Der Marseille-Krimi

Jahrelang versorgt eine Bande von Tauchern Nobelrestaurants der Côte d’Azur illegal mit Edelfisch aus Meeresschutzgebieten. Bis eine Staatsanwältin und ein neues Gesetz das Treiben beendet

Scheinbar schwerelos gleitet der Apnoetaucher in türkisklarem Wasser über ein Riff. Im Arm hält er eine Harpune, eine Kamera folgt ihrem Lauf. Als in der Ferne ein Fisch auftaucht, zielt er. Der Pfeil zischt durchs Wasser. Treffer. Er zieht seine zappelnde Beute heran, taucht auf, zeigt sie in die Kamera: eine drei Kilogramm schwere Zahnbrasse. 

Das Video läuft auf YouTube, der Speerfischer ist David Rogliano, 40, geboren und aufgewachsen in Marseille, nur unweit der weiß-blauen Buchten des Nationalparks Calanques. Der Franzose gilt hier als einer der besten Apnoetaucher, mit seinem athletischen Körper, der Glatze und den dunklen Augen könnte man ihn glatt mit dem Helden von „Le Grand Bleu“ verwechseln. Sein eigener Film handelt allerdings nicht von Tiefenrekorden. Sondern von rekordmäßiger Wilderei. 

Dreieinhalb Jahre lang raubte Rogliano Meerestiere aus den geschützten Gewässern des Nationalparks, um sie schwarz an Restaurants und Geschäfte zu verkaufen. Insgesamt 4,6 Tonnen Speisefische, 322 Kilogramm Tintenfische sowie je 20 000 Seeigel und Turbanschnecken. Im April 2017 flogen er und seine drei Komplizen auf, wurden wegen „bandenmäßiger Wilderei“ hart bestraft: bis zu drei Jahre auf Bewährung, zudem müssen sie dem Nationalpark 350 000 Euro Wiedergutmachung für den „ökologischen Schaden“ bezahlen, den sie angerichtet haben. 

Beide Urteile – das jüngste fiel im März 2020 – sind eine europaweite Premiere. Naturschützer jubeln. In Marseilles Häfen und Gastroszene ist nichts mehr, wie es einmal war. Roglianos YouTube-Filmchen erzählt über all diese spannenden Details: nichts. Dafür konnte mare die Gerichtsakten lesen und befand: Der Stoff eignet sich für gleich drei Genres – als Naturdoku, Marseille-Krimi und Justizthriller. 

Die Naturdoku
Sie spielt direkt vor den Toren der Hafenstadt, im zweitjüngsten Nationalpark Frankreichs. 2012 wurden 85 Quadratkilometer der zerklüfteten, nach Kiefern und Thymian duftenden Steilküste unter Schutz gestellt, zusammen mit einigen Inselchen und 435 Quadratkilometer tiefblauem Meer. An dessen Grund tummeln sich Seeigel, Tintenfische und Schnecken zwischen Kalkriffen und Neptungras. Darüber schwimmen kleine Fische und große, Wolfsbarsche, Zahnbrassen, Doraden, Schwärme rarer Meerraben sowie streng geschützte Braune Zackenbarsche – mit durchschnittlich zwölf Kilogramm die Giganten des Mittelmeers.

Wer von den örtlichen Profi- und Hobbyfischern wo was in welcher Zahl fangen oder harpunieren darf, ist genau geregelt. Und ebenso, wo nicht: in den sieben Fangverbotszonen, dem „Tresor unserer Biodiversität“, wie Patrick Bonhomme, Biologe des Nationalparks, sie nennt. Nur hier kann die Meeresfauna ohne Fischereidruck wachsen und für Nachwuchs sorgen. Die Biomasse in den Zonen ist laut Studien mehr als doppelt so hoch wie außerhalb. „Davon profitieren Natur und Fischerei gleichermaßen“, sagt Bonhomme. „Diese Zonen sind essenziell für die Zukunft des Mittelmeers.“ 

Hier beginnt der Krimi
Knapp 900 000 Einwohner hat Marseille und den Ruf der ärmsten Schönheit unter Frankreichs Großstädten. Als der Nationalpark kam, freuten sich die meisten, weil er Touristen und somit Jobs und Geld bringt. Mit den Regeln haderte man. Wer in den Cafés der kleinen Häfen einige Pastis trinkt, bekommt schnell mit, dass 

es bei vielen der sonnenverbrannten Freizeitkapitäne, Angler oder Speerfischer bis heute zur mode de vie, zur Lebensart, gehört, überschüssige Fänge für ein paar Scheinchen weiterzuverkaufen. 

So fing es wohl auch bei David Rogliano und seinen drei Kumpeln an: dem drei Jahre älteren, mit Fischen und Kraken tätowierten Stéphane Avedissian, Rémi Paulino, Spitzname „der Portugiese“, sowie Rodolphe Garcin, mit Mitte 20 der Jüngste der Gang. Alle vier sind hervorragende Speerfischer, hatten zwar Jobs, aber nie genügend Geld. Dafür kriminelle Energie und zunehmend Kundschaft. Seit 2013 zog  Marseille als Europäische Kulturhauptstadt Millionen Besucher an, die sich abends in den Restaurants mit spécialités locales verwöhnen ließen. So lockte nach Feierabend auch das schnelle Geld aus dem Meer. 

 

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mare No. 141

mare No. 141August / September 2020

Von Katja Trippel, Paolo Verzone und Yohanne Lamoulère

Katja Trippel, geboren 1973, Journalistin in Berlin, liebt Marseille, aber Fisch bestellt sie dort nicht mehr. Lieber isst sie Couscous in der Rue d’Aubagne.

Paolo Verzone, Jahrgang 1967, Fotograf in Barcelona, genoss die Bootstrips durch den Park – vor allem die „atemberaubenden Sonnenaufgänge“. Verzone wird von der Agentur VU in Paris vertreten.

Yohanne Lamoulère, geboren 1980, lebt seit vielen Jahren in Marseille und beschäftigt sich in ihrer Fotografie mit den verschiedenen Facetten dieser Stadt.

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Vita Katja Trippel, geboren 1973, Journalistin in Berlin, liebt Marseille, aber Fisch bestellt sie dort nicht mehr. Lieber isst sie Couscous in der Rue d’Aubagne.

Paolo Verzone, Jahrgang 1967, Fotograf in Barcelona, genoss die Bootstrips durch den Park – vor allem die „atemberaubenden Sonnenaufgänge“. Verzone wird von der Agentur VU in Paris vertreten.

Yohanne Lamoulère, geboren 1980, lebt seit vielen Jahren in Marseille und beschäftigt sich in ihrer Fotografie mit den verschiedenen Facetten dieser Stadt.
Person Von Katja Trippel, Paolo Verzone und Yohanne Lamoulère
Vita Katja Trippel, geboren 1973, Journalistin in Berlin, liebt Marseille, aber Fisch bestellt sie dort nicht mehr. Lieber isst sie Couscous in der Rue d’Aubagne.

Paolo Verzone, Jahrgang 1967, Fotograf in Barcelona, genoss die Bootstrips durch den Park – vor allem die „atemberaubenden Sonnenaufgänge“. Verzone wird von der Agentur VU in Paris vertreten.

Yohanne Lamoulère, geboren 1980, lebt seit vielen Jahren in Marseille und beschäftigt sich in ihrer Fotografie mit den verschiedenen Facetten dieser Stadt.
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