Der Mann fürs Holz

Der Schiffszimmermann hieß „Blau“

Auf deutschen Segelschiffen hieß der Zimmermann immer „Blau“. Den letzten Schiffszimmerleuten, die es heute noch gibt, ist die Bezeichnung wohlvertraut, und die älteren Wörterbücher zur Schifffahrt, etwa die von Kluge, Stenzel oder Tecklenborg, nennen den Begriff ebenfalls. „Hol Blau!“, „Das soll Blau machen!“ – so gingen die Worte, wenn das Deck zu kalfatern oder eine Planke auszuwechseln war.

Auf Schiffen, die aus Holz bestanden, war Blau ein gefragter Mann. Und eine gut ausgebildete Fachkraft obendrein: Auf einer Werft konnte meist nur jemand den Beruf des Schiffszimmermanns erlernen, der bereits einige Jahre als Matrose zur See gefahren war. Mit dem Gesellenbrief in der Tasche heuerte er wieder auf einem Schiff an und war fortan einer der Spezialisten an Bord. So breit seine Ausbildung, so kurz sein Beiname. Hatte der Mann keinen besseren verdient?

Keiner weiß so recht, woher der Name kommt. Noah und Odysseus waren zwar Schiffszimmerer, doch Beinamen, die sich auf ihren Beruf bezogen, sind nicht bekannt. Plötzlich ist er da, dieser Blau, logiert achtern neben dem Kapitän, dem Ersten und dem Zweiten Offizier, in eigener Kajüte. Wache braucht er nicht zu schieben. Er untersteht allein dem Kapitän und den Offizieren. Blau ist eine Respektsperson. Doch woher dieser Name?

Die einen meinen, weil „Blau“ mit seinem Holzhammer Schläge setzte, was englisch „to blow“ heiße. Nicht sehr überzeugend, meinen wir, auch wenn Konrad Reich und Martin Pagel in ihrem Werk „Himmelsbesen über weißen Hunden“ (Hamburg 1981) diese Erklärung anführen. Andere sagen, die Farbe Blau sei schon immer ein Synonym für Täuschung, List und Verstellung gewesen, und weil der Schiffszimmermann als Beherrscher aller Lecks und Leckagen ... Doch wir sind nicht dieser Meinung und weisen die Unterstellung auf das Schärfste zurück. Blau war ein solider Handwerker, der keinesfalls zu Mitteln der Täuschung greifen musste.

Der Auffassung von Friedrich Kluge in seinem Standardwerk „Seemannssprache“ (Halle 1911), „Blau“ sei ein Spottname, mögen wir uns ohne weiteres ebenfalls nicht anschließen. Wieder andere vermuten, weil „Blau“ so oft blau gewesen sei. Das leuchtet überhaupt nicht ein, gesoffen haben sie an Bord schließlich alle.

Bleiben die nüchternen Zeitgenossen, die sagen, der Name komme einfach vom „blauen Anton“, den Blau stets bei der Arbeit getragen habe. Könnte sein. Doch wir mutmaßen, dass unser Mann schon „Blau“ hieß, bevor die Werktätigen die blaue Latzhose für sich entdeckten. Worte des mecklenburgischen Heimatforschers Richard Wossidlo lassen darauf schließen – aber nur, wenn man zwischen den Zeilen zu lesen vermag.

Wossidlo, mit einer kleinen Arbeit über den Namen „Blau“ befasst, stößt im mecklenburgischen Platt auf weitere, viel versprechende Beinamen des Schiffszimmerers, nämlich „Blaagsack“, was „Blausack“ heißt, und „Blaagbüdel“, den Blaubeutel. Wossidlo beginnt daraufhin eine Feldforschung und trifft einige Fahrensleute vom Fach Zimmermann. Unser Forscher trägt seine Frage vor, warum der Schiffszimmermann besagte Beinamen habe – und erhält vom Wortführer der Handwerker folgende Antwort: „Wenn de Schöpstimmermann mit’n Deixel haugt bi’t Afslichten, haugt he jo oft vörbi un haugt sik den Büdel blag. Dorüm heit he de Blaagbüdel.“

Das ist im dicksten mecklenburgischen Platt gesprochen und bedeutet, dass unser Schiffszimmerer beim Glätten des Holzes mit dem Zimmermannsbeil, dem Dechsel, daneben schlug, woraufhin die Axt abglitt und ihn auf die allerschmerzhafteste Weise am Gemächte traf, das daraufhin schlagartig die Farbe wechselte und in einem kräftigen Blauton anlief. Wossidlo schrieb die Worte des fahrenden Mannes auf, bedankte sich und ging fort, tief in Gedanken versunken. Die Kerle werden selten so gelacht haben wie an jenem Tag, da ihnen Herr Wossidlo über den Weg lief.

mare No. 15

No. 15August / September 1999

Von Henning Sietz

Henning Sietz, Jahrgang 1953, studierte Slawistik und arbeitet als freier Journalist in Hamburg.

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Vita Henning Sietz, Jahrgang 1953, studierte Slawistik und arbeitet als freier Journalist in Hamburg.
Person Von Henning Sietz
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