagen über einer geöffneten Motorhaube, ein paar Afrikaner stehen vorm Asia-Imbiss, trinken Bier im Nieselregen. Es ist schwer für Drücker, den Händlern das illegale Treiben nachzuweisen. „Dafür müssten wir sie auf frischer Tat ertappen.“ Die Geschäfte werden in der Regel in bar abgewickelt und nicht dokumentiert – Behörden aber brauchen Beweise.

Den Müllhändlern wird es leicht gemacht. Schiffsagenturen wie Global Transit, die praktischerweise gleich neben den Schrotthändlern sitzen, übernehmen den Papierkram und organisieren das Verschiffen der Ware. Falls gewünscht, inklusive Hotelzimmer mit Internet für ihre ausländischen Kunden. Der Hamburger Hafen ist nah, täglich legen Schiffe nach Asien oder Afrika ab, fast jede Reederei nimmt auch Abfälle mit.


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mare No. 73

No. 73April / Mai 2009

Von Marlies Uken

Bei ihren Recherchen in der Hamburger Billstraße wurde der Berliner Autorin Marlies Uken, Jahrgang 1977, zwischendurch mulmig. Kaum ein Müllhändler war auskunftswillig, einige Male wurde sie rüde vom Gelände verwiesen. Nur der Besitzer eines kleinen Holzladens, der seit Jahren zwischen Ramschbuden und Plastikmüllhändlern die Stellung hält, erzählte ihr ein wenig über den florierenden Handel mit Abfällen in seiner Nachbarschaft.

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Vita Bei ihren Recherchen in der Hamburger Billstraße wurde der Berliner Autorin Marlies Uken, Jahrgang 1977, zwischendurch mulmig. Kaum ein Müllhändler war auskunftswillig, einige Male wurde sie rüde vom Gelände verwiesen. Nur der Besitzer eines kleinen Holzladens, der seit Jahren zwischen Ramschbuden und Plastikmüllhändlern die Stellung hält, erzählte ihr ein wenig über den florierenden Handel mit Abfällen in seiner Nachbarschaft.
Person Von Marlies Uken
Vita Bei ihren Recherchen in der Hamburger Billstraße wurde der Berliner Autorin Marlies Uken, Jahrgang 1977, zwischendurch mulmig. Kaum ein Müllhändler war auskunftswillig, einige Male wurde sie rüde vom Gelände verwiesen. Nur der Besitzer eines kleinen Holzladens, der seit Jahren zwischen Ramschbuden und Plastikmüllhändlern die Stellung hält, erzählte ihr ein wenig über den florierenden Handel mit Abfällen in seiner Nachbarschaft.
Person Von Marlies Uken